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Die Presse, 2. Dezember 2023 |
von Judith Hecht |
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Jonas Kaufmann: »Ich mache mich doch nicht verrückt«
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Wenn man Blut und Wasser schwitzt, weil man nicht weiß, ob man den Abend zu
Ende bringen kann, ist das nicht der richtige Beruf«, sagt der Tenor Jonas
Kaufmann. Der Sänger hat gesundheitlich ein sehr schweres Jahr hinter sich.
Nun steht er wieder auf der Bühne der Wiener Staatsoper und singt in
„Turandot“.
Sie befinden sich mitten in den Proben von
Giacomo Puccinis Oper „Turandot“. Asmik Grigorian (Anm.: Sie singt die
Turandot) sagt: „Der Druck ist groß. Diese Rolle könnte mich umbringen!“
Können Sie nachvollziehen, was sie meint?
Ja. Diese
Musik ist toll, aber auch gefährlich. Sie fordert uns allen alles ab. Man
fängt nicht langsam an und arbeitet sich hoch, sondern muss auf Knopfdruck
funktionieren. Die Sopranistin kommt auf die Bühne und beginnt – quasi kalt
– mit ihrer großen Arie. Meine vierte Note ist bereits ein b. Die Partie des
Calàf ist keine, in der ich mich baden kann, sie ist mehr ein
Nischenprodukt. Darum habe ich auch lange damit gewartet. Und ich gebe zu,
im Vorfeld hatte ich meine Bedenken, weil wir hier Alfano I, das ist die
Fassung mit dem langen Finale, singen. Ich bin ein Fan dieser Fassung, weil
sie für mich die viel glaubwürdigere ist, aber stimmlich gehört sie zum
Schwierigsten, was je geschrieben wurde. Aber um auf Asmik zurückzukommen:
Sie hat viele unerwartete Rollendebüts gegeben, und es gab mehr als einen
Fachmann, der ihr nur eine kurze Karriere prophezeit hat. Aber sie singt
heute großartig, und sie wird auch die Turandot wunderbar singen.
Würden Sie denn eine Rolle singen, von der Sie das Gefühl haben,
sie könnte Sie „umbringen“?
Wenn ich dieses Ge ühl
hätte, würde ich sie nicht oder noch nicht machen. Ich bin immer ein sehr
konservativer Sänger gewesen, was die Auswahl meiner Stücke betrifft. Ich
habe immer gewartet bis zu dem Tag, an dem ich gespürt habe, genug Erfahrung
gesammelt zu haben, um solche Partien zu meistern, ohne mir nachher denken
zu müssen: „Oh Gott! Das habe ich jetzt gerade mal geschafft.“ Ich will nach
einem Stück sagen können: „Gerne noch einmal.“ Das ist mir fast immer
gelungen. Nur bei wenigen Partien war es anfänglich schwierig. Bei meinem
ersten Otello war es so. Da habe ich am Anfang zu viel gewollt, zu viel Gas
gegeben. Statt dass man seiner eigenen Stimme und seinem Können vertraut,
will man noch einen draufsetzen, weil man so einen hohen Anspruch hat. Das
ist bei „Turandot“ sicher auch so, man möchte sofort alles Pulver
verschießen. Aber meine Erfahrung hilft mir, das nicht zu tun, denn ich
weiß, der Abend ist lang.
Sie sagten, Sie haben immer auf
den richtigen Zeitpunkt für eine Rolle gewartet. War das auch möglich, als
Sie am Beginn Ihrer Karriere standen?
In den ersten
Jahren im Festengagement habe ich erlebt, dass man mir die Partien
vorgesetzt und gesagt hat. „Jetzt mach das, das schaffst du.“ Das hat mich
aus der Bahn geworfen. So kann ich nicht arbeiten, ich muss die Rolle selbst
wollen und mir zutrauen. Und ich hatte Vertrauen in meine Karriere, ich war
überzeugt, lang genug Zeit zu haben, um noch vieles machen zu können.
Schön, dass Sie von Anfang an so ein Selbstvertrauen hatten.
Es hat nichts mit Überheblichkeit zu tun. Ich denke, wenn man dieses
Urvertrauen nicht hat, ist man in diesem Genre fehl am Platz. Und natürlich
muss ich mit Druck zurechtkommen. Aber ich habe ihn mir selbst auferlegt,
ich wollte Karriere machen, ich hätte ja auch in einem festen Engagement
bleiben können. Dann hätte ich zwar weniger Druck, aber wahrscheinlich
irgendwann keinen Spaß an meinem Beruf mehr gehabt.
Der
Bariton Andrè Schuen sagte, früher habe er auf dem Weg zur Vorstellung das
Gefühl gehabt, zu seiner eigenen Hinrichtung zu gehen. Ein Albtraum!
Wenn man Blut und Wasser schwitzt, weil man nicht weiß, ob man den Abend
zu Ende bringen kann, ist das nicht der richtige Beruf. Warum bin ich Sänger
geworden? Erstens, weil ich gerne Musik mache, und zweitens, weil ich vor
Leuten etwas darstellen will. Man muss es genießen, da draußen zu stehen.
