Neue Luzerner Zeitung, 26. 2. 2002
Von urs mattenberger
Il ritorno di Ulisse in patria, Zürich, 24. Februar 2002
Schmerz im Pianoschatten
Zurück mit Monteverdi: Auch in der aktuellen Produktion der «Rückkehr des Odysseus» ist Harnoncourts Dirigat das Ereignis - vor der Neuinszenierung durch Klaus Michael Grüber.
Der Zürcher Monteverdi-Zyklus der Siebziger war auch ein epochales Ereignis, weil am Beispiel dieser frühbarocken Opern die Vorteile einer historisch orientierten Aufführungspraxis frappant deutlich wurden: in einem Aufführungskonzept, das die nur «skizzenhaft» überlieferte Partitur (Singstimmen und Generalbass) nicht pauschal orchestrierte, sondern mit einer farbig wechselnden Instrumentierung den nahtlos wechselnden Tonfällen von Monteverdis (Sprech-)Gesang Rechnung trug. Seither hat Harnoncourt auch in Zürich seine Vorstellung von musikalischer «Klangrede» weiterentwickelt: Profitierten die Werke der Romantik von der heftig geschärften Artikulation, das einseitig als Markenzeichen von Harnoncourts frühem Originalklangmusizieren galt, so fand der Dirigent in Werken wie Webers «Freischütz» oder Beethovens «Fidelio» zu einer Magie der langsamen Tempi und der Zwischentöne, die das Klischee vom ruppigen Dramatisierer endgültig widerlegten. Die neuerliche Premiere von Monteverdis «Il Ritorno d'Ulisse in Patria» zeigte am Sonntag, wie diese in romantischer Musik gewonnenen Erfahrungen auf die Beschäftigung mit älterer Musik zurückwirken. Das Grundkonzept ist gleich: Die Continuogruppe ist reich und farbig besetzt, die Instrumentierung passt sich beweglich den dramatischen Situationen und Befindlichkeiten an. Das Spektrum reicht vom Posaunenpathos Neptuns über prachtvoll mit Geigen und Holzbläsern ausstaffierte Tänze bis zum fragilen Flüsterton von Lauten und Harfen in den Momenten intimer Trauer und Verzweiflung. Gerade in diesen intimen Szenen führt die neu gewonnene Geschmeidigkeit und Sensibilität zu neuer Eindringlichkeit. Die Verlorenheit des Odysseus, den es zu Beginn unwissentlich an die Gestade seiner Heimat Ithaka verschlägt, und der Schmerz der wartenden Penelope, die selbst die Freier nur mit ihrer Angst vor neuer Verletzlichkeit vom Leib halten kann, sind Beispiele eines seismografisch genauen psychologischen Musiktheaters: Hier scheint die Zeit stillzustehen, die Stimmen wachsen aus der Stille heraus und sinken, nach emotionalen Aufschwüngen, verlöschend dahin zurück. Auf der anderen Seite bleibt Harnoncourt dramatischen Ausbrüchen weiterhin nichts an Drastik schuldig - wo Odysseus sich zu erkennen gibt und die Freier erschiesst, lärmt das glänzend disponierte Opernorchester wie eine Rasselmaschine los. Oper also ohne jede Künstlichkeit und wie aus dem Leben gegriffen: Das Sängerensemble setzt dieses zwischen Entmaterialisierung und Derbheit oszillierende Konzept erstaunlich geschlossen um, obwohl keine Barockspezialisten zugezogen wurden. Vesselina Kasarova bringt das Kunststück fertig, die Leidensgestalt der Penelope ganz ins Zentrum zu rücken, ohne dass ihr abgedunkelter Mezzosopran je nennenswert aus dem Pianoschatten heraustritt, der über der Figur liegt. Dietrich Henschels Bariton spannt als Ulisse einen imposanten Bogen von tonloser Klage zum kraftvollen Zornesausbruch, und auch die weiteren Stimmen des exzellenten Ensembles geben jeder der zahlreichen Rollen eigenes Profil (hervorzuheben unter anderem Jonas Kaufmann als Telemaco, Malin Hartelius als vokal strahlende Melanto oder Rudolf Schasching als urkomischer Iro).

Elementar
Zurück zum Elementaren: Das gilt im Wesentlichen auch für die Inszenierung von Regiealtmeister Klaus Michael Grüber. Die kosmische Leere und Weite von Meer und Himmel, in die auf Gilles Aillauds Bühne die allegorischen Figuren des Prologs geworfen sind, bleibt den ganzen Abend spürbar, selbst da, wo die Kostüme (Eva Dessecker) und ein weiss gekacheltes Mauerelement für mediterranes Kolorit sorgen und mit der Idee des barocken Welttheaters (mit Jupiter und Neptun als Clochards) kokettieren. Ganz nah an der Musik ist die Figurenregie - im Fall von Penelope und Ulisse mit stilisierten und doch natürlich wirkenden Bewegungen, in den Genreszenen am Hof mit der Unbeschwertheit der tänzerischen Impulse von Monteverdis Musik. Insgesamt ein grandioser Musiktheaterabend jenseits aller Fragen nach Epoche und Stil.






 
 
  www.jkaufmann.info back top