BR Klassik, 08.12.2020
von Kathrin Hasselbeck
 
Sendung: "Allegro" am 10. Dezember 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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LIEDER, KEKSE, KERZEN – SO FEIERT DER STARTENOR WEIHNACHTEN
Weihnachten begann für den Tenor Jonas Kaufmann dieses Jahr schon im Hochsommer, als er den Werbeclip für sein neues Weihnachtsalbum "It's Christmas" drehte. Wie der Klassikstar die Adventszeit verbringt und welche Musik bei ihm an Weihnachten auf keinen Fall fehlen darf, erzählt er im Gespräch mit BR-KLASSIK.

BR-KLASSIK: Herr Kaufmann, es ist bald Mitte Dezember. Sind Sie denn schon in Weihnachtsstimmung?

Jonas Kaufmann: Absolut. Die sogenannte "besinnliche" Zeit hat ja aufgrund der derzeitigen Situation in Deutschland schon deutlich früher angefangen als sonst. Das ist zumindest ein positiver Effekt, den ich in der Krise sehe. Wir haben fleißig dekoriert, das Haus sieht verdammt nach Weihnachten aus. Das liegt natürlich auch daran, dass wir wieder Nachwuchs haben und unser kleiner Sohn das jetzt alles mit eigenen Augen zum ersten Mal bewusst sieht. Er ist jetzt zwanzig Monate alt. Seine Lieblingsdeko sind Kerzen. Man soll die Kerzen am liebsten hundert Mal hintereinander anzünden und er pustet sie immer wieder aus. Das ist ein endloses Spiel.

BR-KLASSIK: Was gehört für Sie außer der Weihnachtsdekoration noch zur Weihnachtsstimmung und zur Besinnlichkeit dazu?

Jonas Kaufmann: Wir haben es nicht nur gemütlich, sondern wir backen auch gemeinsam Kekse und hören langsam die ersten Weihnachtslieder.

BR-KLASSIK: Haben Sie denn ein Lieblingsweihnachtslied?

Jonas Kaufmann: Es ist wahnsinnig schwer, sich da festzulegen. Ähnlich wie bei der Frage nach einem Lieblingskomponisten oder einer Lieblingsoper. Was ich wahnsinnig gern mag und schon immer mochte, ist "Maria durch ein’ Dornwald ging".

JONAS KAUFMANNS 42 WEIHNACHTS-HITS AUS ALLER WELT

BR-KLASSIK: Ihr neues Weihnachtsalbum heißt "It's Christmas". 42 Weihnachtslieder sind darauf, also zwei Stunden Musik. Es gibt viele klassische deutsche Lieder wie "Stille Nacht" oder "Alle Jahre wieder", auch lateinische wie "Adeste, Fideles" oder das bayerische "Es wird scho glei dumpa". Aber Sie haben auch die amerikanischen Swing-Klassiker wie "Let it snow" oder "All I Want For Christmas Is You" aufgenommen. Wie kam es zu dieser Marathon-Zusammenstellung?

Jonas Kaufmann: Das hat mit meiner Kindheit zu tun. Bei uns ist sehr viel gesungen worden. Ich habe selbst schon mit fünf Jahren angefangen, im Kinderchor zu singen. Das heißt, es gab sehr viele deutsche Weihnachtslieder, die bei Konzerten vor Weihnachten gesungen wurden. Mein Vater war außerdem ein großer Fan von Bing Crosby, bei uns lief also auch die ganze amerikanische Weihnacht. Und es gab im Bayerischen Rundfunk zum Beispiel die Sendung "Weihnachten aus aller Welt", die wir jedes Jahr gehört haben. Das war ein absolutes Muss. Also erklangen bei uns auch unbekannte Melodien, zum Beispiel aus Südamerika, sie gehören zu meinen Kindheitserinnerungen. Es war deshalb für mich jetzt wahnsinnig schwer, sich auf einen Album-Inhalt zu einigen. Das Ergebnis sind zwei Alben geworden, weil alle Lieder nicht mehr auf eines gepasst haben.

