St. Galler Tagblatt, 21. 2. 2005
Bettina Kugler
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
Römisches Roulette
Amor setzt die Moral aufs Spiel: Monteverdis «Poppea» triumphiert am Opernhaus Zürich
Mehr als 25 Jahre nach seinem gefeierten Monteverdi-Zyklus dirigiert Nikolaus Harnoncourt erneut «L’incoronazione di Poppea» in Zürich. Inszeniert hat diesmal Jürgen Flimm - mit brillanten Sängerdarstellern.

Mag Amor im skandalträchtigen Libretto von Giovanni Busenello auch seine Wette gewinnen und am Ende über die Göttinnen der Tugend und des Schicksals triumphieren: Im Fall der mit höchster Spannung erwarteten Zürcher Neuinszenierung von Monteverdis letzter Oper «L’incoronazione di Poppea» jedenfalls, mehr als fünfundzwanzig Jahre nach der Massstäbe setzenden Produktion von Nikolaus Harnoncourt und Regisseur Jean-Pierre Ponnelle im selben Haus, hatte die launische Fortuna ein entscheidendes Wörtchen mitzureden.

Nero im Dreh-Loft
Noch eine knappe Stunde vor Beginn der Premiere am Freitagabend war szenisch geprobt worden. Nach nervenaufreibenden Wochen mit immer neuen, erkältungs- und grippebedingten Ausfällen musste kurzfristig Ersatz für Primadonna Vesselina Kasarova gesucht werden. In nur einem einzigen Probentag hatte Juanita Lascarro mit Jürgen Flimms komplexer, psychologisch subtiler Personenregie vertraut zu werden - und sich in jener kühl gestylten, labyrinthisch verschachtelten römischen Luxusvilla zurechtzufinden, in der sich die Geschicke bereits im Vorspiel in einem Höllentempo zu drehen beginnen.

Aber sie wäre wohl keine rechte Poppea, hätte Juanita Lascarro nicht die Gelegenheit gepackt, ihr Glück zu machen: geht es doch hier um Macht und Eros, um rücksichtslose Leidenschaft, die hoch hinaus will. Den liebesblinden Ehrgeiz verkörperte sie denn auch mit starker Bühnenpräsenz, wenn auch vielleicht nicht mit der betörenden dynamischen Nuancierungskunst einer Kasarova.

Suggestiv musiziert
Am Dirigentenpult steht wie 1979 Nikolaus Harnoncourt; das damals neu gegründete hauseigene Barockorchester La Scintilla hat sich längst Meriten erworben und besticht auch nun durch sprechendes, die Affekte auf der Bühne so farbig wie suggestiv reflektierendes Musizieren - umso mehr, als es auch optisch aufgewertet ist. Der Graben ist auf halber Höhe, was zu Beginn den Sängern Mühe macht.

Andererseits ermöglicht die Nähe erst jene aus den Affektschattierungen heraus entfalteten nahtlosen Übergänge von Parlando, rezitativischem und ariosem Singen, die Monteverdis Partitur so lebendig und berührend machen - mögen die Figuren auch noch so verwerflich sein. Hat sich das Auge einmal mit der ständig bewegten, durch Parallelaktion viel Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Szenerie vertraut gemacht, verdichten sich die musikalischen Höhepunkte, verschärft sich die Feinzeichnung auch in den kontrastreich besetzten Gesangspartien. Expressiv, vom aus dem Nichts geholten Ansatz bis zu dramatischem Vibrato gestaltet etwa Francesca Provvisionato die Ottavia; etwas blass bleibt Franco Fagioli als eifersüchtiger Ottone. Harnoncourts mässige Tempi tragen viel zur wachsenden inneren Spannung bei.

Weil die Zustände im Alten Rom den Karrieregelüsten, den Ränkespielen und seelischen Abgründen der Gegenwart Flimms Lesart zufolge gleichen, hat Bühnenbildnerin Annette Murschetz die «domus aurea», Neros Heim und Machtzentrale, als Musterhaus für Trend-Architektur gebaut,von Menschen in Sneakers und Designerklamotten bevölkert (Kostüme: Heide Kastler). Ein zweistöckiges Loft, in dem Tür an Tür geliebt und gelitten, regiert und telefoniert wird; ein Vorzeigedomizil für einen Yuppie-Kaiser, wie der Tenor Jonas Kaufmann ihn lebensecht, in Lackschuhen und Hosenträgern und mit stetig wachsender Stimmpotenz gibt.

Die Götter sind hier die Putzkolonne, überall haben sie ihre Augen: ein kluger Regie-Eingriff in die allegorische Rahmenstruktur der Oper. Der Amor wurde mit einem Sopran der Zürcher Sängerknaben (souverän: Grigory Limburg) besetzt, der unaufgeregt und mit göttlichem Ernst Neros Liebesgeschäfte regelt.

Aufregend nahe
Alte Musik und moderne Szenerie vertragen sich durchweg gut in Flimms Inszenierung, die (im Gegensatz zu Nigel Lowerys schriller Basler «Poppea») nicht auf Soap-Ästhetik und disparate Einfälle, sondern auf eine übergreifende Idee setzt und zeitlos psychologisiert. So rückt er Monteverdis Musik aufregend nahe - mit einer Identifikationswucht, wie sie die Oper in Zeiten des Kinos nur selten erreicht.

Foto: Hermann und Clärchen Baus






 
 
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