Tun Sie das immer?
Ja. Die
Grundsatzvoraussetzung, das zu können, ist die Technik. Ich hatte einen
Lehrer, der sagte zu mir: „Wenn ich dich um drei Uhr in der Nacht aus dem
Bett schmeiße, musst du das Hohe C sofort singen können, ohne überhaupt
darüber nachzudenken.“ Er hatte vollkommen recht. Man muss sich so sicher
sein, dass es gar nicht zu dem Moment kommt, an dem ich denke: „Werde ich es
schaffen?“ Wenn ich auf der Bühne stehe, genieße ich es, weil ich mir sicher
bin. Das hat natürlich damit zu tun, dass ich mich so gut einschätzen kann,
um zu wissen, wann ich besser nicht auftrete, etwa weil ich erkältet bin. So
erspare ich mir schlechte Erfahrungen, die, wenn sie sich wiederholen, zu
einem Teufelskreis führen können, aus dem man nicht mehr leicht rauskommt.
Apropos rauskommen: Sie haben gesundheitlich schwere Monate
hinter sich und haben kein Hehl daraus gemacht.
Stimmt,
das war alles vollkommen skurril. Ich habe lange an der ganzen Sache
laboriert, ohne zu wissen, was ich eigentlich habe. Ich hatte einen starken
Husten und war vollkommen verschleimt. Hätte ich als Sänger nicht so eine
Überkapazität der Lunge, wäre ich bei jedem Schritt außer Atem gewesen. Ich
bin von einem Arzt zum anderen und jeder sagte etwas Neues: Von Reflux,
Lebensmittelunverträglichkeit, Allergie bis zum Nasal-Drip-Syndrom wurde
alles diagnostiziert. Keine Behandlung half, auch nicht Schonung und ein
langer Aufenthalt am Meer. Da kamen dann schon Selbstzweifel. Ich habe mich
gefragt: „Mache ich etwas falsch? Habe ich die Technik verändert?“ Bis man
endlich herausfand, dass sich ein multiresistenter Bakterienstamm in meiner
Lunge sehr wohlgefühlt hat, der überhaupt nur auf zwei Antibiotika reagiert.
Die musste ich dann über vier Wochen hoch dosiert nehmen, die Nebenwirkungen
waren grauslich. Teilweise habe ich sie noch heute.
Aber
sie haben auch gewirkt.
Schon am dritten Tag! Auf
einmal konnte ich wieder atmen. Aber ich durfte mit den Medikamenten erst
aufhören, als die Bakterien wirklich alle weg waren. Also es war sehr
mühsam, aber es hat sich gelohnt. Wäre mir so ein Rückschlag vor 15 Jahren
passiert, ich weiß nicht, ob ich so ruhig geblieben wäre.
Wie ist Ihnen das jetzt gelungen?
Ich bin in der
glücklichen Position, dass es so viele von meiner Sorte auf dem Markt nicht
gibt. Ich könnte auch zwei Jahre Pause machen, und trotzdem würden mir die
Theater noch Verträge anbieten. Als jüngerer Sänger wäre das nicht so
gewesen, dann fängt man wieder von vorn an und versucht, Vertrauen
aufzubauen. In dieser Not lebe ich nicht, und ich muss auch niemandem mehr
etwas beweisen. Das heißt aber nicht, dass mir egal ist, ob ich singe oder
nicht. Im Gegenteil.
Aber Sie werden nicht bei jedem
Luftzug panisch oder haben Angst, sich anzustecken, wenn Ihr vierjähriger
Sohn einen Schnupfen hat?
Nein, das habe ich bei meinen
drei großen Kindern schon durchexerziert. Den vielen Infekten, die sie aus
dem Kindergarten mitbrachten, konnte ich mich nicht gänzlich verschließen.
Ich kenne Kollegen, die kommen, nachdem sie vier Wochen weg waren, lieber
nicht fürs Wochenende nach Hause, wenn jemand in der Familie erkältet ist.
Also das habe ich nie übers Herz gebracht. Warum habe ich dann eine Familie?
Ich bin ohnehin so viel weg. Aber natürlich achte ich darauf, gesund zu
leben, ich ernähre mich gesund, schlafe genug und...
...
trinken vier bis fünf Liter Wasser am Tag. Warum?
Ein
normaler Mensch verliert allein über die Atmung einen halben Liter am Tag.
Beim Singen verliert man viel, viel mehr. Darum ist das Trinken so wichtig,
damit die Stimmbänder nicht trocken werden. Das kann man aber nur erreichen,
indem man schon lang vor der Vorführung viel Wasser trinkt. Es nützt nichts,
wenn ich erst fünf Minuten davor ein Glas trinke. Was man tagsüber trinkt,
rettet einen über den Abend.
Zucker essen Sie auch wenig.
Wegen der Stimme?
