Tagesanzeiger, 12 .11. 2002
Von Michael Eidenbenz
Fierrabras, Zürich, November 2002
Ritterspiel im schubertschen Salon
Dirigent Franz Welser-Möst und Regisseur Claus Guth machen im Opernhaus Schuberts Oper «Fierrabras» zum anrührenden, intelligenten Seelendrama.
Franz Schubert gehört zu jenen Kunstgestalten, die von jeder Generation neu entdeckt und adaptiert werden wollen. War er in den häuslichen 50er-Jahren Sinnbild biederer «Dreimäderlhaus»-Idyllik und in den 80ern in Film und Büchern Anschauungsmaterial für eine Psychologie des Zerbrechens, so wird er heute zum Material einer mit zeitgenössischen Mitteln ans Freie geholten fantastischen Innerlichkeit.

Christoph Marthaler fand in seiner «Schönen Müllerin» beklommene Bilder schmerzhaft nach innen gedrehter Energien. Wie der Komponist Hans Zender die existenzielle Verlorenheit der «Winterreise» mit modernen Klangmitteln zu vergegenwärtigen suchte, war kürzlich in Zürich zu erleben. Und das Opernhaus widmet sich nun mit «Fierrabras» bereits zum dritten Mal dem lange aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängten Opernschaffen. Worin liegt diese neue Schubert-Faszination?
Im Fall der Oper ist die Antwort zunächst klar: «Fierrabras» aufzuführen, bedeutet in erster Linie eine Ehrenrettung für eine unglaublich reiche, wunderschöne, vielfältige und dabei so gut wie unbekannte Musik. Dass Dirigent Franz Welser-Möst in ihr ein Gebiet persönlicher Entdeckungslust gefun-den hat, machte er in der Premiere vom Sonntag zusammen mit den erstklassigen Kräften von Opernhausorchester und -chor in jedem Augenblick klar. Ein ausserordentlich sorgfältiges, geradezu liebevolles Musizieren lässt den Abend zu einem einzigen wärmenden Genuss werden, Lyrik dominiert die Opernbühne.

Treffend lyrisch sind denn auch die männlichen Rollen mit Christoph Strehl als Eginhard, Michael Volle als Roland und Jonas Kaufmann als Fierrabras geprägt, während sich Joanna Kozlowska und Liuba Chuchrova Schubert mit dramatischerem Ansatz zu nähern versuchen. Und tatsächlich ungeahnt sind die Schätze dieser Partitur. Vom Strophenlied über wunderbare Duette und innigste Chorsätze (unvergesslich der A-cappella-Männerchor!) bis zu Kuriosa wie einem Mauerschau-Melodram reicht das Spektrum. Dass das Ganze dennoch kein «Wurf» im Sinne eines präzis kalkulierten Dramas ist, lässt sich freilich auch nicht überhören. Nicht nur die Unbeholfenheit einer gleich dreimal verwendeten signalhaften Ferntrompete - seit Beethovens «Fidelio» ein für immer belastetes Symbol - zeugt von verschiedentlich gescheitertem Bemühen um dramatische Schärfung. Doch äusseres Drama ist in diesem Stück trotz seiner bombastischen Bezeichnung als «heroisch-romantische Oper» letztlich nebensächlich.
Was hier geschieht, spielt sich innen ab, ist eingeschlossen in die ihrerseits verschlossene Psyche des Komponisten und in die privaten Innenräume des Biedermeiers, wo sich das gesellschaftliche Leben im Wien der 1820er-Jahre entfaltete, während draussen eine repressive Monarchie restauriert wurde. So sieht es jedenfalls Regisseur Claus Guth. Und so findet die Schubert-Faszination vielleicht auch ihre Analogie in einer Gegenwart, in der sich gesellschaftliche Dynamik wiederum von Strassen und Plätzen in die Räume privater Klubs und hinter die Bildschirme gut vernetzter Büros und Wohnzimmer zurückgezogen hat.

Erfundene Sprechrolle

Was also alles an Königen, Rittern und Prinzessinnen im Stück auftritt, lässt Guth sich in einem mit überdimensionalem Mobiliar bestückten Biedermeiersalon versammeln (Ausstattung: Christian Schmidt). Wir wohnen einer Schubertiade bei, der Komponist spielt mit Freunden sein Werk, verteilt Notenblätter an die zunächst ahnungslosen Akteure, organisiert die Auftritte, spricht Schlüsselstellen des Textes - «Sehnsucht», «Ohnmacht», «Frühes Verderben» - selber und nimmt zusehends stilleren inneren Anteil. Wolfgang Beuschel spielt diese erfundene Sprechrolle und wird mit seiner Präsenz, mit der minimalen Gestik konzentrierten Ernstes und einer Mimik der viel sagenden Verschlossenheit zum zentralen Angelpunkt der Inszenierung. Was dieser Schubert in seinem Salon inszeniert, ist natürlich behelfsmässig und dilettantisch. Holzschwerter und -bäumchen müssen genügen, seine Freunde sind wohlwollende, aber keine begnadeten Schauspieler. Doch allmählich gewinnt die Geschichte ihre eigene Dynamik, der übergrosse Flügel entschwebt, der Salon wird wirklich zur Bühnenwelt. Worum es darin geht, wird klar: um Sympathie, um Freundschaft. So sieht es auch Josef Kup-pelwiesers trotz unsäglicher Verse aussagekräftiges Libretto vor.

Während die königlichen Väter Karl der Grosse (László Polgár wie gewohnt nobel und souverän) und der Maure Boland (Rolf Haunstein als ein milder Bösewicht) im ritterlichen Streit liegen, befreunden, verlieben sich ihre Kinder über alle Feindesgrenzen hinweg. Freundschaft, der private Ersatz für nicht vorhandene bürgerliche Gemeinschaft, siegt zuletzt über die überkommenen Ehrbegriffe der Väter, die in deren Namen eben noch ihre eigenen Kinder verurteilt und eingesperrt haben. Schuberts eigener Vaterkonflikt wird dabei ebenso zum Thema der Inszenierung wie seine eigene Sehnsucht nach Ruhe. Im Übrigen aber deutet die Regie nur diskret - und lässt dafür Zeit. Zeit für Musik, für Sehnsüchte und Sympathie.
 
Foto: Copyright: Suzanne Schwiertz, Zürich






 
 
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