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Mannheimer Morgen |
VON STEFAN M. DETTLINGER
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Startenor Jonas Kaufmann: „Prince war mein Vorbild“
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Er glaube mehr an Gott als an die
Kirche, sagt Startenor Jonas Kaufmann im Interview - und verrät: als
Teenager hat er sich auch an Michael Jackson und Prince versucht. Mit „It’s
Christmas“ kommt er nun nach Mannheim.
Herr
Kaufmann, Sänger sind mitunter der Meinung, sprechen schade dem Singen.
Wollen Sie Ihre Antworten durchs Telefon singen?
Jonas Kaufmann: (lacht sonor) Ja, genau, schön wär’s.
Singen Sie überhaupt um diese Uhrzeit?
Kaufmann: Man muss. Wir hatten gestern um 10 Uhr eine
Bühnenorchesterprobe. Da kann ich schlecht sagen, ich komme erst um zwölf.
Sie sind ein gefragter Star: Sie könnten!
Kaufmann: Es gibt schon Proben, zu denen man später dazu
bestellt wird. Ich sage dann immer: Das könnt ihr doch nicht machen. Gerade
proben wir in Neapel „Otello“. Wenn Desdemona und Jago bestellt sind und ich
eine Stunde später - was macht das denn für einen Sinn?
Ist
Bauchpinseln nicht ein schönes Gefühl?
Kaufmann: Ich mag das
eigentlich gar nicht. Ich versuche, meine Leistung, das, was man von mir
erwartet, zu bestätigen. Das beinhaltet aber kein schlechtes Benehmen.
Okay, dann falle ich mal mit der Tür und der Gretchenfrage ins
Haus: „Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“ Also: Glauben Sie an Gott?
Kaufmann: Ja. Das tu ich. Ich bin christlich erzogen
worden, bin aber ein moderner Mensch. Ich glaube mehr an Gott als an die
Institution der Kirche. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Da haben wir etwas gemeinsam. Mit Ihrem Programm jedenfalls sagen
Sie ja It’s Christmas! Da steckt Christus drin. Was bedeutet Ihnen
Weihnachten?
Kaufmann: Die große Frage ist:
Was bedeutet es den anderen? Es gibt ja unterschiedliche Motivationen,
Weihnachten zu feiern. Weil es dunkel ist und man gern Kerzen anzündet. Weil
einem der Fassaden kletternde Weihnachtsmann so gut gefällt. Also ich habe
das Gefühl, weniger und weniger Menschen begreifen, dass es sich dabei
wirklich um die Geburt Christi handelt. Es ist extrem kommerzialisiert
worden. Wie alles andere auch. Ich versuche, das relativ sportlich zu sehen.
Wir sollten uns schon glücklich schätzen, wenn die wahrscheinlich vorwiegend
atheistische nächste Generation noch ein paar Schmankerl aus der
christlichen Historie erhalten will.
Ist Ihr Album „It’s
Christmas“ in der Extended Version nicht auch Kommerz?
Kaufmann: Selbstverständlich will meine Plattenfirma damit
Geld verdienen. Nur: Was ist die Alternative? Ich nehme kein Album auf und
gebe den Menschen nicht die Möglichkeit, meine Stimme live mit
Weihnachtsliedern zu hören? Die einzige Alternative wäre, dass man das Album
verschenkt. Aber da müsste ich erst mal jemanden finden, der das Projekt
finanziert. Es ist immer ein Kompromiss. Und wenn ich jetzt acht Titel mit
einem neunten erweitere und das dann als Extended Version verkaufe, dann
könnte ich auch nicht mehr in den Spiegel schauen. Aber wir haben ja
ordentlich zugelegt.
Das stimmt. Und Sie machen das mit der
Deutschen Staatsphilharmonie in Mannheim. Sind Sachen wie „Süßer die Glocken
nie klingen“ oder „Leise rieselt der Schnee“ im Konzertsaal mit
Frontalbespielung eigentlich gut aufgehoben?
Kaufmann: Ich glaube schon. Ich glaube auch, dass es gelingen wird,
die Intimität in dem großen Saal herzustellen. Die Kunst eines Pianotons
besteht darin, dass er in Reihe eins leise wirkt und in der letzten Reihe
immer noch zu hören ist.
