Kleine Zeitung, 03.04.2014
ERNST NAREDI-RAINER
 
 
Startenor Kaufmann singt Schuberts "Winterreise"
"The hottest tenor in opera" nennt ihn die "New York Times". Jonas Kaufmann singt am Freitag in Graz für den Musikverein Schuberts "Winterreise".

Franz Schuberts "Winterreise", die Sie heute für den Musikverein für Steiermark singen, attestieren Sie im Booklet Ihrer Einspielung eine "Katharsis-Wirkung". Steht sie damit über der "Schönen Müllerin"?

JONAS KAUFMANN: Nicht deswegen. Auch die "Müllerin" hat diese Kartharsis-Wirkung, vor allem in den letzten Liedern, doch im Gegensatz zur "Winterreise" beginnt die "Müllerin" mit der Schilderung einer scheinbaren Naturidylle, die im Laufe des Zyklus immer mehr zurücktritt. Bei der "Winterreise" ist die Katharsis-Wirkung wahrscheinlich größer, weil es von Anfang an um die Verzweiflung und Einsamkeit eines Menschen geht, der seine große Liebe verloren hat.

Der erfahrene Liedinterpret Peter Schreier hat bis zum 50. Geburtstag gewartet, ehe er seine erste "Winterreise" sang. Können Sie diese Zurückhaltung nachvollziehen? Ist die "Winterreise" der Olymp des Liedgesangs?

KAUFMANN: Das ist sie sicherlich, aber ich weiß nicht, ob man deshalb mit der "Winterreise" warten sollte, bis man 50 ist. Dietrich Fischer-Dieskau war 22, als er sie zum ersten Mal sang, und alle haben über die interpretatorische Frühreife des jungen Sängers gestaunt. Man sollte sie dann singen, wenn man sich gesangstechnisch und künstlerisch dazu in der Lage fühlt.

Ist es ein Zufall, dass Sie die "Schöne Müllerin" vor fünf Jahren und die "Winterreise" erst jetzt aufgenommen haben? Benötigt sie mehr interpretatorische und menschliche Reife?

KAUFMANN: Für meine Begriffe schon. Dass ich die "Müllerin" eher aufgenommen habe als die "Winterreise", liegt aber in erster Linie daran, dass die "Müllerin" neben der "Dichterliebe" der Zyklus ist, der am meisten nach einer jungen Stimme und auch nach einer jungen Seele verlangt, und ich wollte sie aufnehmen, bevor ich zu alt bin. Die "Winterreise" hingegen kann man noch, wenn die Stimme hält, in seinen 60ern singen. Es hat ja einige große Sänger gegeben, die das durchaus konnten.

Strengt die über siebzig Minuten dauernde "Winterreise" den Interpreten mehr an, weil er sie nicht, wie andere Liedprogramme, in kleinere Gruppen portionieren kann, sondern durchsingen sollte?

KAUFMANN: Ich denke, dass gemischte Liedprogramme insofern anstrengender sind, weil der Interpret alle vier Minuten eine neue Geschichte erzählen muss, während er bei den großen Zyklen eine lange Geschichte mit vielen Facetten erzählt. Was bei der "Winterreise" mehr anstrengt, ist der emotionale Sog dieser Lieder, der uns Interpreten genauso erfasst wie den Zuhörer, obwohl wir ja wissen, was uns erwartet.

Werden Sie dem Lied treu bleiben, obwohl Sie auf der Opernbühne immer dramatischere Partien gestalten?

KAUFMANN: Auf jeden Fall. Wie ich immer sage: Das Lied ist für mich die Königsklasse des Singens, und ich möchte die Lied-Literatur, die ja derart reichhaltig und vielseitig ist, niemals missen.

Welche Rollendebüts haben Sie für die nächsten Jahre fixiert?

KAUFMANN: Zunächst Des Grieux in Puccinis "Manon Lescaut", dann Giordanos "Andrea Chénier", Turiddu in Mascagnis "Cavalleria rusticana" und endlich Hoffmann in "Hoffmanns Erzählungen" von Offenbach.

Wie weit in die Zukunft reichen die vertraglichen Verpflichtungen, die Sie eingegangen sind?

KAUFMANN: Derzeit bis zur Spielzeit 2018/19.

In den ersten vier Monaten des Jahres erscheinen nicht weniger als vier Opern-DVDs mit Ihnen. Geht es darum, Ihre Vielseitigkeit im deutschen ("Parsifal" und "Ariadne auf Naxos"), französischen ("Faust") und italienischen Repertoire ("Don Carlo") zu demonstrieren?

KAUFMANN: Ich möchte gar nichts demonstrieren, aber ich freue mich, wenn die Vielseitigkeit meines Repertoires, auf die ich ja großen Wert lege, auf CDs und DVDs dokumentiert ist. Auf bestimmte Rollen festgelegt zu werden oder ein Etikett wie "Wagnersänger" verpasst zu bekommen, wäre mir nicht lieb. Ich möchte so flexibel wie möglich bleiben, stimmlich, stilistisch und sprachlich.

Welchen Eindruck haben Sie vom Grazer Stephaniensaal bei Ihrem Liederabend im Februar 2012 gewonnen?

KAUFMANN: Der Saal ist absolute Spitze in Sachen Akustik und Atmosphäre. Umso mehr freue mich auf die "Winterreise" in Graz.

Jonas Kaufmann singt die "Winterreise" von Franz Schubert: Freitag, 19.45 Uhr, Stephaniensaal, Graz. Nur noch Stehplatzkarten an der Abendkasse.






 
 
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