Stuttgarter Zeitung
XXIV Herbstliche Musiktage Bad Urach, 23.9 - 1.10 2004
Flaumenleichte Mörike-Kantate bei den Musiktagen Bad Urach uraufgeführt
An Erhabenem und seinem Gegenteil, dem Nichtigen herrscht in den Gedichten Eduard Mörikes kein Mangel. Immer wieder ist es dort die Liebe und die übermächtig erlebte Natur, die das Ich in eine teils unentwirrbare Wirrnis aus Emphase und Selbstauflösung hineintreiben. Mit dieser Wirrnis kann man auf musikalischer Ebene unterschiedlich umgehen, entweder gnadenlos sezierend wie Hugo Wolf es getan hat, oder man gibt diesem Realitätsbruch eine musiktheatralische Dimension, wie es Othmar Schoeck mit seinem "Besuch in Urach" gelungen ist. Mit diesem Werk eröffnete das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Stefan Solyom mit dem Tenor Jonas Kaufmann als Solisten in der Sankt-Amandus-Kirche sein Gastspiel bei den Herbstlichen Musiktagen Bad Urach. In der mächtig hallenden, dennoch nicht alles verunklarenden Akustik der Kirche hörte man das Schoeck-Lied als Versuch einer rauschhaften Rückkehr zu der Möglichkeit die Natur, noch einmal so wie in früher Jugend zu erleben - auch wenn am Schluss nur der Gruß an den "Engel" des Tals übrig bleibt, als Abschiedsgeste.

Als Solist hatte Kaufmann die anstrengende Aufgabe, mit dem Pathos dieser Geste angemessen umzugehen, was ihm auch immer wieder glänzend gelang, mühelos in der von Schoeck arg strapazierten Höhe, wenn auch mit der Tendenz, zu emphatisch und damit gleichförmig zu werden zu werden, sobald ein Forte verlangt war.

Anschließend die von den Herbstlichen Musiktagen in Auftrag gegebene Uraufführung der "Mörike-Kantate" Detlev Glanerts für Tenor Chor und Orchester mit dem Chor des NDR und Kaufmann als Solisten: Vier Gedichte Mörikes hat Glanert in die Form vier eng verklammerter Abschnitte gefasst, das in den Texten sprechende Ich teils gesplittet zwischen Chor und Solist, sodass jenes "uralt alte Schlummerlied" der Quellen wie von weit her in der Gegenwart ankam, somit jenen Riss zwischen früher und heute deutlich markierend, den Schoeck noch durch Pathos hatte kitten wollen. Am überzeugendsten war der letzte Abschnitt mit der wunderbaren Beschwörung der "flaumenleichten Zeit der dunkeln Frühe". Jenen Riss zwischen Idyll und Realität hat Mahler in seiner vierten Sinfonie in unnachahmlicher Grausamkeit formuliert, einer Grausamkeit, die sich gerne in Lieblichkeit hüllt; Solymon und das RSO ließen der Heterogenität des Werks größtmöglichen Raum; die enorme gut herausgearbeitete Fugenarbeit in den ersten zwei Sätzen zeigte das Werk konsequent in innerer Nähe zur fünften Sinfonie des Komponisten.






 
 
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