|
|
|
|
|
Echo der Klassik 2014 |
Axel Brüggemann
|
|
|
Warum stehen wir so auf Ihre Stimme, Herr Kaufmann?
|
|
Für sein Verdi-Album wird Jonas Kaufmann mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet, aber er ist schon wieder auf neuen Wegen und erobert die Leichtigkeit der 20er Jahre. |
|
Jonas Kaufmann, made in der ECHO Klassik-Stadt
München, legt eine Karriere hin wie nur wenige andere Tenöre. Das
Erstaunliche ist, dass die Musik für ihn so gar keine Grenzen hat: Eine der
besten Wagner-Stimmen? Jonas Kaufmann. Eine der intimsten Verdi-Stimmen?
Jonas Kaufmann. Einer der besten Don Josés? Jonas Kaufmann. Und nun, auf
seinem neuen Album, swingt und singt er auch noch die goldenen Hits der 20er
und 30er Jahre vom „Weißen Rößl“ über „Giuditta“ bis zur „Großen Sünderin“.
Jonas Kaufmann ist längst ein Welttenor, „The German Marvel“ titelte
„The Times“, „Le Monde“ nennt ihn den „Wundertenor“ und der „Corriere della
sera“ schreibt: „Tenore e sex symbol.“ Kein Opernhaus, in dem er nicht zu
Hause ist. Jonas Kaufmann ist die Stimme unserer Zeit. Er beherrscht alle
Lagen — und doch ist sein Gesang charakteristisch, jede einzelne Note
erweckt er zum Leben, in jeder Melodie befragt er die Psychologie, in jeder
Nuance sendet er eine Botschaft. Kaufmann ist technisch perfekt und zutiefst
emotional. Den ECHO Klassik bekommt er für seine Verdi-Einspielung, aber
längst hat er schon neue Pläne. Ein Gespräch über die Frage, warum
ausgerechnet seine Stimme so gut in unsere Zeit passt.
Herr
Kaufmann, Ihre Stimme ist in aller Munde, Sie haben neue Standards gesetzt,
und fast scheint es, als wenn Sänger wie Sie den Wagner- und Verdigesang der
letzten Jahre grundlegend verändert haben. Statt der lauten, derben Tenöre
hören wir nun die klugen Tenöre …
Ich möchte mir das nicht
auf die Fahnen schreiben, aber ich glaube schon, dass sich da vieles
geändert hat: Die Stimmen, besonders bei Wagner, sind dynamischer geworden.
Das Klischee, das alles laut sein muss, existiert nicht mehr. Immer mehr
Menschen verstehen, dass Musik auch Legato braucht, Nuancen, und ich bin
sicher, dass Verdi — und besonders Wagner — sich das auch so vorgestellt
haben. Wenn man Menschen eine Partitur der beiden zeigt, staunen viele
Bauklötze, dass da mindestens so viele Piani vorkommen wie Forte-Stellen.
All das ist einige Zeit lang in Vergessenheit geraten, als es in der Oper
oft nur auf die Dezibelzahl ankam und weniger auf den Inhalt.
Warum ändern sich diese Dinge? Ist die Klassik auch an Moden
gebunden?
Es kann schon sein, dass es etwas mit den Moden zu
tun hat und die Oper nach dem Prinzip des Catwalks funktioniert: Mal ist der
Rock kurz, dann lang — und manchmal trägt man gar keinen. Aber ich glaube,
bei uns ist das am Ende eben doch anders. Allein weil wir in anderen
Zeitkategorien denken — und weil es bei uns immer einen Ausgangspunkt gibt:
die Zeit und die Ideen der Komponisten.
Aber trotzdem gibt es
auch in der Musik immer wieder neue Ästhetiken …
Fakt ist,
dass es diese Stimmtiere, die alles in Grund und Boden gebrüllt haben, heute
so nicht mehr gibt. Ich kann mir vorstellen, dass das sehr viel damit zu tun
hat, dass wir uns wieder lieber mit den Ursprüngen der Werke beschäftigen,
mit der Frage, was Verdi und Wagner eigentlich wollten. Unter diesem
Anspruch waren die lauten Tenöre eher eine Verirrung der Mode. Übrigens gab
es sie in der 500-jährigen Geschichte der Oper ja auch nur ein einziges Mal:
Anfang der 50er Jahre. Auf Dauer hat sich diese Art zu singen eben nicht
durchgesetzt.
Diese Macho-Sänger kann es heute ja auch nicht
mehr geben. Der Zirkus der Oper ist so groß geworden, dass man ihn nicht
überstehen würde, wenn man nur brüllt: Jeden Abend in einer anderen Stadt,
dazu die ständige Beobachtung durch das Internet — da muss man klug singen
wie Sie, oder?
Naja, der Zirkus um die Oper kann nicht groß
genug sein, denn wir brauchen die Aufmerksamkeit. Mir ist bewusst, dass man
schon in den 50er Jahren vom Ende der Oper gesprochen hat, und dass es noch
immer nicht da ist. Aber ein bisschen Zirkus schadet uns nicht. Für Sänger
ist er aber eine Herausforderung: der Hype darf nicht über der Stimme
stehen, der Hochglanz nicht über dem Inhalt. Die kluge Stimme muss mit
diesem Phänomen umgehen können. In diesem Sinne richtet sie sich vielleicht
doch nach der Zeit.
