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Opernwelt 11/2000 |
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Paër: Leonora, Winterthur, Premiere 9. September 2000
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Die gezähmte Widerspenstige, Paers "Leonora" in Winterthur
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Die Hauptarbeit müssen wir mit dem ersten Ton leisten,
und sie ist nicht leicht zu erledigen: Beethovens "Fidelio" für drei
Stunden aus dem akustischen Gedächtnis streichen, die Musik für sich hören
und Vergleiche erst danach ziehen. Wem das nicht gelingt, wer beide Stücke
immer wieder im inneren Ohr übereinander blendet, der bekommt Paer nicht
zu greifen. Wem es gelingt, der hat am Ende eine Menge erfahren: über das,
was damals zwischen Paris, Mailand und Wien in der Opernluft lag und wie
man es zur Explosion bringen konnte - und nicht zuletzt über den
"Fidelio". Oder anders herum: Gerade, weil Beethovens einzige Oper kein
glatter Wurf ist, sondern ein Gebilde aus Schrunden, divergierenden
Fassungen und Selbstsuche, hat die Bekanntschaft mit Paer Gewicht.
Wer war dieser Mann, dessen Noten heute in den Archiven verstauben, obwohl
sie fast so virtuos wirbeln können wie Rossini, fast so viel Poesie
entfachen können wie Mozart und fast soviel Wucht haben wie Cherubini? Ist
es dieses "fast", das ihn ins Aus der Musikgeschichte befördert hat?
Dieses stilbewusste Schreiben zwischen allen Stilen? Geboren wurde er in
Parma - wenige Monate nach Beethoven. Robert Schumann war einer seiner
Schüler. Mit und gegen Rossini trat er in Paris an. Er muss - in Wien,
Dresden und Paris gehörte das zu seinem Aufgabenbereich - ein
hervorragender Orchestererzieher gewesen sein. Man hört das seiner
"Leonora" an. Da fordert er die Musiker in damals unüblicher Virtuosität,
verzahnt vokale und instrumentale Stimmen, setzt damit auch beim
Dirigenten absolute Souveränität voraus. In Dresden, als Hofkapellmeister,
auf dem Höhepunkt seiner Karriere, schrieb er diese "Leonora" 1804. Das
Libretto geht, wie das von Sonnleitner für Beethoven geschriebene, auf
Jean Nicolas Bouilly zurück. Wir kennen also, auch wenn bei Paer
italienisch gesungen wird, jeden Satz. Und doch ist alles ganz anders.
"Leonora" trägt den Untertitel "Fatto storico", der historische Bezug
spielt trotzdem keine Rolle. Wichtiger bleibt das Selbstverständnis als
"semiseria": Marcellina wird dadurch aufgewertet, sie platzt als rettender
Engel ins Gefängnis. Elizabeth Magnuson spielt in Winterthur eine
quietschfidele Wasserstoffblondine und bewältigt den anspruchsvollen
Vokalpart mit Schmelz und Selbstironie. Jacob Will, stimmlich weniger
souverän, darf als Giachino mit huffonesker Hartnäckigkeit um sie werben.
Am Ende bekommt er sie auch: seine gezähmte Widerspenstige.
Der Bruch zwischen Kleinbürgerenge und ausladender Utopie, an dem der
"Fidelio" in vielen Aufführungen krankt, bereitet Paer keinerlei Probleme.
Erstaunlicherweise auch der Schweizer Erstaufführung nicht, die das
Opernhaus Zürich in Winterthur ausrichtet. Die Mittelwand der von Renate
Martin und Andreas Donhauser gebauten Drehbühne lässt sich verschieben und
zeigt die Korrespondenz zwischen Gefängnis und Alltag - oft mit viel
Ironie. Der Wäscheständer im Hofe Rocco funktioniert genauso automatisch
wie die Sicherheitstüre des Staatsgefängnisses. Und spätestens wenn eine
Gruppe schriller Teenies ihre Bekannten hinter Gittern besucht, wissen
wir: In dieser Welt kann jeder ganz schnell Staatsgefangener werden.
Paers Figuren sind keine Ideenträger' (ein Chor als oratorisches
Ausrufezeichen stand ihm überhaupt nicht zur Verfügung), sondern
psychologisch plausible Gebilde aus Fleisch und Blut. Dort setzt Regisseur
Michael Sturminger an. Er erzählt zunächst einmal klar die Geschichte von
Leonoras Verwandlung in Fedele und entwickelt dann mit seinen
Protagonisten Station für Station des Dramas. Dabei bleiben Julia Isaev
und Jonas Kaufmann immer natürlich. Sie findet schöne vokale Bögen,
erinnert in ihrer stillen Konzentration und nicht nur wegen der
Gesichtszüge an Vesselina Kasarova. Er gehört ohne Frage zu den
begabtesten lyrischen Tenören seiner Generation. Das dunkel leuchtende
Timbre bleibt sofort im Gedächtnis haften. Manchmal klingt ein Heroismus
durch, der auf Beethovens Florestan zu zielen scheint und den Paer nicht
meint. Hoffentlich ist hier nicht der Wunsch der Vater des Klanges: Wenn
Kaufmann im lyrischen Fach bleibt, wird er kaum Konkurrenz zu fürchten
haben. Dem Rocco gesteht Paer weniger Profil zu als Beethoven (seine Arie
entfällt), und Oliver Widmer bekommt die Rolle auch nicht klar in den
Griff.
Schwerer hat es allerdings Pizzarro, der sich bei Paer mit zwei "zz"
schreibt und als koloraturgesättigte Tenorpartie ausfällt. Ein Prinzip des
Bösen kann so kaum aus ihm werden. Auch zum Tyrannen nach Prinzip der
Opera seria fehlt ihm die Musik. Die Partie (von Roberto Iuliano nicht
ganz bewältigt) zeigt am deutlichsten, wieviel Innovationskraft in
Beethovens Version des Stoffes steckt. Allein an der Behandlung der
Koloraturen ließe sich Beethovens neuer Weg hier festmachen und auch
daran, wie er den musikalischen Moment mit Bedeutung auflädt. Andererseits
ist uns nach den Revivals von Rossini und Barockoper ein Aufbau, bei dem
dramaturgische Stringenz nicht das Maß aller Dinge ist, wieder näher
gekommen. Und wenn man hört, wie Paer in Fedeles Arie die Hörner einsetzt,
wie dann - zur Wiedervereinigung des Protagonistenpaares - die Flöte ihren
großen Solomoment hat, dann öffnet sich ein ganzes Panorama der Oper
zwischen Cherubini und Cimarosa. Das Musikkollegium Winterthur unter
Nicholas Cleobury ist sich dessen wohl bewusst und hört in die Klangfarben
sensibel hinein.
In Beethovens Nachlass fanden sich die Noten zu Paers "Leonora". Und warum
enthalten uns so viele Theater vor, was ihm wichtig war und weiterhalf?
Statt eines mühsam gewuchteten "Fidelio" wäre das brillant bewältigte
Kammerstück der "Leonora" oft die bessere Lösung. |
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