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Tagblatt, 6.1.2019 |
Interview: Roman Kühne |
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Tenor Jonas Kaufmann: «...dann ist es jedes Mal die reinste Ekstase»
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Der Sänger Jonas Kaufmann ist derzeit
der einsame Star am Tenorhimmel. Nächste Woche singt er im KKL Luzern «Das
Lied von der Erde» – und neben der Tenorstimme auch gleich noch den Bariton.
Jonas Kaufmann, früher haben Sie viel in der Schweiz
gesungen. Dieses Jahr sind Sie nur einmal hier. Warum eigentlich?
Die Zeiten ändern sich und meine Zeiten am Opernhaus Zürich, wo ich
regelmässig auftrat, ja praktisch gross wurde, sind momentan vorbei. Wenn
ein neuer Intendant kommt, dann bringt er auch neue Sänger, Dirigenten und
Regisseure. Jeder hat seine Vorstellungen von einem guten Opernbetrieb. Es
gibt nur ganz wenige Häuser auf der Welt, wo ich momentan noch
Neuproduktionen mache. Die sind für mich einfach zu zeitaufwendig. Fünf bis
sechs Wochen für eine neue Inszenierung zu arbeiten, liegt gegenwärtig
schlichtweg nicht drin.
Und in Zürich ist man Ihnen da
nicht entgegengekommen?
Sagen wir es mal so, man ging
in diesem Punkt nicht gerade geschickt vor. Ich habe ihnen immer wieder
angeboten, eine Wiederaufnahme mit zwei bis drei Aufführungen zu machen. In
Hamburg zum Beispiel ist das problemlos möglich.
Bald
wird Ihr Zeitbudget noch kleiner. Ihre Partnerin, die Opernregisseurin
Christiane Lutz, erwartet im März ein Kind.
Darauf
freuen wir uns sehr. Aber auch der Kontakt mit meiner Ex-Frau und meinen
drei Söhnen ist mir sehr wichtig. Wir wohnen alle nahe beieinander in der
Nähe von München. Gerade jetzt bin ich auf dem Weg zur Schule, um meine
Kinder abzuholen. Ich hatte früher zu wenig Zeit mit ihnen und achte jetzt
sehr darauf, gemeinsam Urlaub zu machen. Früher war es öfters so, dass ich
während der Ferien noch irgendwo gesungen habe. Deshalb war es für meine
Jungs und auch für mich eine ganz neue Erfahrung, als wir einfach nur Ferien
gemacht haben. Sie konnten es kaum glauben:
«Was, wir fahren an einen
Ort, wo du gar nicht auftrittst!»
Wie macht man denn als
Startenor überhaupt Ferien?
Ein Taucherurlaub liegt
natürlich wegen der Stimme nicht drin. Die Luft aus der Flasche ist einfach
zu trocken. Aber sonst ist alles möglich. Ich habe auf der Welt viele
interessante Menschen kennen gelernt, und wir sind gerne zu Gast an solchen
Zufluchtsorten. Kreuzfahrten oder Pauschalreisen wären wohl nichts für mich.
Stellen Sie sich eine Kreuzfahrt vor mit ein paar Opernfans unter den
Gästen. Da hätte ich wohl keinen Moment der Ruhe. Wohin wir fahren, spielt
eigentlich keine so grosse Rolle. Wie bei jeder Familie ist es wichtig, dass
wir zusammen Zeit verbringen, etwas gemeinsam unternehmen.
Wir achten
höchstens darauf, dass es nicht überall WLAN gibt, wegen der Jungs.
Singen Sie auch wegen Ihrer Familie so oft in München?
In München gehe ich in die Vorstellung, und danach bin ich wieder zu
Hause. Das hatte ich lange auch in Zürich. Aber als Opernsänger kann ich
natürlich nicht das ganze Jahr zu Hause bleiben; wenn man international
tätig ist, kann man nicht allzu sesshaft sein.
Sie sind
momentan der unbestrittene Star im Tenorfach – und fast der einzige. Warum
gibt es keine Tenöre mehr?