BR-KLASSIK: Das heißt, Sie haben an der Zusammenstellung selbst mitgewirkt?

Jonas Kaufmann: Natürlich, das ist immer so. Man hat einfach ein reichhaltiges Repertoire an Möglichkeiten und muss sich dann letztlich selber entscheiden. Das kann einem niemand abnehmen. In dem Fall war ganz klar: Ich will kein internationales Album herausbringen, ohne die mir wichtigen deutschen Weihnachtslieder aufzunehmen. Und umgekehrt: Wenn ich ein rein deutsches Album rausgebracht hätte, wären wahrscheinlich die Fans im Ausland enttäuscht gewesen, dass nicht wenigstens ein oder zwei internationale Titel dabei gewesen wären. So haben wir eben beides gemacht.

EIN OPERNSTAR SINGT SWING

BR-KLASSIK: Stücke wie "Let it Snow" oder "All I Want For Christmas Is You" muss man ja ganz anders singen als das Klassikrepertoire. Wie gehen Sie als klassisch ausgebildeter Opernsänger daran, um in diesen Swing-Stil reinzukommen?

Jonas Kaufmann: Grundsätzlich singt man ja Weihnachtslieder nicht vor 3.000 Menschen. Deswegen ist bei den wenigsten Liedern der Turbo eingebaut, der die klassische Stimme in die Lage versetzt, einen riesigen Saal zu füllen. Man singt Weihnachtslieder eigentlich in der Kirche oder bei sich zu Hause vor dem Weihnachtsbaum. Da sind ganz andere Qualitäten gefragt. Wenn ich ein Schlaflied für meinen Kleinen singe und mit meiner Opernstimme daherkomme, wird er lange nicht einschlafen. Da muss man schon zarte Töne an den Tag legen. Man muss ein bisschen vergessen, dass man Opernsänger ist, und einfach nur mit seiner Stimme spielen, Spaß haben und den Text interpretieren. Aber das hat mir eigentlich keine großen Schwierigkeiten bereitet.

BR-KLASSIK: In Ihrem Videoclip zum Song "White Christmas" beweisen Sie Selbstironie. Am Anfang laufen Sie durch eine sommerliche Straße. Dann wird der rote Schal angelegt, der Mantel, es wird kalt und dunkel, es fängt an zu schneien. Und ganz am Ende kommt die Auflösung: Sie standen die ganze Zeit auf einem grünen Laufband im Kunstschnee. Sind Sie mit diesem Video jetzt der Böhmermann unter den Sängern?

Jonas Kaufmann: (lacht) Das ist sicherlich zu viel gesagt. Es war auch nicht meine Absicht, mit den Traditionen zu brechen oder die Leute vor den Kopf zu stoßen. Ich habe dieses Album mit großer Freude und großer Lust aufgenommen. Aber als wir den weihnachtlichen Videoclip im Sommer drehten und die Schneemaschine angeworfen wurde, konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Es war eine so verrückte Situation: Alle stehen in kurzen Hosen schwitzend neben einem und man selbst ist in Mantel und Schal gehüllt und muss so tun, als ob man friert. Darum geht es ja auch im Liedtext: Dieser Mensch sehnt sich endlich mal weiße Weihnachten herbei, während er in L.A. am Strand unter Palmen steht, in der Hitze des 24. Dezember. So weit davon entfernt war ich auch nicht, als wir das gedreht haben ... Nein, Humor und sich selbst auf die Schippe nehmen muss immer drin sein.

BR-KLASSIK: Sie sind einer der größten Stars der Klassikszene. Wie sehr lassen Sie es zu, dass bei Ihnen hinter die Kulissen geblickt wird? Gehört ein Foto vor dem Weihnachtsbaum für den Instagram-Account einfach schon zum Job dazu?

