Online Musik Magazin
Joachim Lange
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
Die Leichtigkeit des Tragischen
Wenn eine Oper wirklich populär ist, dann Georges Bizets „Carmen“. Dieses französisch gefühlte und gesungene Bühnenspanien aus dem 19. Jahrhundert voller anarchischer Leidenschaft, selbstloser Liebe, mit Schmugglern im Dunkeln, einem Torero im Hellen und dem finalen Mord aus Leidenschaft, geht eigentlich immer. Besonders gut aber, wenn man sie um eine Carmen vom Format der bulgarischen Superklasse-Mezzosopranistin Vesselina Kasarova herum bauen kann und einen Don José wie den deutschen Ausnahmetenor Jonas Kaufmann zur Verfügung hat.

Da war es wirklich kein Risiko, die Public-Viewing-Anlage für die Fußball-EM vor der Zürcher Oper für eine nur leicht zeitversetzte Liveübertragung der Premiere zu nutzen. Ein Synergieeffekt der besonderen Art. Dabei lernten die Zuschauer im Saal und die draußen in der lauen Sommernacht am Zürichsee eine „Carmen“ kennen, die vom ziemlich festgefügten Rollenklischee abwich, aber auf eine souveräne Art irgendwie auch damit spielte.

Der Chef des hiesigen Schauspielhauses und designierte Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann hat gar nicht erst den Versuch unternommen, Bizets Ohrwürmern auszuweichen oder die Oper als Vorlage für einen sozialkritischen oder psychologischen Diskurs zu überfordern. Er setzt auf Volker Hintermeiers angekippter, anfangs völlig leerer Rundscheibe, vor allem seine Protagonisten in Szene. Alles in stimmungsvoll und mediterran ausgeleuchteter, schlichter Schönheit. Dabei kommen auch die zeitlosen Kostüme von Su Bühler ohne vordergründige Spanienfolklore aus.

Übrigens hat auch der soeben gekürte Nachfolger von Langzeitintendant Alexander Pereira, Andreas Homoki, in seiner Amsterdamer Carmen-Version schon einmal alle Versatzstücke spanischer Folklore bewusst zur Seite geschoben und auf eine Spielsituation gesetzt. In Zürich reicht für die Zigarettenfabrik, in der Carmen arbeitet, den Männern davor den Kopf verdreht und sich drinnen auch mal mit den anderen Frauen bis aufs Messer streitet, ein Holztor und eine neonleuchtende Zigarette obendrüber. Für Pastias Kneipe reichen ein paar Tische und Stühle vor einem einsamen Telegrafenmast aus. Im kleinen Fernseher läuft erst Fußball, dann Stierkampf. Geschmuggelt wird dann ganz im Dunklen vor riesigem Mond und nächtlich wallendem Nebel.

Schließlich liefert ein riesiger Olivenbaum einen so dezidiert idyllischen Hintergrund, dass es da zum Stierkampf eigentlich nur den Tod von Carmen geben kann. Wie schon bei den Polizisten am Anfang geschieht auch beim großen Volksauflauf zum Stierkampf alles „nur“ im Auge der Betrachter. Trotz der tragisch eskalierenden Konfrontation von kleiner Ordnung (José und Micaëla) und großer Anarchie (Carmen) schwingt bei Hartmann immer ein gewisses Maß ironischer Heiterkeit mit.

Vesselina Kasarovas macht bei ihrem Rollendebüt nicht nur aus der "Habanera" ein lustvoll ersungenes Kabinettstück, das alle Facetten ihrer farbenreichen Stimme ausleuchtet. Sie verwandelt diese Figur ihrer ganz eigenen Ausstrahlung und ihrem stimmlichen Charisma an und verkleidet sich nicht etwa in eine Carmen, wie jeder sie zu kennen glaubt. Sie ist auch die Verführerin im Dienste anderer, vor allem aber eine Frau, die auf eigene Rechnung lebt, liebt und auch zerstört. Jonas Kaufmann findet im Auflodern von Verzweiflung zu einer mitreißenden und gefeierten Leidenschaft des Ausdrucks. Ein solches Fest der Stimmen können Michele Pertusis solider Escamillo oder Isabel Reys Micaëla und die übrigen Protagonisten nur ergänzen. Der Abend war im Graben natürlich Chefsache. Und Franz Welser-Möst ließ bei seiner letzten Neuproduktion nach 13 Jahren als GMD die Leidenschaft aufglühen, ohne ins effekthascherische Lärmen zu verfallen, umschmeichelte seine Sänger aber auch bewusst, wenn nicht gerade der orchestrale Stierkampf präzise kalkuliert tobte.

FAZIT
Szenisch ist das vielleicht nicht die tiefschürfendste und erschütterndste Carmen, die sich denken lässt. Es ist aber eine, die Freude macht und die vor allem durch diese besondere Carmen-Darstellerin und einen faszinierenden Don José überzeugt.






 
 
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