Zucker ist grundsätzlich nicht
gesund, aber er ist auch für die Stimme nicht ideal, weil er Schleim
produziert. Ich kenne Sänger, die sagen, sie können nicht mehr singen, wenn
sie Zucker in irgendeiner Form während der Vorstellung zu sich nehmen. Ich
kenne aber auch Sopranistinnen, die essen den ganzen Abend Zuckerstücke,
weil sie die Energie brauchen. Also es ist bei jedem anders. Ich esse in den
Pausen gern Kekse.
Aber die Brösel?!
Mein Gott, die paar Brösel. Natürlich, man kann sich an allem
verschlucken. Aber wenn man normal kaut und etwas trinkt, was soll
passieren? Ich mache mich doch nicht verrückt.
Ab
September 2024 sind Sie künstlerischer Leiter der Festspiele in Erl. Eine
neue Aufgabe. Ist sie auch zukunftsweisend?
Neu ist
sie, aber dahinter steht nicht der Plan, jetzt einmal mit einer Intendanz zu
beginnen, um mich so langsam aufs Altenteil zurückzuziehen. Das habe ich
nicht vor, dazu bin ich viel zu umtriebig. Aber diese Aufgabe hat mich immer
schon gereizt, zumal ich auch als Kritiker gegenüber so manchen
Proklamationen aufgetreten bin. Es hat mich immer irritiert, wenn ein
Repertoirehaus ein Stück ansetzt, weil es ein Regisseur unbedingt will, ohne
das Ensemble dafür zu haben. Ich kann doch meine künstlerischen Ressourcen
nicht einfach außer Acht lassen. Und auch nicht die Frage, ob ich fürs
Feuilleton spiele oder für das Publikum.
Wie werden Sie
es halten?
Eine Mischung davon, ich will das Rad nicht
zurückdrehen und konservatives Theater machen. Ich glaube nur, dass man im
Bemühen, unsere Kunstform immer auf dem modernsten Stand zu halten, etwas
aus den Augen verloren hat, wofür man Kunst macht. Und man macht es nicht,
weil der Regisseur, der Bühnenbildner oder auch der Sänger noch ein weiteres
Glanzlicht braucht, sondern um die Menschen zu unterhalten. Wenn dieser
Faktor keine Rolle mehr spielt, haben wir unser Ziel verfehlt. Es muss darum
gehen, das Publikum zu unterhalten. Und nicht nur zwei Zuschauer, die sich
auf die Schenkel klopfen, weil sie die Anspielungen der Inszenierung
verstanden haben, nachdem sie schon 25 Produktionen von dem Stück gesehen
haben. Ich finde das so respektlos dem Komponisten gegenüber, der sich so
viele Gedanken gemacht und eine emotionale Welt zu einer Geschichte erfunden
hat. Ihn einfach auszubooten, nur um etwas Neues zu präsentieren, das gar
nicht passt, das mag ich nicht.
Was heißt das nun für
Erl?
Mein Vorgänger Bernd Loebe ist jemand, der den
Ensemblegedanken hochgehalten hat. Trotzdem ist Erl ein Festival, ich habe
die Künstler nicht ganzjährig zur Verfügung. Ich muss mir also etwas
überlegen, um allem gerecht zu werden. Aus der Kuhn‘schen Tradition heraus
(Anm.: Gustav Kuhn war von der Gründung der Festspiele in Erl bis 2018 deren
Intendant.) wurde Richard Wagner auf eine sehr konventionelle Art und Weise
gemacht.
Die Kuhn’sche Ära ist vorbei.
Schon, aber den Respekt für die Stücke will ich jedenfalls behalten.
Werden Sie in Erl auch selbst singen?
Ich will nicht „ja“ und nicht „nein“ sagen. Ziel meiner Intendanz ist nicht,
dass ich dort auftrete, aber es wird wohl nicht ausbleiben. Ich kann mir
vorstellen, beide Rollen miteinander zu verbinden. Dann kann ich meiner
Agentur gegenüber auch leichter argumentieren, dass ich viel Zeit in Erl
verbringen muss. Wenn ich „nur“ Intendant bin, hat sie ja nichts zu tun.
Herr Kaufmann, darf man Sie auch fragen . . .
1....ob Ihre Frau tatsächlich einen Deutschtest machen musste, um
Österreicherin zu werden?
Zuerst hieß es, sie müsse
einen machen, obwohl Deutsch ihre Muttersprache ist. Als sie den Behörden
mitteilte, dass sie, um in Wien ihr Studium abzuschließen, auch eine
Diplomarbeit – auf Deutsch – verfasst habe, wurde auf den Test verzichtet.
Dennoch hat sie sehr viel für die Prüfung, die man machen muss, um die
österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten, gelernt.
2....ob Ihnen Salzburg, wo Sie nun leben, nicht manchmal zu klein ist?
Salzburg ist eine kleine Stadt, keine Frage. Aber ich bin ohnehin immer
in den Metropolen der Welt unterwegs. Und das Angebot, das ich für meine
Familie und mich brauche, ist in jeder Hinsicht groß genug. Meine drei
älteren Kinder sehe ich nun viel häufiger, weil ich, egal, woher ich komme,
immer in München lande.
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