Der Landbote, 26. 4. 2005
Herbert Büttiker
Mozart: La clemenza di Tito, Zürich, April 2005
Macht und Milde - Pflichtübung
Mozarts Aussenseiter ins Zentrum zu holen, wäre die Aufgabe. Das Opernhaus bietet eine «schöne» Aufführung, findet aber kaum alle dramatische Substanz dieses Werks, das Mozart eine «wahre Oper» nannte.
Den Auftrag einer Krönungsoper für Leopold II. in Prag hatte Mozart 1791 angenommen und in kurzer Zeit zu erledigen. Ein altes Metastasio-Libretto über den vorbildlich milden Kaiser Titus sollte wie so oft für solche Gelegenheiten zum Zug kommen. Mozart freilich veranlasste kurzerhand eine Revision, die aus der alten Opera seria mit ihren 23 Arien und vier Chören eine «vera Opera» machen sollte. Der sächsische Hofdichter Caterino Mazzolà reduzierte die Arien auf elf und gab Mozart die Gelegenheit zu einer Reihe von Ensembles mit drei Duetten, drei Terzetten, einem Quintett, einem Sextett – ein Eingriff, der neben den formalen Konsequenzen natürlich auch inhaltliche hatte und zu einer «politischen» Operndramatik führte, die eher voraus ins 19. als zurück ins 18. Jahrhundert weist, spektakulär im Finale des ersten Aktes, psychologisch vertieft in den Accompagnato-Rezitativen und – zuletzt dann doch – vor allem in den grossen Arien von Sesto, Vitellia und Tito im zweiten Akt.

Vitellia sieht sich von Kaiser Titus doppelt übergangen, als Tochter des Imperators Vitellius und als Frau. Sie stachelt ihren Verehrer Sesto zum Aufstand an. Tito entgeht dem Mordanschlag, verzeiht Sesto und schliesslich auch Vitellia, die ihre Schuld bekennt. Der Schauplatz für diese Geschichte, die von privaten Gefühlen handelt, die das Ganze erschüttern, ist das Forum Romanum, das Kapitol, der grosse Audienzsaal: Architektur, die Macht repräsentiert. Das szenische Hauptereignis ist der Brand des Kapitols: ein Moment, in dem das Machtgefüge im Chaos zu versinken droht.

Nur Rauch
Davon ist nun auf der Zürcher Bühne, die Revolutionen offenbar nicht liebt, herzlich wenig zu spüren. Mit einem schönen, in Grautönen schimmernden Bühnenbild, im Zentrum ein Turm, eine spiralförmige Treppe, hat Isabella Bywater zwar eine optisch prägnante Herrschaftsarchitektur kreiert. Durch das milchige Glas im Hintergrund werden auch die aufsteigenden Rauchwolken sichtbar, aber reichlich spät und offenbar ohne jede Wirkung (Licht!) im vorderen Teil der Bühne. Publio und Sesto, die vom Ort des Geschehens zurückkommen, haben vom Tumult weder etwas abbekommen, noch tragen sie Waffen. Kurz: der Regisseur Jonathan Miller verschläft die Szene.

Über die Idee, die nicht von Mozart stammenden Secco-Rezitative durch gesprochenen Dialog zu ersetzen – dieser war auch nicht frei von Gestelztheit –, mag man geteilter Meinung sein, aber um grössere Lebensnähe zu erreichen, hätte sich Miller vor allem um mehr Lebendigkeit in der Personenführung kümmern können. Seine Vitellia bleibt in allen zerstörerischen Leidenschaften ein zahmes Geschöpf. Dabei hat Eva Mei für die Dramatik der Partie ja einiges auf Lager. Vielleicht nicht den grossen Faltenwurf, aber die verhängnisvolle Emotionalität der Figur gestaltetet sie imponierend mit konzentrierter Kraft und virtuoser Steigerung im weit in die Tiefe und Höhe getriebenen Tonumfang. Wenn sie sich Tito zu Füssen wirft, scheint sie jedoch vor allem an ihren Modedesigner denken zu müssen, dessen Arbeit sie nicht ruinieren darf.

Mit Jonas Kaufmann, dessen Tenor baritonales Gewicht ins Spiel bringen kann, zeigt die Inszenierung einen Herrscher – die braunen Uniformen legen den Begriff Diktator nahe –, der sein Amt mit Nonchalance oder als lästige Pflichtübung ausübt, bis ihn das Schicksal vor schwere Entscheidungen stellt. Das wäre plausibel, wenn die Wechselbeziehung von Macht und Milde dann Kontur und die Figur an Statur gewinnen würde. Aber auch in diesem Fall wird musikalische Intensität nicht zur szenischen Aktion, wie sie etwa im Umgang mit dem Todesurteil, das Tito unterschreibt, dann zerreisst, spannend sein könnte.

Zunehmender Schwung
Ausdrucksstarke Stimmen, in der musikalischen Bravour fesselnder als in der Aktion: Das gilt in Varianten auch für die weiteren Beteiligten: für Malin Hartelius als anmutige Servilla, Liliane Nikiteanu als forscher Annio und Günther Groissböck als kraftvoller Publio. Als profilierteste Figur erweist sich Sesto, dessen zerrissenen Charakter Vesselina Kasarova leidenschaftlich und sensibel gestaltet. Das Orchester unterlegt das alles mit zunehmendem Schwung. Nach einer Ouvertüre, die von Dezidiertheit und lockerer Transparenz der Stimmen geprägt war, bestimmten zunächst zurückhaltende, durch Ritardandi auch gebremste Tempi das Temperament der Aufführung. Auch Franz Welser-Möst lockte die dekorative Eleganz der Bühne nicht aus der Reserve, bis sich mit Terzett und Accompagnato-Rezitativ, mit Quintett und Chor stärkere Dynamik entwickelte. Daran konnte der zweite Akt anschliessen. Das reiche Wechselspiel von Instrumentalem und Vokalem liess so keinen Zweifel, dass Mozart für das Prager Krönungsereignis grossartige Musik geschrieben hat. Aber eine «vera Opera»? Vermutlich, aber der Abend liess so oder so doch eher an Pflichtübung denken.
 
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