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Zürichsee-Zeitung, 14. 01.
2003 |
WERNER PFISTER |
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
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Unter seinem Wert verkauft
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Klaus Michael Grüber
inszenierte Mozarts «Idomeneo» am Opernhaus - so beifällig wie harmlos |
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1980 hatte "Idomeneo» am Opernhaus Zürich
Schlagzeilen gemacht und für hitzige Kontroversen gesorgt. Es war die erste
Produktion des Mozart-Zyklus von Jean-Pierre Ponnelle und Nikolaus
Harnoncourt. Längst Legende. Dagegen ist schwer anzukommen - vielleicht,
weil sich Klaus Michael Grübers Inszenierung zu leicht tut.
Eine Oper macht Karriere, schrieben wir damals. In der Tat, allein in der
Schweiz wurde Mozarts «Idomeneo», bislang ein komplexes Problemwerk, das den
Eingang ins gängige Repertoire nie gefunden hatte, gleich viermal
inszeniert: 1977/78 in Basel und Bern, 1980 in Luzern und dann - mit Folgen
bis an den Salzburger Festspielen - in Zürich. Der Aussenseiter in Mozarts
Opernschaffen wurde zu einem umschwärmten Exoten.
Wobei die fulminanten Erfolge, die «Idomeneo» seither hatte, auf der Bühne,
sogar auf Schallplatten, viele Vorurteile zu korrigieren vermochten. Immer
hatte man schwere und langfädige Kost vermutet, Stichwort «opera seria», und
siehe da, «Idomeneo» ist weit mehr als diese starre Abfolge von Arien, wo
die Sänger gleichsam zu oratorischen Standbildern versteinern. Überall
weicht Mozart diesen tradierten Formenkanon auf - in Richtung auf die
französische tragédie lyrique (der Chor spielt, bei Mozart eine Ausnahme,
eine zentrale Rolle), aber auch in Richtung auf einen
sinfonisch-konzertanten Orchesterklang, dessen Expressivität gleichsam das
psychologische Profil der Bühnengestalten reflektiert. Das ist neu.
Divergierende Ansprüche
Allerdings hat Mozart den «Idomeneo», den er selber hoch schätzte, nicht in
einer definitiven Werkfassung überliefert. Vieles, was bereits komponiert
war, wurde im Vorfeld der Münchner Uraufführung gestrichen oder zumindest
gekürzt aus Angst, die Sache werde zu lang. Recht hatte er. Der allzu
raumgreifenden Bildungsbeflissenheit von Gianbattista Varescos Libretto, das
sich in ausufernden Reminiszenzen an Homer, auch an die biblische
Jephta-Geschichte im Buch der Richter ergeht, stand Mozarts dramaturgisches
Gespür für die szenische Gesamtform entgegen, sein Instinkt für die
musikalisch-szenische Stringenz der Handlungsführung und Personenkonflikte.
Zwei divergierende Ansprüche, gleichsam eine «Querelle des anciens et des
modernes», die beide das Werk befeuern respektive belasten, und jede
Inszenierung hat hier Stellung zu beziehen. In der Zürcher Neuproduktion
entschied man sich für viele straffende Striche, denen nicht nur ganze
Arien, sondern eine ganze Partie (Arbace) zum Opfer fiel. Keine Rede also
von «authentisch», was auch immer mit diesem Anspruch verbunden wird. Wenn
aber Idomeneo zu Beginn des zweiten Akts, weil ihm sein Vertrauter Arbace
eben fehlt, im Zwiegespräch mit ihm dessen Worte gleich auch noch singen
muss, dann ist die Grenze des Zulässigen - oder des guten Geschmacks - wohl
überschritten. Fehlte es dem Regisseur, dem Dirigenten, an Vertrauen ins
Werk, an Vertrauen ins Publikum, ob es denn eine ungekürzte Aufführung
überhaupt ertragen (erdulden) würde?
