Aargauer Zeitung, 12 .11. 2002
Christian Berzins
Fierrabras, Zürich, November 2002
Schubertchens Versuch, Schubert zu retten
Zwei Opern Franz Schuberts wurden in den sieben letzten Jahren in Zürich verdienstvollerweise aufgeführt: Dank Dirigent Nikolaus Harnoncourt wars zweimal ein Ereignis. Bei «Fierrabras» steht nun die Regie im Vordergrund - es ist kein Vorteil.
Ein beliebtes Spiel gewisser Regisseure besteht darin, Figuren, die es zweihundert Jahre lang nicht über die Rolle des Stichwortgebers hinausgebracht haben, «aufzuwerten». Das führt dann dazu, dass der Gärtner in «Le nozze di Figaro» in die Revolution führt oder der Messmer die Sängerin Tosca ins Verderben. Wenn die Ideen dann immer noch nicht ganz aufgehen, fügen diese Regisseure auch mal eine Figur hinzu. Ganz in der Meinung, dass Mozart oder Puccini auch mal etwas vergessen haben könnten. Auch Claus Guth, er hat sich in Zürich 2001 mit «Iphigénie en Tauride» vorgestellt, greift für Franz Schuberts 1823 vollendete Oper «Fierrabras» zu diesem Mittel - und erreicht damit einen kleinen Theater-Coup. Er fügt in die dreiaktige Oper den Komponisten Schubert (von Wolfgang Beuschel grandios verkörpert) ein. Diese Figur schubst nun nicht nur das Geschehen jeweils sanft an und nimmt daran emotional regen Anteil, da sie sich in jeder Figur zu erkennen glaubt, sondern sie nimmt der Handlung den Ernst: eine Oper in Schuberts biedermeierlicher Puppenkiste entsteht (Bühne Christian Schmidt). Was so negativ tönt, ist im Falle von «Fierrabras» allerdings keine schlechte Idee, will doch dieses Drama um einen Christen- und einen Maurenfürsten nur schwer ins Rollen kommen: Da mögen noch so grosse Freundschaftsduette angestimmt werden, lärmiges Kriegsgeheul erklingen und Prinzessinnentränen fliessen, ja sich Thronfolger über die Glaubensschranken hinweg verlieben.

Guth schreibt zwar im Programmheft, dass sich die Schubert-Idee aus der Biografie des Komponisten ableite; er redet dann von Auseinandersetzung mit der Vatergeneration, vom Durchbrechen hierarchischer Machtstrukturen und der Sehnsucht nach Liebe über die Grenzen hinweg. Trotz dieses theoretischen, psychologischen Tiefsinns ist Guths Schubert-Figur nicht viel mehr als ein gelungener Spass im biedermeierlichen Spielsalon: Im dreieinhalbstündigen Opernabend kann sie nicht leider mehr als zwei Stunden lang die Fäden ziehen. Mit dem lahmenden Interesse an dieser Figur und ihren Spiegelbildern verliert sich das ganze dramatische Geschick. Erst im Schlusschor wird nochmals dick aufgetragen: Schubert beginnt hier die richtigen Pärchen zu ordnen, was ihm nur mit Mühe gelingt. Denn sein Titelheld Fierrabras ist unzufrieden, dass er «leer» ausgehen muss. Mit der von Schubert auferlegten Hymne, die die Freundschaft über die Liebe stellt, will er sich nicht abfinden.
Der Ansatz in diesem Spiel ist glänzend, die Ausführung gelingt aber nur mit Abstrichen - diese Maxime steht nicht nur über der Regie, sondern auch über der musikalischen Umsetzung. Das Opernhausorchester unter Franz Welser-Möst spielt einen schönen Schubert, aber keinen aufregenden, wie ihn einst Harnoncourt präsentierte. Es ist kein polierter Schubert, aber zeitweise hat man auch wegen des fein nuancierten Klangs den Eindruck, einer «Übung der Ruhe» beizuwohnen.

Die Leistungen der drei jungen männlichen Helden sind beachtlich: Christoph Strehl (Eginhard) beglückt mit ungemein sanftem wie lyrischem Tenor und einer mühelosen Tongebung, die allein in den Höhen etwas getrübt ist; Michael Volle (Roland) erfreut mit kernig gesundem Bariton und Titelheld Jonas Kaufmann mit reinstem Ton und mit Sorgfalt ausgeführten dynamischen Abstufungen. Bei den beiden Prinzessinnen erkennt man, wie schwer diese Oper zu besetzen ist: Joanna Kozlowskas (Emma) Sopran scheint bereits eine Nummer zu gross, jener Ljuba Chuchrovas (Florinda) eine zu klein zu sein: der erste zu üppig und zu wenig wendig, der zweite gut ausgebildet, aber zu wenig gross für die (notwendige) dramatische Aussage. Die beiden Fürsten - Laszlo Polgar und Rolf Haunstein - singen routiniert.

Schubert als Retter seiner eigenen Oper? Nur halb gelingt der Münchhausenakt. Doch trotz des herangetragenen, phasenweise nachvollziehbaren psychologisierenden Hintergrundes läuft das Geschehen Gefahr, in eine harmlose Biedermeierwelt zu kippen. Der Zugang über die Musik wäre dem Opernkomponisten besser bekommen. Schubert wäre mit seinen ureigensten Mitteln geholfen worden und kaum Schubertchen geblieben.
 
Video capture: Fierrabras 2005/2006






 
 
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