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Opernwelt, März 2003 |
Hanspeter Renggli |
Mozart: Idomeneo, Zürich, Januar 2003
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Die neue Zeit
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Er
ist bloß noch das Fragment eines Herrschers, eines Helden, mit amputierter
linker Hand, aber in Teile einer Rüstung gekleidet: König ldomeneo ist ein
Schatten seiner selbst. In Kreta ist während der zehn Jahre seiner
Abwesenheit eine neue Generation herangewachsen, die andere,
zwischenmenschliche Werte in den Vordergrund stellt; in Kreta lebt eine
multikulturelle Gesellschaft von Einheimischen und Asylanten, und der
heimkehrende ldomeneo, der sich noch auf Gelübde wie Menschenopfer stützt,
um so sein nacktes Leben zu retten, findet sich nicht mehr zurecht. Dies
alles ließ sich allein aus den unspektakulären, aber in ihrer Schlichtheit
sehr wohl lesbaren Kostümen und aus den wenigen trümmerartigen
Versatzstücken sowie aus den großformatigen Stoffprospekten schließen. Die
Personenregie von Klaus Michael Grüber und Ellen Hammer trug hier allenfalls
ein Minimum bei. Wie hilflos sich dabei die Bewegungsregie äußerte — war es
Zurückhaltung oder Einfallslosigkeit? —‚ zeigte sich zumindest in der
stellenweise ungelenken Führung des Chores, der sich allerdings musikalisch
hervorragend präsentierte.
Die ebenso feine wie unspektakuläre Zeichnung der Protagonisten hatte in der
musikalischen Interpretation ihre Entsprechung. Obschon über zwanzig Jahre
vergangen sind, dürfte manchen im Publikum die spektakuläre Inszenierung von
Ponnelle und Harnoncourt noch vor Augen gestanden und im Ohr geklungen
haben. Wie überaus anders, wie lyrisch und farbenreich zeichnete Christoph
von Dohnányi Mozarts Musik! Man kann seinen Ansatz als Mittelweg zwischen
historischer Akzentuierung und einem lyrischen Ansatz bezeichnen.
Historische Instrumente werden denn auch nur partiell (z. B. Posaunen)
verwendet. Ilias Arie «Se il padre perdei» kann für die gesamte musikalische
Interpretation Modell stehen: Dohnányi lässt Malin Hartelius Zeit zu
verweilen, lässt ihre lyrischen Qualitäten, ihre leise, aber überaus
ausdrucksstarke, in feinen Nuancen emotionale Wechsel nachzeichnende Linien
klingen, lässt ihr die Freiheit, in der Reprise größere Intervalle
auszuzieren (wenige nur wagen dies bei Mozart — und wem gelingt es zudem?),
dies alles bei einer brillanten Bläserleistung des Orchesters. In dieses «
Konzept» der lyrischen Zurückhaltung gehört auch die Zeichnung von Elettra
(Luba Orgonasova), die in ihrer Verbitterung nicht zur Furie wird — auch
ihre Zeit ist zu Ende, darin äußert sich ihr Leiden.
Leiden ist denn auch das Stichwort für ldomeneo:
Jonas Kaufmann verleiht dem Einzelwort, der einzelnen Figur Bedeutung,
gleichzeitig aber auch den Koloraturen kompakte Gestalt. Das musikalische
Detail zu pflegen und die weiten Bögen zu atmen, das ist Kaufmanns Kunst des
Liedsängers auf der Bühne, eine seltene. Anrührend, beinahe spitzbübisch
und zugleich unsicher, das ist die reizvolle Mischung, die Liliana Nikiteanu
als Idamante in Varianten auslebt, ebenso Variantenreich und agil klingt
ihre Stimme. Insgesamt eine ebenso anrührende wie prägende musikalische
Deutung, vor allem getragen von dem wunderbar abgestuften stimmlichen
Quartett.
Dass in diesem Konzept die Figur des Arbace gestrichen ist, lässt sich zwar
erklären: Nicht ein mythisches Spiel von Macht und göttlichem
Ausgeliefertsein, sondern der politische Wechsel und ein neues
zwischenmenschliches Verständnis will die Inszenierung zeigen. Trotzdem
stellt dies einen bedenklichen Eingriff dar, zumal in der Personenführung
Grübers Deutung zu wenig deutlich bleibt.
Hanspeter RenggIi
Mozart: Idomeneo.
Premiere am 12. Januar 2003. Musikalische Leitung: Christoph von Dohnányi,
Inszenierung: Klaus Michael Grüber und Ellen Hammer, Bühnenbild: Gilles
Aillaud, Kostüme: Eva Dessecker, Chor: Ernst Raffelsberger. Solisten: Jonas
Kaufmann (ldomeneo), Liliana Nikiteanu (ldamante), Malin Hartelius (llia),
Luba Orgonasova (Elettra), Christopher Hux (II Gran Sacerdote) u. a. |
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