Wiener Zeitung, 01.10.2013
Von Christoph Irrgeher
 
"Will nicht bemitleidet werden" 
 
Der Tenor Jonas Kaufmann über kranke Sänger, pöbelnde Besucher und Giacomo Puccinis Western-Oper
 

Wien. Den Liederabend am vorigen Sonntag musste er krankheitshalber absagen - doch an diesem Samstag wird ihn Wien wohl bejubeln können: Jonas Kaufmann, einer der hellsten Sterne auf dem Tenorhimmel, ist für die erste Staatsopernpremiere der Saison gebucht - Puccinis "La fanciulla del West" ("Das Mädchen aus dem goldenen Westen"). Der deutsche Beau gab der "Wiener Zeitung" im Vorfeld ein E-Mail-Interview - und zeigt sich in schriftlicher Form schon wieder vital.

"Wiener Zeitung": Als Fan der Abwechslung dürften Sie Ihre Freude an "La fanciulla" haben. Aber hat es nicht Gründe, dass diese Oper von 1910 so selten gespielt wird - zum Beispiel fehlende Ohrwürmer?

Jonas Kaufmann:Das ist mit Sicherheit ein Grund! Eigentlich hätten die beiden großen Tenor-Szenen die Chance gehabt, ein Hit zu werden - wenn Caruso sie denn aufgenommen hätte! Doch ohne die weltweite Verbreitung via Schallplatte blieb "Fanciulla" doch eher eine Oper für Kenner und Liebhaber. Aber was für eine!

Das Stück schwelgt lustvoll in Western-Elementen, es bietet Banditen, eine Horde, eine Bar et cetera. Mögen Sie Western? Und macht’s Ihnen Spaß, einen Banditen zu spielen? Viele Menschen kommen ja nur im Kindesalter in diesen Genuss.

Als Kind habe ich all die Western-Klassiker mit John Wayne und Robert Mitchum gebannt am Fernseher verfolgt. Das hat sich inzwischen etwas gelegt. Was den "Banditen" bei Puccini betrifft: Ich sehe Dick Johnson als einen Mann, der auf die schiefe Bahn geraten ist. Hätte es in seiner Kindheit so etwas wie El Sistema (Musikschulwerk in Venezuela, Anm.) gegeben, wäre er wahrscheinlich ein erstklassiger Musiker geworden! Welches Potenzial in ihm steckt, hat Puccini wunderbar herausgestellt: Um zu zeigen, dass dieser Fremde ganz anders ist als die Goldgräber, denen die Wirtin Minnie eine mütterliche Freundin ist, hat er ihm ein musikalisches Profil gegeben, das sich von allen anderen deutlich abhebt: Wir hören da keinen kleinen Banditen, sondern einen weltgewandten Mann.

In München standen Sie heuer im Zentrum einer skurrilen War-das-jetzt-ein-hohes-C-oder-nicht?-Debatte. Ihr Kommentar dazu: So ein Detail (die diskutierte Arie wird öfter transponiert gesungen) hätte früher niemanden interessiert, doch heute "will man in jeder Suppe ein Haar finden". Sie beschwerten sich auch einmal über Leute, die während der Vorstellung gegen die moderne Regie pöbelten. Empfinden Sie das Publikum öfter als schwierig?

Das waren zwei Paar Schuhe. Die Frage nach dem hohen C beim Münchner "Trovatore" wurde von Journalisten aufgeworfen, die Sorge hatten, bei der Angabe des Spitzentons etwas Falsches zu schreiben. Dass daraufhin wieder die besagte Debatte losging,daswar’s, was mich genervt hat. Im anderen Fall ging es, wie Sie richtig sagten, um ein pöbelndes Publikum, 2003 bei der "Entführung" in Salzburg. Als manche Leute meinten, uns mit Zwischenrufen aus dem Konzept bringen zu müssen, ist mir einfach der Kragen geplatzt. Dazu stehe ich heute noch. Ich kann und muss als Sänger eine Menge hinnehmen. Aber keine Prügel, die für den Regisseur bestimmt sind.

Sie sagten in einem Interview, dass Ihre "nächsten zehn Jahre abwechslungsreich werden". Planen Sie tatsächlich so weit im Voraus? Und welche Rollen wollen Sie sich noch unbedingt erarbeiten?

Als Sänger sind Sie gezwungen, viel weiter im Voraus zu planen, als Ihnen lieb ist. Es ist ja fast pervers, wenn Sie heute schon wissen, was Sie am 5. Oktober 2018 tun werden. Aber so ist nun mal der Opernbetrieb. Und wenn ich schon so langfristig planen muss, möchte ich doch versuchen, dass mein Berufsalltag so abwechslungsreich wie möglich bleibt. Außerdem gibt’s noch einige Partien auf meiner Wunschliste, ganz oben Hoffmann und Otello. Aber mit Letzterem werde ich mir noch ein paar Jahre Zeit lassen - was mir nicht leicht fällt, nachdem ich im Frühjahr zwei Soloszenen für mein Verdi-Album aufgenommen habe. Da bin ich derart in den Sog der Musik geraten, dass ich am liebsten gleich die ganze Partie gesungen hätte.

Eine Frage, die Sie nicht zum ersten Mal hören: Stricken Sie Ihr Terminkorsett womöglich zu eng und müssen deshalb mitunter absagen - wie zuletzt im Wiener Musikverein?

Natürlich könnte man grundsätzlich sagen: Wer zu viel singt, wird häufiger krank. Doch viel entscheidender als die bloße Anzahl der Auftritte ist die Frage: Kann ich mich zwischen den Auftritten erholen? Und genau das lässt sich nicht planen. Ein Beispiel: In München bin ich zwischen zwei Vorstellungen von "Il trovatore" für einen erkrankten Kollegen als Lohengrin eingesprungen - und mir ging es nach der Aufführung fast besser als vorher. Umgekehrt gibt es Situationen, wo ich trotz längerer "Auszeit" anfällig bin für Infekte - so wie neulich in Wien. Was will man da machen? Den Liederabend singen, obwohl einem der Arzt dringend abgeraten hat? Und damit womöglich die Neuproduktion der "Fanciulla" gefährden? Wäre unverantwortlich gewesen, und drum habe ich abgesagt. In angeschlagenem Zustand zu singen ist der Stimmenkiller Nummer eins!

Und Singen ist nun mal ein Hochleistungssport. Nur werden wir leider in der Öffentlichkeit ganz anders wahrgenommen als Sportler. Wenn sich ein Fußballer einen Muskelriss zuzieht, hat er das kollektive Mitleid einer ganzen Nation. Wenn aber ein Sänger absagt, heißt es entweder: Ach, diese Mimosen! Oder: Hat sich wohl wieder übernommen! Ich will um Gottes willen nicht bemitleidet werden, aber etwas mehr Verständnis anstelle der üblichen Vorurteile wäre wünschenswert.






 
 
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