Und kann ein Sinfonieorchester die
Swingnummern wie „Let It Snow“ gut spielen?
Kaufmann: Ob die das können, werden sie am 12. Dezember selbst
beantworten. Aber ich gehe davon aus. Die haben auch eine Big-Band-Formation
innerhalb des Orchesters. Ich bin mit diesen Stücken aufgewachsen. Mein
Vater war ein großer Freund von Bing Crosby und Dean Martin. Unter dem
Weihnachtsbaum haben wir zwar nicht „Let It Snow“ gesungen. Da schlägt dann
schon das deutsche Herz durch und wir haben deutsche Klassiker gesungen.
Aber beim Plätzchenbacken haben wir uns schon mit den amerikanischen Liedern
in Stimmung gebracht.
Sie stoßen auf dem Album tatsächlich in
den Pop-Crooner-Bereich vor - und zwar ziemlich gut: Ich denke da auch an
den Mariah-Carey-Song „All I Want For Christmas Is You“. Wie fühlt sich das
an?
Kaufmann: Gut. Und wenn man als junger
Mensch gerne singt, dann versucht man sich natürlich an allem - sogar an
Michael Jackson. Als Teen habe ich das alles gemacht. Prince war natürlich
ein unglaubliches Vorbild, weil er jemand mit so einer langen Stimme war,
wie man im Fachjargon sagt, also jemand, der oben die Pfeifentöne noch hat.
Zu Beginn des Studiums habe ich auch überlegt, ob ich Countertenor werden
soll, weil ich die Leichtigkeit in der Höhe habe. Damals habe ich das
Königin-der-Nacht-F ohne Probleme gesungen…
Nein!
Kaufmann: Doch, ich war Sopran! Das ist alles in meiner
Stimme, das habe ich als Teenager ausprobiert. Ob das alles gut war, sei
dahingestellt. Aber ich will diese Sachen heute singen. Und ich wollte auch
nicht nur Klassisches aus dem „American Songbook“ nehmen, sondern auch
Moderneres, und es hätte auch noch kommerziellere Titel gegeben, etwa einen,
mit dem sich George Michael eine goldene Nase verdient („Last Christmas“, d.
Red). Das hätte für mich aber zu sehr nach Geld-Verdienen ausgesehen, und
das war nie mein Ziel mit dem Album.
Ihnen ging es natürlich
nur um den Transport der Inhalte…
Kaufmann: …ja,
ich habe so viele Fans, die fragen: Warum singst du keine Weihnachtslieder?
Das kann doch nicht wahr sein.
Haben Sie da nochmals
Unterricht genommen, um den Ton des Genres besser zu treffen?
Kaufmann: Nein. Was meinen Sie, wie viele Jahrzehnte
ich schon keinen Unterricht mehr genommen habe. Aber ich bin kritikfähig.
Und wenn ich das einmal aufnehme und mir anhöre, dann merke ich schon, was
ich falsch mache und kann das dann korrigieren. Aber das hat irrsinnig Spaß
gemacht. Ich fand das so lustig.
Sie haben „Dolce Vita“
gemacht, waren in „Wien“ und haben gesagt: „Du bist die Welt für mich“. So
ist halt das Tonträgerbusiness. Daneben singen Sie auch einfach nur sehr gut
an Opern oder in Bayreuth. Welche Rolle ist Ihnen die Liebste?
Kaufmann: (lacht sehr laut) Um Gottes Willen. Keine
Ahnung. Da ich gerade in Neapel bin, muss ich „Otello“ sagen. Nein: Ich bin
überzeugt davon, dass ich immer wieder etwas Neues brauche und dass das, was
ich dann tue, immer das Wichtigste ist. Wenn ich auf der Bühne stehe, kann
ich mir gar nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu tun. Ich habe das
Glück, dass ich viele Stücke im Repertoire habe dank meiner Stimme. Ich bin
nicht so beschränkt wie es etwa Alfredo Kraus war, der nur sieben Partien
gesungen hat. Wenn ich das so machen würde, würde ich wahrscheinlich später
auch große technische Probleme bekommen. Man wird dann wahnsinnig faul und
macht immer dasselbe in einem Automatismus. Man merkt dann gar nicht mehr,
dass man auf Abwegen ist. Ich will möglichst viel Verschiedenes machen.