Es gibt ja welche, und auch
einige gute. Aber wir könnten gut und gerne noch weitere gebrauchen für das
grosse Tenorrepertoire von «Tosca» bis «Lohengrin». Placido Domingo hat mir
mal gesagt: «Vor 50 Jahren war es nicht so wild: wenn ich krank wurde und
absagen musste, gab es mindestens noch zwei, drei andere, die einspringen
konnten und die dem Publikum genauso gefallen haben. Aber wenn du heute
absagen musst, ist das Geschrei gross, weil sie dich hören wollen und keinen
anderen.»
Sie haben als Sänger eine grosse Entfaltung
hinter sich. Sie sind im italienischen und französischen Repertoire genauso
gefragt, wie im deutschen. Wie sehen Sie Ihre Stimmentwicklung?
Es ist immer sehr schwer, die eigene Stimme zu beurteilen. Ich denke,
sie hat sich kontinuierlich entwickelt. Momentan ist es so, dass alles, was
ich singe, auch die Interpretation der anderen Stücke beeinflusst. Immer
lernen, nie stehen bleiben und Neues auszuprobieren, das ist mir wichtig.
Dieses Ausprobieren zeigt sich auch auf Ihrer neuen CD «Eine
italienische Nacht». Dort erklingen je ein Stück von Lucio Dalla und Nino
Rota.
Diese Stücke haben mich einfach gereizt. Ich
brauche zwischendurch Projekte, wo ich etwas anderes entdecken kann. Hier
und da mal etwas Ausgefalleneres, das macht mir schon Spass. Dazu gehört
auch das «Italienische Liederbuch» von Hugo Wolf. Das haben Diana Damrau,
Helmut Deutsch und ich auf einer Tour quer durch Europa präsentiert. Eines
der Konzerte gibt es seit kurzem auch als Mitschnitt auf CD. Ich bin sehr
froh, dass wir das gemacht haben, nicht nur, weil es uns viel Freude gemacht
hat, sondern auch weil wir dem Publikum diese feinen kleinen Stücke
nahebringen konnten, die Helmut Deutsch wie «Szenen einer Ehe» neu
strukturiert hat. Hugo Wolf ist nach wie vor ein völlig unterschätzter
Komponist, der sehr farbenreich und für seine Zeit sehr modern komponiert
hat. Er hat einen Ideenreichtum in seinen Noten, wie man ihn sich für
moderne Popmusik mehr wünschen würde.
Folgen Sie hier
nicht auch Produzentenwünschen?
Ich habe mich noch nie
breitschlagen lassen, etwas zu singen, das ich nachher bereut hätte.
Ich nehme diese Dinge auf, weil es für mich eine Gaudi ist.
Wenn es
den Zuschauern dann auch noch Spass macht, umso besser. Dieser
Live-Mitschnitt der «Italienischen Nacht» in Berlin im Sommer war ein
unglaubliches Vergnügen. Ich denke, dies spürt man auch auf der CD. Nicht
nur wir auf der Bühne, auch das Publikum hatte sein Vergnügen.
Diese Entdeckungslust zeigt sich auch beim Konzert im KKL. In
«Das Lied von der Erde» von Gustav Mahler singen Sie nicht nur den
Tenorpart, sondern auch gleich noch den Baritonteil.
Vielleicht bin ich ja einer, der zwischendurch auch gerne mal ein Bariton
wäre (lacht). Für mich ist der Reiz, dass ich so das ganze Stück gestalten
kann, wie ich es möchte. So kann ich den grossen Bogen vom Anfang bis zum
Ende spannen.
Die tiefen Lieder sind einfach grossartig. Vor allem
das letzte Lied «Der Abschied» geht mir immer wieder sehr nah.
60 Minuten ohne Pause – geht dies nicht an die Grenzen?
Ein Liederabend mit der «Winterreise» von Schubert oder der zweite Akt
von Wagners «Parsifal» sind ja auch nicht ohne. Wichtig ist, dass man
entspannt bleibt und nicht forciert. Vor allem ab der Stelle mit dem «Aff»
im Trinklied, wenn die Wogen im Orchester immer höher gehen, muss man schon
wissen, wie man sich über Wasser halten kann. Aber wenn man’s kann, ist es
jedes Mal die reinste Ekstase.
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