Ihre Stimme klingt besonders klug — oft
gestalten Sie jedes Detail und liefern eine Psychologie Ihrer Charaktere in
der Musik ab. Orientieren Sie sich dabei auch an der Sprache?
Die Sprache, das Wort und seine Aussage sind natürlich die Grundlagen,
aber wir sind ja keine Schauspieler, sondern Sänger. Unser Werkzeug ist
dieser amplifizierte, der verstärkte Klang. Den muss man nutzen. Wenn man
bei guten Komponisten nachschaut, wird andersherum schnell ein Schuh aus
Ihrer These. Sehen Sie sich die Partituren von Strauss oder Wagner an: Oft
spielen sie mit einem großen Orchester, und das, was wir zu singen haben,
ist manchmal in komplexen Rhythmen geschrieben, dass man denkt: „Oh Gott,
wie soll ich das nur lernen, geschweige denn natürlich vortragen?“ Und ich
glaube, dass darin die eigentliche Kunst besteht: Selbst die
kompliziertesten Noten müssen wir uns so aneignen, dass die Komplexität der
eigentlichen Aussage am Ende nicht im Wege steht, dass nichts verloren geht
von den Gedanken der Komponisten — und dass es sich trotzdem „richtig“
anhört. Das Ziel bei diesen Stellen muss es sein, dass die Leute im Publikum
denken: Das hört sich ja an, wie gesprochen — so und nicht anders muss das
klingen, weil es sich nur so selbstverständlich anhört. Das ist dann aber
kein Sprechen, sondern die eigentliche Kunst des Gesanges!
Kommen wir noch einmal zurück zur Stimme als Modeerscheinung: Was macht
Stimmen wie Ihre so aktuell?
Ich weiß gar nicht, ob meine
Stimme wirklich so aktuell oder modern ist. Es gibt an der Wiener Staatsoper
einen wunderbaren Almanach, in dem man nachschlagen kann, was die einzelnen
Künstler in den jeweiligen Spielzeiten so gemacht haben. Und da gibt es
Fälle, die an einem Abend „Le Nozze di Figaro“ und am anderen die
„Götterdämmerung“ singen …
Das gab es in den Stadttheatern
der 70er Jahre überall …
Ja, und das war sicherlich nicht
immer perfekt, aber es zeigt doch, dass es von Seiten der Dirigenten und der
Sänger ein Ziel war, die Stimmen in ihrer Vielfalt zu präsentieren. Dass
Sänger vielleicht sogar davon profitiert haben, an einem Abend Mozart und am
anderen Wagner zu singen. Bei mir ist es auf jeden Fall so: Die Oper ist so
vielfältig, und ich bin sehr froh, dass ich auch meiner Stimme diese
Abwechslung gönnen kann.
Das ist ein Plädoyer für die
Ensembletheater?
Aber natürlich, denn diese Häuser, die in
Deutschland leider immer weiter zurückgespart werden, haben viele Vorteile:
Nicht nur, dass sie jedem Menschen, auch in einer kleineren Stadt, die
Möglichkeit geben, an der Faszination Oper teilzuhaben. Sie sind auch die
besten Ausbildungsstätten. Gerade die eben angesprochene Rollenvielfalt
sorgte ja dafür, dass die großen Aufführungen auf mehreren Schultern
verteilt waren. Ich glaube, dass wir dort wieder hin sollten, die Vielfalt
ist ein Garant für gesunde Stimmen.
Aber trotzdem verfolgen
wir auch den Trend der Spezialisierung: für das Barock, für Wagner, für das
Lyrische …
Ich befürchte, dass dieser Fetisch langfristig
ungesund ist. Wir treiben die Kunst durch die Spezialisierung auf die
Spitze: dann soll es noch lauter, noch extravaganter, noch dramatischer sein
— und das Eis wird immer dünner. Das ist weder gesund für den Sänger noch
für die Details der Musik. Sie haben Recht, dass besonders Wagner ja ein
Wespennest ist: Wenn man einmal damit anfängt, wollen alle einen nur noch
für Wagner-Rollen buchen. Und wenn man sich darauf einlässt, geht es
schnell, dass man in diesem Kreislauf umkommt. Auch deshalb ist es für mich
wichtig, immer wieder neue Formen der Musik auszuprobieren, so wie nun mit
meinem Album „Du bist die Welt für mich“ mit Liedern der 20er Jahre …
Auf dem Sie unter anderem „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Gern
hab ich die Frau’n geküsst“ singen …
Genau, und Sie glauben
gar nicht, wie viel Spaß es macht, sich genau so ernsthaft auf dieses
vermeintlich leichte Genre einzulassen wie auf Mozart oder Verdi oder
Wagner. All diese Musik war immer modern — und wird es auch bleiben.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|