Terrakotta-Welt
Szenisch geht es mit einfachsten Mitteln zu. Spärliche Bauten, etwa zwei
kleine Mauern übers Eck, zeigen Innen- und Aussenräume an, grenzen den
privaten vom öffentlichen Bereich ab. Steine markieren das Meeresufer, das
Meeresungeheuer ist als Prospektmalerei stilisiert. Der Schauplatz ist
Kreta, und das nach unsern landläufigen Vorstellungen: Idomeneo in Jeans,
die Einheimischen in kunstgewerblichen Folklore-Mix gewandet, eine
Terrakotta-Welt der warmen Farben.
Auch Lavendelsträucher fehlen nicht, und es wird mit fürsorglicher
Frauenhand darüber gestrichen. Wenn sie nicht mehr gebraucht werden - im
atemberaubenden Quartett des dritten Akts, wohl dem musikalischen Höhepunkt
der Oper -, dann werden sie von unsichtbarer Geisterhand langsam seitwärts
in die Gassen gezogen, was nun wirklich nicht von atemberaubender Wirkung
ist und, schlimmer, die hehre Wirkung dieses Quartetts aufs Banale
hinunterschraubt.
Sinfonischer Mozart
Handlungskonstellationen, Figurenkonflikte werden nicht inszeniert wie einst
bei Ponnelle (unvergesslich seine strenge Geometrie der Bewegungen, ganz aus
der Form der Musik gewonnen und ins Räumliche übersetzt). Klaus Michael
Grüber lässt seine Figuren selber machen, was ihnen besser oder schlechter
gelingt, und den Chor lässt er fast ganz im Stich. Peinlich wird es am
Schluss, wenn Idomeneo zum letzten grossen Rezitativ ausholt und seinen
Thronverzicht bekannt gibt. Der Chor steht anfänglich gespannt da, dann
setzt sich einer nach dem andern - möglichst ungezwungen und gerade darin
verkrampft - auf den Boden, als würde er merken: Das ist eine
Politikeransprache, und das geht bekanntlich noch lang. Fast wäre es Satire.
Christoph von Dohnányi dirigiert seinen ersten «Idomeneo»: mit grossem
Orchester, das er aus der Versenkung heraufgeholt hat und in Parketthöhe -
gleichsam konzertant - auf modernem Instrumentarium musizieren lässt. Ein
hellwacher, in den Konturen dramatisch geschärfter Mozart von theatralischer
Nervosität, nichts zum satten Dösen. Kontraste werden wirkungsvoll
ausgespielt, Dohnányi dirigiert das Werk ganz als sinfonische Partitur; das
heisst, das Orchester erzeugt, kontrolliert und kommentiert das ganze
Bühnengeschehen inklusive des Innenlebens der Figuren.
Seelenvolle Rollendebüts
Die Sängerinnen und Sänger lassen sich davon inspirieren. Besonders
eindrücklich Liliana Nikiteanu als Idamante und Malin Hartelius als Ilia,
beides Rollendebüts: purer Mozart-Wohllaut und gleichzeitig stark
anrührende, impulsiv seelenvolle Figurenporträts, die in seltener
Eindringlichkeit gleichsam zu sich selber finden, in jeder Geste, in jedem
Blick, im Aufbegehren wie im Resignieren und selbst im verzweifelten
Verstummen.
Jonas Kaufmann ist als Idomeneo ein derart reflektierter, fein
differenzierender Stilist, dass man unentwegt an seinen Lippen hängt. Allein
die dynamische Differenzierung seiner Partie verdient höchstes Lob; sein
eher dunkles, zuweilen irritierend herbes Timbre prädestiniert ihn für die
Partie, zumal er weder mit Koloraturen noch mit Spitzentönen irgendwelche
Nöte hat (er kann sich sogar leisten, die gefürchtete erste Fassung von
«Fuor del mar» zu singen). Gegenüber soviel musikalisch-dramatischer
Vielschichtigkeit wirkt Luba Orgonasova als Elettra eindimensional - im
Gesang perfekt wie stets, mit rollenden Koloraturen und weich flötenden,
weit gespannten Lyrismen, aber in der Gestaltung der Partie zu äusserlich,
stereotyp eben. |
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