Kölner Stadtanzeiger
VON M. STRUCK-SCHLOEN
Berlioz: La damnation de Faust, Bochum, Juli 2004
Mephisto aus dem lodernden Schmelzofen
"La Fura dels Baus" mit Berlioz ´ "La Damnation de Faust" bei der Ruhrtriennale
"Keine Langeweile" ist die Hauptdevise der spektakulären Bühnenlösung.
Vielleicht hätte die Lebensgeschichte vom "weytbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler" Johann Faust (1587) mit ihren archetypischen Opernszenen auch ein erfolgreiches Libretto hergegeben. Zum Unglück für die Oper kam Goethe mit seinem "Faust" - und nahm dem Stoff die theatralische Unschuld. Wer fortan den Faust ins Musiktheater holte, musste sich an der monumentalen Vorgabe abarbeiten und im Schatten des Riesen fast notwendig scheitern.

Hector Berlioz sann denn auch auf eine andere Lösung. In seiner Dramatischen Legende "Fausts Verdammung" (La Damnation de Faust) mutierte der ewige Wissensstreber zum romantisch-melancholischen Helden und die klassische Operndramaturgie zur Revue (halb)szenischer Fantasien. Da Berlioz selbst seinen revolutionären Zwitter aus Oper, Oratorium und verkappter Sinfonie eher für den Konzertsaal erdachte, müssen sich heutige Regisseure schon etwas einfallen lassen, um die Gratwanderung des Franzosen zwischen Goethe und eigenen Zutaten auf der Bühne plausibel zu machen.

1999 fand die katalanische Aktionstruppe "La Fura dels Baus" bei den Salzburger Festspielen eine Aufsehen erregende Lösung, die derzeit als Produktion der Ruhrtriennale noch einmal besichtigt werden kann. In seinem spektakulären Bühnenaufbau widmet sich das Kollektiv aus Barcelona um den Spiritus Rector Jaume Plensa der Frage, wie der Einzelne in einer Welt der entfremdeten Wünsche und unerfüllten Träume vom wahren Leben überstehen kann. Ein hoher, in Plexiglas gehüllter Zylinder ist der Sammelbehälter, in den die Menschenmassen in wesenlos weißer Kleidung ihre inneren Bedürfnisse kippen: Luxuswagen, Kühlschränke, Konzertflügel und Frauenbilder rieseln als Videoprojektionen hinein. Wenn sich der verzweifelte Faust hinterher-stürzt, wandelt sich das Silo zum lodernden Schmelzofen, aus dem als Alter Ego Mephisto hervorgeht: eine neue Form für Fausts Bedürfnisse, die ihm die leiblichen Lüste dieser Welt vor Augen führen soll.

So erzählt "La Fura dels Baus" zu Berlioz´ Musik ihre eigene Geschichte im Breitwandformat, die mit ihrer Choreografie der vereinigten Chöre aus Pamplona und San Sebastián an die bewegten Arbeitermassen aus Fritz Langs "Metropolis" gemahnt und vor allem auf theatralische Effekte setzt - auf dass sich niemand langweile. Projektionen zeigen Wunschbilder der schwebenden Marguerite in naturhafter Nacktheit, während die reale Geliebte als schwarz gekleidete Madonnengestalt auftritt - Inbegriff der Vorstellung von Heiliger und Hure, die, wie hier so manches, nicht mehr ganz up to date wirkt. Bewundernswert aber, wie "La Fura" den Riesenraum der Bochumer Jahrhunderthalle in den Griff bekommt, ihn mit Aktion und Zeichen füllt.

Sylvain Cambreling bindet die Kräfte des SWR-Sinfonieorchesters mit höchster Klangsensibilität, lauscht der Partitur facettenreiche Stimmungen ab und lässt die schnell wechselnden Charaktere der Musik oft ungeschützt aufeinander prallen, statt sie romantisierend zu verwischen. Die wenigsten Solisten sind heute Berlioz´ enormen Anforderungen gewachsen. Zumal der schwedische Mezzo Charlotte Hellekant als Marguerite ließ erste Verschleißerscheinungen im schönen Material erkennen, während der Bass Willard White dem Mephisto nichts an Schwärze, Präsenz und diabolischer Ironie schuldig blieb.

Und dass für den verhinderten Faust Paul Groves der Tenor Jonas Kaufmann eingeflogen wurde, verlieh der Aufführung dann doch einige Glücksmomente. Denn Kaufmann ist im Begriff, seine lyrisch blühende, dabei bewegliche und intelligent geführte Stimme dramatisch zu würzen - womit er der heiklen Partie wie wenige gerecht wird.
Weitere Vorstellungen am 15. und 17. Juli.






 
 
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