Nach allem, was Sie sagen, gehe ich davon aus, dass Sie längst
an Ihrem ersten Auftritt mit Rammstein arbeiten…
Kaufmann: (lacht wieder sehr lange) Interessant. Die haben ja einen
super Geschäftszweig, soweit ich weiß, der das ganze Equipment für
Popkonzerte hat. Also wenn ich in diesen Bereich vordringen sollte, dann
muss ich auf jeden Fall mit denen zusammenarbeiten - ob auf der Bühne oder
hinter der Bühne.
Relativ frisch sind Sie Botschafter der
United Nations Alliance of Civilizations (UNAOC). Das Motto lautet dort:
„Viele Kulturen, eine Menschheit“. Was können und wollen Sie da als weltweit
gefragter Tenorissimo bewirken?
Kaufmann: Es
ist sehr schlau, sich Botschafter zu suchen in Bereichen, die gesellschafts-
und religionsübergreifend weltweit Erfolge zu haben. Als so genannter
„Klassik-Star“ bin ich auf allen Kontinenten aufgetreten und habe eine
Fangemeinde. Und da fragt niemand nach meiner Religion, nach meiner Kultur,
nach meinem Hintergrund. Das ist genau die Idee. Und dann ist Musik eben die
internationalste Sprache. Ich kann ohne Worte eine emotionale Eben zu
anderen Menschen aufbauen und direkt ins Herz vordringen. Das sollte man
auch ausnützen für diese wichtige Aufgabe, um die Leute daran zu erinnern,
dass wir alle gemeinsam auf diesem Erdball leben, von dem wir auf absehbare
Zeit auch nicht wegkommen. Die größten Themen dürften die Armut und der
Klimawandel sein. Gerade ging die Weltklimakonferenz zu Ende. Verfolgen Sie
solche Dinge und denken darüber nach? Kaufmann: Klar. Im Rahmen der
UNAOC-Verleihung habe ich ja auch ein kleines Konzert in Genf gegeben. Viele
Politiker waren da, die direkt von der Klimakonferenz kamen und mit denen
ich mich ausgetauscht habe. Wir müssen den Klimawandel umdrehen. Und jemand
wie ich kann mehr tun, indem er andere überzeugt, etwas zu tun, als wenn er
privat einfach nur sein Auto stehen lässt. Ich kann im Großen mehr bewirken
als im Kleinen, obwohl ich in zwei Wochen mein erstes vollelektrisches Auto
bekomme und auch da etwas tue - auch wenn ich mir bewusst bin, dass das nur
ein Zwischenschritt sein kann.
Sie sind optimistisch, obwohl
Sie politisch sind. Wie stehen Sie denn zu dem Satz mancher Künstler, nach
dem Kunst ohnehin immer politisch sei?
Kaufmann: Das
glaube ich nicht. Im Gegenteil. Kunst an sich ist eine Gegenwelt zum Alltag,
das, was man braucht, um die Batterien wieder aufzuladen, bevor man sich
wieder dem Hier und Jetzt und seinen Grausamkeiten widmet. So empfinde ich
meinen Beruf. Ich entführe die Menschen in eine andere Welt.
Verdis Opern oder auch die Mozarts sind aber doch hochpolitisch.
Kaufmann: Richtig. Aber beide lassen sich heute
vollkommen ohne politischen Hintergedanken anschauen. Wobei viele
Inszenierungen heute so unglaublich plakativ sind, so hart und provokant,
dass ich gar keine Chance habe, dem auszuweichen. Das ist etwas anderes.
Wenn Mozart im „Figaro“ das Ständesystem und das Jus prima noctis (Recht auf
die erste Nacht) anprangert, dann tut er das auf eine sehr elegante und
subtile Art. Das ist uns verloren gegangen. Wir winken heute zu viel mit dem
Zaunpfahl.
Glauben Sie, Verdi oder Mozart wirkten zu ihrer
Zeit auch so fein, wie wir, die abgehärtet sind, es heute empfinden?
