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Stuttgarter Zeitung,
03.09.2002 |
von Stephan Turowski |
Fidelio, Stuttgart, Liederhalle
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Kein holdes Weib
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Rilling dirigiert Beethovens "Fidelio" in der
Liederhalle |
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"Wären
Liebende heute bereit, für den Geliebten zu sterben?" In seinem neulich
erschienenen Essay "Plädoyer für den Liebestod" hat Norbert Kron von einer
aktuellen Krise des Liebesromans gesprochen. Der herrschende,
marktwirtschaftlich gelenkte "Beziehungspragmatismus", der alles, auch den
Seitensprung, dulde, mache es zunehmend schwierig, über große Passionen zu
schreiben und zu sprechen; der traditionelle Liebesroman wie Tolstois "Anna
Karenina" habe noch nach dem Muster funktioniert: "Große, leidenschaftliche
Liebe läuft den Normen des bestehenden Sittengesetzes zuwider und ist
deshalb zum Scheitern verurteilt."
Aus dieser Sicht ist Beethovens Konzept der Liebe in seinem "Fidelio", den
Helmuth Rilling in Ernst Poettgens halb szenischen Fassung im ausverkauften
Beethovensaal präsentierte, eine Utopie ganz eigener Art. Denn eine Figur
wie Leonore erfüllt das so genannte Sittengesetz gerade dadurch, dass sie
grenzenlos, gegen alle (Geschlechter-)Konventionen, lieben und darauf
bestehen kann, mit dem Geliebten zu leben - und sich nicht für ihn opfern zu
müssen.
Poettgen hat versucht, diese im Kern unkonventionelle Geschichte
unkonventionell zu erzählen, indem er alle gesprochenen Dialoge gestrichen
und sie durch Zwischentexte ersetzt hat, die von einem Chronisten-Paar als
eine "Chronologie in Dokumenten" erzählt werden. So sollte die Bühne wohl
als ein dezentrierter Raum greifbar sein, mit den beiden Erzählern auf einem
erhöhten Podest ganz rechts, einem in der Bühnenmitte - hinter dem Orchester
- für Ensembleszenen der Sänger und zwei im Vordergrund für Soloszenen oder
Duette.
Dieses Konzept ging nicht auf. Denn die Zwischentexte Poettgens, die das
Geschehen anhand fiktiver Dokumente oder Tagebuch-Fragmente aus der Sicht
von Rocco und Marzelline sachlich bis perspektivisch darstellen sollten,
hatten den paradoxen Effekt, dass die meisten Sänger, räumlich voneinander
isoliert, in eine Rampen-Gestik verfielen, die an schlechte Operngalas
erinnerte. Amanda Mace, die Leonore des Abends, sank bereits bei ihrer
ersten großen Arie "Abscheulicher! Wo eilst du hin?" in die Knie. Ein
Pathos, das als Engagement sympathisch wirkte, das der Unerbittlichkeit und
Strenge der Liebe Leonores aber durch Affektverdoppelung nicht näher kam,
zumal Mace bei leuchtenden Phrasen wie "Die Liebe wird's erreichen"
forcieren musste und dadurch die Hornlinien in den Hintergrund drängte.
Dabei hätte eine moderne konzertante Aufführung wie diese die Möglichkeit
geboten, einmal das Orchester als eigenständigen Faktor in den Vordergrund
zu stellen, in Anlehnung etwa an einen Gedanken Wolfgang Rihms, der 1986 in
einem Zeitungsartikel betont hatte: "Die rituelle Energie eines oder
mehrerer Menschen im Akt der Klangerzeugung ist Theater-Potential, das im
Orchestergraben ungenutzt abfließt, verloren geht. Der Klang ist Akteur,
seine Hervorbringung kann komponierte Aktion sein, Handlung."
Rilling und das Orchester wurden dagegen ins Halbdunkel verbannt, das
besonders die Bläser des Festival-Orchesters über weite Strecken zu zögernd
und unauffällig agieren ließ, zu wenig ermuntert und hervorgelockt von
Rilling, der an einem hauptsächlich pauschalen und homogenen Klangbild
interessiert schien. Das aber reicht nicht für magische Momente wie den, als
Leonore auf Geheiß des Ministers ihrem Florestan die Ketten löst - und
Beethoven diesen unvergesslichen Augenblick sich zuerst in den Oboen und
Flöten vollziehen lässt: Wenn solche Passagen - wie auch die zu hell und
leicht genommene Einleitung zum Quartett im ersten Akt - nicht überwältigend
musiziert werden, wirken sie wie nicht gespielt.
Dass es anders geht, zeigte Rilling in der Einleitung zu Florestans großer
Arie "Gott! Welch Dunkel hier!", die vom Abgrund gezeichnet war, mit
scharfen Akzenten in Holzbläsern und Hörnern. Dass es an dieser Stelle im
Orchester drastisch genug zuging, hatte Rilling vor allen Dingen der
Ausstrahlung des Tenors Jonas Kaufmann zu verdanken, der, neben Sibylla
Rubens als Marzelline und James Taylor als Jaquino, als einziger Solist
internationalen Ansprüchen genügte. Vom anfangs gehauchten "Gott!" bis
zur manisch suggestiven Vision des Engels "Leonoren, der Gattin, so gleich"
überzeugte Kaufmann durch eine fundierte Stimme, die nie Moment angestrengt
wirkte. Dietrich Henschel, vor der Aufführung als indisponiert
entschuldigt, wirkte als Pizarro zu leicht im Gestus, während Franz-Josef
Selig den Rocco eher zu schwerfällig und ohne Witz präsentierte. |
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