Die Welt, 23.10.2007
Von Manuel Brug
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
Ingo Metzmacher dirigiert in Zürich
Ingo Metzmacher dirigiert als möglicher künftiger Musikdirektor an der Zürcher Oper Humperdincks „Königskinder“.
Ja, Musiktheater wurde an diesem Abend in der Zürcher Oper auch gegeben. Doch während sich dort in Engelbert Humperdincks offenbar wieder etwas öfter gespielter zweiter Märchenoper „Die Königskinder“ mit Jonas Kaufmann einer der gegenwärtig international vielversprechendsten Tenöre auf seiner Quasi-Heimatbühne souverän eine weitere Hauptrolle szenisch eroberte, war mindestens genaus interessant, was im Graben und hinter den Kulissen lief.

Vor dem Orchester stand nämlich erstmals Ingo Metzmacher, dem ein sehr guter Ruf aus Salzburg vorausgeht, wo er sich im Sommer mit drei Konzerten neuerlich bestens präsentiert hatte, sowie aus Berlin, wo er eben als Nagano-Nachfolger seinen Chefposten beim Deutschen Symphonie-Orchester mit einem Bündel auch programmatisch eindrucksvoller Konzerte angetreten hat. Die gipfelten in der umstrittenen, aber hörenswerten Pfitzner- Kantate „Von deutscher Seele“. Nächste Saison möchte Metzmacher in Berlin konzertant Humperdincks symbolhafte, gar nicht harmlose, am Ende doch tief depressive Opernfabel folgen lassen.

Davon hatte er im vergangenen Jahr bei einem Zürichbesuch auch dem Opernintendanten Alexander Pereira erzählt. Welcher ihn sofort für dieses Werk engagierte. Pereira hatte es so eilig, weil er einen neuen Chefdirigenten braucht, denn Franz Welser-Möst wechselt 2011 nach Wien und hat auch vorher schon seine Züricher Verpflichtungen heruntergefahren. Und eben bekam Pereira zudem einen Korb von Philippe Jordan, der den wichtigen Musikchefposten der Pariser Oper der Stelle in Zürich dann doch vorzog.

Für Metzmacher, der hier zudem gleich noch ein Orchesterkonzert dirigieren wird, ging es also bei diesem Debüt um viel. Schließlich gibt es nicht viele erfahrene wie namhafte Operndirigenten seiner Generation, die mit dem riesigen Zürcher Jahresausstoß von 17 Premieren klarkommen können.

Anderseits ist er nicht so bequem und von Pereira nicht so lenkbar, wie Welser-Möst in seinen Zürcher Anfangsjahren. Der notorisch gegen Pereira und Welser- Möst nörgelnde Musikkritiker der neben dem Opernhaus residierenden „Neuen Zürcher Zeitung“ konnte jedenfalls schon von Metzmachers Schweizer-PR-Mann für einen Jubelartikel nach Berlin gelockt werden.

Metzmacher hat freilich ein Manko: Nach seinen insgesamt erfolgreichen Hamburger Opernjahren musste er eben als Musikdirektor der Niederländischen Oper eine Niederlage einstecken. Die Amsterdamer Chemie stimmte überhaupt nicht, man warf ihm dort vor, er sei teilweise mit den Stücken zu wenig vertraut. Gerüchte, die auch jetzt wieder aus den Reihen des mit vielen berühmten Dirigenten zusammenarbeitenden Zürcher Orchesters zu hören waren. Denen freilich eine musikdramaturgisch schön gegliederte, die Sänger nie zudeckende, sehr sichere Premiere mit einem willigen Orchester gegenüberstand.

Metzmacher nahm Humperdincks selten dicke, oft in Instrumentalsoli ein wenig statisch auslaufende Partitur rasch, ließ ihren zarten Ton nie süßlich werden, gab ihm eher herben Beigeschmack, der den trostlosen Ton des großartig-traurigen letzten Aktes eindrucksvoll verstärkte. Ihm gelang ein vehementes Plädoyer, für eine oft unterschätze, im Ungefähren angesiedelte, durch einen bisweilen allzu blumig gedrechselten Text beeinträchtige, aber doch sehr deutliche Oper, die zwischen den deutschen Giganten Wagner und Strauss einen individuellen dritten Weg findet.

Daniel Herzog hat das in dem kargen Einheitsbild von Mathis Neidhardt als modernes Gleichnis konkret gedeutet, ist aber vor der letzten szenischen Konsequenz zurückgeschreckt. Die Gänsemagd der engagierten, aber stimmlich bereits brüchigen Isabel Rey arbeitet in einem Gewächshaus zwischen ihrem Papierfedervieh an der Hanfzucht, die den Menschen im Hellawald schöne Träume schenken soll. Die mürrische Hexe (stark: Liliana Nikiteanu) ist ihre strenge Chefin im weißen Kittel. Durchs Fenster bricht der Königssohn mit Schwert und Krone im Rucksack als Wandervogel in diese abgeschottete Welt, füllt die Sehnsucht der Gänsemagd mit Sinn. Der obskure, Künstlerschwarz tragende Spielmann (wohlig, am Ende matt: Oliver Widmer) bringt beide auf den Weg in die nach einem königlichen Führer dürstende Stadt.

In Hellabrunn, einfach die Fortsetzung des Gewächshauses nach hinten, hungern die proletigen Mitbürger freilich ganz konkret im HellaSnack nach König’s Burgern, den wahren Herrscher erkennen sie nicht und werfen ihn hinaus. Ohne Essen, ignoriert von den hartnäckigen Menschen, auch der inzwischen blinde Spielmann kann nicht helfen, sterben die allzu naiven Hoffnungsträger in der Winternacht den Kältetod, während aus dem Ungefähren eine aufmarschierende Jungschar die „Königskinder“ beschwört.

Neben Metzmacher dominierte Jonas Kaufmann als simpler, doch strahlend anrührender Königssohn diese Aufführung mit seinem unermüdlichen, schön dunkel grundierten, gestählten, aber flexibel geführtem Tenor. Von deutscher Märchenseele - mal sehen, was das bald für Auswirkungen in der Wirklichkeit des Musikbetriebs haben wird. Kaufmann jedenfalls hat seinen Plattenexlusivvertrag mit der Decca jedenfalls längst in der Tasche.
Foto: Copyright: Suzanne Schwiertz, Zürich






 
 
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