Kaufmann: Ich glaube schon, dass das bei aller
Wirkungsmacht subtil war. Natürlich sind wir abgestumpft, sehen schreckliche
Bilder, und wenn man sich davon nicht abschotten kann, kann man wohl keine
Nacht mehr ruhig schlafen. Die Frage ist aber, ob Kunst und speziell die
Oper das Genre ist, um auf dem Rücken der Künstler von vor 200 Jahren diesen
Kampf um Aktualität auszutragen.
War das ein Plädoyer gegen
das Regietheater?
Kaufmann: Nein! Ich bin
für Erneuerung, weil ich glaube, dass ein Genre, dessen Höhepunkt mehr als
100 Jahre zurück liegt, immer wieder Erneuerung braucht. Es ist heute ja
auch keiner mehr glücklich mit einer Inszenierung aus den 1950er Jahren,
auch die Konservativsten nicht. Warum? Weil sie sich gar nicht mehr daran
erinnern, wie unglaublich statisch und rudimentär Inszenierungen damals
waren.
In Mannheim wird immer noch der „Parsifal“ von 1957
gespielt - und geliebt.
Kaufmann: Das ist
jetzt gemein. Ich kenne die Inszenierung. Da muss man jetzt aber wissen,
dass Wagners „Parsifal“ eines der Stücke ist, wo man gar nichts braucht. Je
mehr der Regisseur machen möchte, um das Publikum bei Laune zu halten, desto
schlechter wird’s. Es gab ja auch früher Liebesduette, bei denen die
Liebenden fünf Meter auseinanderstanden, und trotzdem war man berührt, weil
unsere Fantasie den Rest bewältigt hat. Das findet heute nicht mehr statt.
Deswegen müssen wir moderner im Sinne von realistischer werden, aber nicht
im Sinne von zerstörerisch.
Oper war mal das Kino des 19.
Jahrhunderts.
Kaufmann: Ja, aber das echte
Kino, das Fernsehen und die Serien und Videospiele haben sie überholt und
sich so sehr der Realität angenähert. Dass wir uns jetzt total reduzieren,
kann nicht unser Ziel sein. Aber das Werk ernst zu nehmen und diese
Ernsthaftigkeit auf die Bühne zu bringen, schon. Ob das dann in der
Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft spielt, ist egal. Wenn ich die
Konstellationen des Werks auf irgendeine Weise wieder herstellen kann, dann
ist alles andere egal. Nur wenn ich auf das Stück drauf eine zweite
Geschichte stülpe, die stärker sein möchte als das Original und auch als die
Musik, die das Original unterstützt, dann haben Menschen, die das Werk nicht
aus dem FF kennen, keine Chance. Dann haben wir wirklich etwas falsch
gemacht. Und das hat mit gutem Regietheater nichts zu tun.
Sie sind jetzt Anfang 50 und haben im Grunde alles erreicht. Gibt es für Sie
noch etwas, was Sie mit dem schwer wiegenden Satz beginnen würden: „I have a
dream…?
Kaufmann: Natürlich habe ich noch
Träume, Wünsche, Ideen, Dinge, die ich noch erleben möchte. Aber ich habe
vor einigen Jahren angefangen, das Leben von Jetzt und Heute zu leben. Ich
habe lange in der Warteschleife gesessen und mir eingebildet, ich würde
meine Pflicht erfüllen. Ich hatte - auch durch Corona - zu viele Fälle in
meinem Bekanntenkreis, bei denen sich das, vorsichtig gesagt, nicht erfüllt
hat, die aus dem Leben gerissen wurden, und das hat bei mir sehr viel
ausgelöst. So sitze ich jetzt in Neapel in einem Appartement mit Terrasse
und Blick auf das Teatro San Carlo und genieße das. Ich habe Jahrzehnte
meiner Karriere auch in Löchern verbracht, mir aber irgendwann gesagt: Das
ist jetzt dein Leben, dann leb es auch! Also: Natürlich habe ich Träume,
aber die meisten meiner Träume habe ich mir schon erfüllt. Man muss es auch
tun. Es hat keinen Sinn zu warten. Was ist, ist jetzt und nicht in 20
Jahren. Und schon gar nicht in 50.
Vielleicht werden Sie ja
104…
Kaufmann: Meine armen Enkel, nein,
außerdem hätten wir dann das nächste soziale Problem. |
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