|
|
|
|
|
suedkurier.de |
TORBJÖRN BERGFLÖDT |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
|
Königskinder ganz ohne Kitsch
|
|
|
Die Felle schwammen immer mehr davon in der
deutschen Oper nach Wagners Tod. Verismo-Schocker aus Italien erreichten
hohe Publikumsquoten. Franzosen wie Debussy entwickelten ein eigenes Idiom.
Manche Komponisten suchten ihr Heil darin, das "Musikdrama" auf einen
Märchenopernton herunterzudimmen. Auch Engelbert Humperdinck, enger
Mitarbeiter für die "Parsifal"-Uraufführung, musste sich viele Jahre an
Übervater Wagner abarbeiten, bis er Erfolg hatte mit "Hänsel und Gretel".
Gegenüber dieser bis heute fleißig gespielten Märchenoper schneiden
Humperdincks "Königskinder", uraufgeführt 1910 in New York,
wirkungsgeschichtlich erheblich schlechter ab.
Weshalb eigentlich? An der Musik kann es nicht liegen, denn diese wartet
durchaus auf mit Herzensinnigkeit und subtiler Wortbezüglichkeit, mit
zarttoniger Poesie und dramatisch zugkräftigen Passagen. Gewiss, Wagner
grüßt da und dort. Epigonal versklavt zeigt sich Humperdinck aber
keineswegs. Was auch an dem "gebundenen Melodram" liegen dürfte, das der
durchkomponierten Version voranging und in Stil und Sprechnotenschrift
Bestrebungen Schönbergs vorwegnahm.
Ingo Metzmacher, der gerade eben in Berlin mit der Kantate "Von deutscher
Seele" des (nachmaligen) Nazi-Anhängers Pfitzner polarisiert hat, plädiert
jetzt in Zürich mit großem Erfolg für den Dreiakter des fünfzehn Jahre
älteren Humperdinck. Die Partitur der "Königskinder" ist polyphon
durchwirkt, reich koloriert, von Erinnerungsmotiven durchzogen und mit
volksliedartigen Einsprengseln versehen. Metzmachers Debüt am Opernhaus
Zürich ließ sie wiederauferstehen ohne weichzeichnerische Kompromisse;
vielmehr mit nachschöpferischem Elan, konturenklar bei sauber in den Hörraum
gezeichneten Bläserlinien. Nicht immer optimal austariert war die Dynamik
zwischen Graben und Bühne.
"Königskinder" erzählt von der Gänsemagd und dem entlaufenen Königssohn; von
einer Hexe geplagt und bettelarm die eine, des goldenen Käfigs überdrüssig
der andere. Das herrscherlose Volk von Hellabrunn erkennt nicht das wahre
Königsmenschentum der füreinander in Liebe Entbrannten und jagt sie davon.
Durchfroren und hungrig finden die beiden zum Hexenhaus zurück, wo sie von
einem vergifteten Brot essen und sterben. In Hellabrunns Kindern scheint die
Vision von einer besseren Welt weiterzuleben.
Symbolistisches Frachtgut und jugendstilistische Sprachvignetten im Textbuch
von Elsa Bernstein mögen eine Zeitlang geschmacklich heikel gewesen sein.
Inzwischen sind wir wohl wieder empfänglicher für solche Kost. Der Regisseur
Jens-Daniel Herzog und der Ausstatter Mathis Neidhardt haben mit ihrer
Lektüre erfolgreich versucht, sowohl den Kunstmärchencharakter der Oper wie
auch die in ihr enthaltenen sozialkritischen Implikationen auf die Bühne zu
bringen. Mit diesem Spagat wird der altmeisterliche Ton, auf den die
"Königskinder" gestimmt sind, nicht verraten, aber auch kein Kitsch
vorgesetzt.
Treibhaus oder Chemielabor, worin Hexe und Gänsemagd werkeln wie
Agraringenieurin und Assistentin: Gleich das erste der wechselnden
Bühnenbilder innerhalb eines Einheitsraumes zeigt, dass Motive wie
Hexenhütte oder Brunnen nicht in eine wörtliche Szenografie übertragen,
sondern auf seelische Gehalte hin befragt worden sind. Eine bei allem
Assoziationsreichtum realistische Erdung offenbart der Festsaal für den
zweiten Akt. Darin wird das Volk dargestellt als wohlstandsverwahrloste,
vulgäre Masse ohne geistige Ideale, äußerlich vielfarbig, dabei empfänglich
für klar erkennbare Führerfiguren. Die Unwirtlichkeit des letzten Bildes
kündet von beckettscher Endzeitstimmung. Die Kinderutopie am Ende gerät
unpathetisch, bewahrt sich eine der Vagheit der Vorlage angemessene
Mehrdeutigkeit.
Dass bei Herzog und Neidhardt Reflexions- und Spielwelt, konzeptuelles
Gedankengut und unmittelbare Bühnensinnlichkeit überzeugend
ineinandergreifen, ist freilich auch den Darstellern zu verdanken. Jonas
Kaufmann versah am Premierenabend den Königssohn mit der passenden Dosis
Charisma und sang mit einer Tenorstimme, in der sich Seidenglanz und Metall
zu einer wunderbaren Mischung verbanden. Isabel Rey stattete die von der
Hexe isoliert gehaltene Gänsemagd mit den anrührenden Zeichen eines
weiblichen Kaspar Hauser aus. Oliver Widmer lud die etwas rätselhafte Figur
des Spielmanns singdarstellerisch mit kraftvoller Zeichengebung auf.
Überzeugend auch die Hexe von Liliana Nikiteanu, der Holzhacker und
Besenbinder von Reinhard Mayr beziehungsweise Volker Vogel. Ernst
Raffelsberger hat die diversen Chöre überzeugend vorbereitet.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|