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Neue Zürcher Zeitung, 21. 2.
2005 |
Marianne Zelger-Vogt |
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
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Römische Zeitgenossen
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Monteverdis «Incoronazione di
Poppea» im Opernhaus Zürich |
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Aufführungen von Werken Claudio Monteverdis
gehören heute zum Opernalltag. Doch eine Monteverdi-Premiere im Zürcher
Opernhaus weckt noch immer besondere Erwartungen. Denn von hier hat 1975 mit
«Orfeo» die glanzvolle Wiederentdeckung dieses erstaunlichen ÂŒuvre für die
Bühne ihren Ausgang genommen - eine Pioniertat des damaligen Intendanten
Claus Helmut Drese und des kongenialen Interpretenteams Nikolaus Harnoncourt
und Jean-Pierre Ponnelle. Dass Harnoncourt jetzt bei «L'incoronazione di
Poppea» (wie vor drei Jahren bei der Neuproduktion von «Il ritorno d'Ulisse
in patria») wieder am Pult steht, zeugt von Kontinuität, verdeutlicht aber
zugleich, wie sehr sich die Dinge gewandelt haben.
Triumph der Liebe
Die von Harnoncourt in einem Programmheft- Beitrag kommentierte Einrichtung
der «Poppea»- Partitur scheint mit jener von 1977 wie auch mit der von ihm
geleiteten Salzburger Einstudierung von 1993 weitgehend identisch zu sein.
Doch die Musik klingt diesmal anders. Die elektrisierende Attacke, das
rhythmische Feuer, die heftigen Einwürfe, die einen damals regelrecht
überfallen hatten, sind einer verfeinerten, ruhigeren Sprache gewichen. Aufs
Neue aber staunt man, mit welcher Selbstverständlichkeit La Scintilla, das
im hoch gefahrenen Orchestergraben spielende Spezialensemble des
Opernhauses, diese Sprache beherrscht, welche Farbenfülle es den alten
Instrumenten entlockt, wie dezidiert es die Handlung kommentiert, auch wenn
am Premierenabend nicht immer letzte Präzision erreicht wurde.
Warum wollte der Funke dann doch nicht springen? Dass die Titelpartie wegen
Erkrankung von Vesselina Kasarova kurzfristig umbesetzt werden musste, war
zweifellos ein gravierendes Handicap. Juanita Lascarro hat die Rolle der
Einspringerin mit Geschick und Intuition gemeistert, doch das Kraftzentrum,
das die dank Schönheit und Machtinstinkt auf den Kaiserthron gelangende
Poppea sein müsste, konnte sie auch deshalb nicht werden, weil die Farb- und
Ausdruckspalette ihres etwas matten Soprans beschränkt ist.
Geht es dem Dirigenten und dem Regisseur Jürgen Flimm - er war schon bei der
Salzburger «Poppea» Harnoncourts Partner - überhaupt darum, die Macht
zügelloser Leidenschaft, lodernder Sinnenfreude und rauschhafter Sexualität
zu zeigen? Ist es ihnen nicht vielmehr um die sittlichen und
gesellschaftlichen Zerfallserscheinungen zu tun? Dass der Gott Amor, der
hier nicht nur im Prolog auftritt, sondern zusammen mit Fortuna (Eva Liebau)
und Virtù (Irène Friedli) in wechselnden Verkleidungen das Geschehen
beobachtet, mit einem hübschen, aber naturgemäss zarten Knabensopran besetzt
ist, scheint eher dramaturgisch denn musikalisch begründet zu sein: Die
Figuren der Oper haben sich von den Göttern längst emanzipiert; obwohl sie
historische Namen aus der römischen Kaiserzeit tragen, leben sie heute.
Darin vor allem besteht der Wandel gegenüber der «Poppea»-Inszenierung des
ersten Zürcher Monteverdi-Zyklus, der einer üppig barocken Bildsprache
verpflichtet war. Auf der Bühne von Annette Murschetz wohnen die Personen
Wand an Wand in einem luxuriösen Appartementhaus. Da gibt es, auf zwei
Ebenen verteilt, Schlafzimmer - sinnlich rot das von Poppea, kühl weiss
jenes der Noch-Kaiserin Ottavia -, ein Chefbüro, eine Halle mit Teich,
Sitzungszimmer, eine Terrasse.
Die Drehbühne führt uns vor Augen, wie nicht nur die Schauplätze, sondern
auch die Personen miteinander verflochten sind: der Kaiser Nerone in
seinem Liebes- und Machtrausch - Jonas Kaufmann gibt ihn als Latin Lover mit
kultiviertem, agilem Tenor -, der Philosoph Seneca, der, ein Opfer
Poppeas, von Nerone in den Tod getrieben wird - grossartig, wie ihn László
Polgár zwischen eitler Phrasendrescherei und würdevollem Ernst changieren
lässt -, die betrogene Kaiserin Ottavia, die als Anstifterin eines
Mordanschlags auf ihre Rivalin Poppea zwar kein Mitleid verdient, mit ihrer
Abschiedsszene dank der vokalen Brillanz von Francesca Provvisionato aber
für einen Höhepunkt sorgt, Poppeas Ehemann Ottone sodann, ein lächerlicher
Schwächling mit kunstvoll geführter Countertenor-Stimme (Franco Fagioli),
der sich bei seiner Ex-Geliebten Drusilla (durchaus attraktiv: Sandra
Trattnigg) zu trösten sucht, dazu das stattliche Gefolge von Konsuln,
Tribunen, Freunden, Bewachern, nicht zu vergessen Andreas Winklers pubertär
verliebter Valletto, ein Vorfahre von Mozarts Cherubino, und die zwei in
scharfem Kontrast gezeichneten Vertrauten Ottavias und Poppeas (Kismara
Pessatti als Amme und - ein weiteres Glanzlicht - Jean-Paul Fouchécourt als
mondäne Arnalta). Alle spielen sie, von Heide Kastler standesgemäss und
typengerecht gekleidet, ihren Part in dieser skandalösen Love-Story.
Zerfall der Moral
Wie mag «L'Incoronazione di Poppea» bei ihrer venezianischen Uraufführung
1643 oder 1642 auf ein Publikum gewirkt haben, das zuvor nur mythologische
Gestalten auf der Bühne erlebt hatte und sich nun erstmals mit realistisch
gezeichneten, wenn auch historischen Figuren konfrontiert sah, mit Figuren
überdies, die jeglicher Moral spotteten? Flimm macht sich die Antwort
leicht. Um die Modernität des Werkes zu demonstrieren, versetzt er die
Handlung einfach in die Gegenwart, mit den szenischen Versatzstücken und der
darstellerischen Nonchalance, die im Gegenwartstheater gängig sind. Doch was
er uns sagen will mit diesem Stück, in dem der Textdichter Busenello alle
Höhen und Niederungen menschlicher Existenz durchmisst, bleibt im
Ungewissen.
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Foto: Hermann und Clärchen Baus |
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