Jonas Kaufmann: Da fragen Sie wahrscheinlich den Falschen. Ich bin eigentlich von der gegenteiligen Fraktion. Wenn man im Rampenlicht steht, wollen die Leute natürlich immer noch mehr wissen und noch mehr sehen. Aus diesem Grund habe ich auch vor vielen Jahren eine Biografie herausgebracht. Jetzt ist ein Bildband erschienen. Und in diesem Sommer wurde ein Film veröffentlicht, der mich mit meiner Familie zuhause zeigt. Aber alles ist sehr dezent. Da wird ja keine schmutzige Wäsche gewaschen, niemand versucht irgendwo sensationslüstern Dinge zu enthüllen. Solange das unter Kontrolle ist und geschmackvoll gemacht ist, hab ich gar nichts dagegen.

Ich selber weiß nur bei den Posts immer nicht: Wem soll ich denn jeden Tag etwas mitteilen? Wem soll ich denn erzählen, was ich heute für Socken anhabe oder wie gut oder schlecht ich geschlafen habe? Mir würden da nach wenigen Tagen Posts einfach die Themen ausgehen. Ich bin natürlich in den Sozialen Medien auch präsent und poste, aber versuche möglichst auf die Bremse zu treten. Denn ich glaube, jeder von uns kennt das: Man ist ja eh schon in einer chronischen Reizüberflutung durch die vielen Informationen, die ständig auf einen einströmen. Insofern ist es sicher sehr angenehm, wenn man ein bisschen weniger, aber dafür vielleicht umso interessantere Informationen bekommt.

SORGE UM DIE ZUKUNFT DER KULTURINSTITUTIONEN

BR-KLASSIK: Jetzt im Dezember laufen die Jahresrückblicke im Fernsehen und im Radio. Wie geht es Ihnen, wenn Sie auf dieses Jahr zurückschauen?

Jonas Kaufmann: Es ist natürlich ein Jahr zum Vergessen, das ist klar. Ich sehe positiv, dass mein kleines Kind seinen Vater so viel genossen hat, wie es unter normalen Umständen nie der Fall gewesen wäre. Wir sind von Nomaden plötzlich zu Sesshaften geworden. Ich bin einer der Wenigen, die mit einem blauen Auge davongekommen sind. Weit über 90 Prozent der Klassikbranche sind einfach am Boden. Ich mache mir große Sorgen um all die Institutionen, die seit vielen Monaten geschlossen sind, die immer wieder neu Anlauf nehmen und dann mitten im Produktionsprozess ausgeschaltet werden.

Natürlich sind wir jetzt froh, dass es finanzielle Kompensationen gibt, aber wir wollen ja nicht einfach nur Geld haben. Wir wollen auftreten, wir wollen den Leuten etwas geben, die genau in dieser Zeit schlimme Probleme haben, vielleicht weil nahe Verwandte an der Krankheit gestorben sind oder weil sie arbeitslos zuhause sitzen. All die hätten so wahnsinnig gern mal ein paar Stunden Ablenkung. Ins Kino gehen, im Theater etwas sehen oder sich von einer Oper oder einem Konzert verzaubern lassen. Es ist einfach unglaublich, dass das fehlt. Ich habe große Sorge, dass viele von diesen Institutionen, die uns all das täglich zur Verfügung gestellt haben, nach Corona nicht mehr existieren. Und dass das Kulturland Deutschland dann vielleicht ein Kulturdorf geworden ist.

BR-KLASSIK: Gerade jetzt in der Adventszeit fehlt die Musik ja an allen Ecken und Enden. Welche Musik werden Sie an Heiligabend hören?

Jonas Kaufmann: Jetzt, wo ich all die Lieblingstitel selber gesungen habe, könnte ich ja sagen: Da läuft den ganzen Abend Jonas Kaufmann (lacht). Aber das wird nicht so sein. Man verlässt sich auf eine Playlist und hat damit den ganzen Abend stimmungsvolle Musik. Das Weihnachtsoratorium darf einfach bei keinem Weihnachten für mich fehlen. Ansonsten sind wir bei deutschen und internationalen Titeln.

Sendung: "Allegro" am 10. Dezember 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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