Im SN-Gespräch erinnert sich Jonas Kaufmann auch an die Zeiten seiner
bescheidenen Anfänge und äußerst sich durchaus kritisch über
internationale Vertragsbedingungen.
SN: Wie
fühlt sich das an, einerseits bekennender Familienmensch und
andererseits generationsübergreifender Frauenschwarm zu sein?
Wenn man das eine als rein beruflich betrachtet und das andere als rein
privat, hat es nichts miteinander zu tun. Der Frauenschwarm bin ich
nicht im Privaten, insofern lässt sich das schon vereinbaren.
SN: Gestaltet sich das Wagner-Jahr als
Marathonbelastung für Ihre Stimme?
Ich singe ja nicht das ganze
Jahr über Wagner. Es ist schon so: wenn man einen Komponisten nennen
müsste, bei dem die Gefahr am größten ist, dass man sich zu früh
verausgabt, dann kann das nur Wagner sein. Es liegt immer auch an einem
selbst. Man muss aufpassen, wie viel man davon singt und welche Partie,
ob sie einem in der Stimme liegt oder ob man sich selbst stimmlich
verändern muss, um diese Partie überhaupt meistern zu können. Diese
Veränderungen und Verstellungen können natürlich viel mehr belasten als
wenn man einfach mit der Stimme singt, die man hat. Dann kommt es auf
die Mischung und Menge an. Also wenn ich das geschickt mache und
zwischendurch andere Partien singe, die wiederum ganz andere Qualitäten
von der Stimme verlangen, dann laufe ich nicht Gefahr, mich zu
übernehmen, im Gegenteil: Eine gute Mischung des Repertoires ist für
meine Begriffe Teil der Stimmpflege.
SN: Eine
Wagner-CD musste heuer natürlich sein.
Es war nicht so, dass ich
mich dazu gezwungen fühlte, es hat mir einfach viel Spaß gemacht. Und
genauso gut kann ich relativ frei wählen, welches Repertoire auf eine
Platte kommt. Bisher habe ich mich nie auf einen einzelnen Komponisten
festgelegt, sondern immer nur Bereiche abgedeckt, also italienisches
oder deutsches Fach.
SN: Bei Siegmunds
"Schwert-Monolog" gibt es die legendären "Wälse"-Rufe von Lauritz
Melchior (Boston, 1940), die gar nicht mehr aufhören. Wollten Sie den
Rekord brechen?
Melchiors Aufnahmen sind schon eine
Herausforderung; aber es stand bei meiner Aufnahme niemand mit der
Stoppuhr daneben. Es geht darum, die Situation des Siegmund zum Ausdruck
zu bringen. Diese "Wälse"-Rufe,die aus ihm herausbrechen, sind Ausdruck
schierer Verzweiflung. Und wenn man das nachfühlt, dann sind sie in
dieser Länge legitim. Wenn man aber nur einen Vorwand braucht, um zu
sagen"Meiner ist länger" - dann sollte man sich besser ein anderes Stück
suchen.
SN: Zu Wien: Sie sangen an der
Staatsoper Tamino, Des Grieux, Cavaradossi und die Titelpartien in
Werther, Faust. Ist Parsifal hier eine neue Erfahrung? Wie findet man
sich zurecht?
Es ist auch die erste Wagner-Partie, die ich hier
singe. Wie ich mich zurecht finde? Ich versuche allem, was ich mache,
einen gewissen Sinn zu geben und auch einen eigenen individuellen
Stempel aufzudrücken. Und das ist, je nach Produktion, mal recht einfach
und mal ziemlich schwierig.
SN: Was schätzen Sie
an dieser Inszenierung von Christine Mielitz?
Sie ist
ungewöhnlich, ganz anders als viele andere Produktionen, die ich kenne.
Was ich vermisse ist ein Grundvertrauen in die Kraft der Musik.
SN: Die Inszenierung an der Met von Francois Girard,
die jüngst im Kino lief, war aber auch völlig anders.
Die spielt
auch in einer anderen Welt, ob das nun ein anderer Stern ist oder eine
postapokalyptische Erde oder was immer. Das ist ja völlig egal. Beim
Kundry-Akt gab es verschiedene Interpretationen. Die einen haben eher
eine sexuelle Anspielung gesehen in dieser Felsspalte. Die Idee des
Regisseurs ist auch nicht so einfach nachzuvollziehen. Für ihn ist das
die Wunde des Amfortas, in der der ganze zweite Akt spielt. Für mich
würde es dann bedeuten, dass die Blumenmädchen Bakterien sind und ich
das Antibiotikum bin. Ich finde aber, es ist ein schönes Bild, was auch
immer es sein mag.
SN: Sie haben viel an
Regietheater erlebt. Über den Beinahe-Skandal rund um Stefan Herheims
Salzburger "Entführung" wurde viel geschrieben. Glauben Sie, das kann
man heutzutage zeigen und erntet andere Reaktionen? Kann sich auch ein
Publikum ändern?
Meinen Sie in Salzburg? Das ist schon ein
spezielles Publikum, das im Sommer zu den Festspielen kommt. Bei aller
Liebe zur Freiheit der Kunst sollte man schon daran denken, dass wir
Künstler im darstellenden Gewerbe tätig sind und letztlich diese Kunst
auch verkaufenmüssen. Herheims "Entführung" würde auch heute noch
auffallen, keine Frage. Ich denke aber, der Zenit des Regietheaters, von
den Amerikanern so lapidar "Eurotrash" genannt, ist in den 1990er Jahren
gewesen. Davon sind wir längst wieder abgekommen, denke ich.
SN: Erinnern Sie sich an Ihre ersten
Salzburg-Auftritte? Der noch unbekannte Jonas Kaufmann, als
Zweitbesetzung (laut Theater) als Tamino im Landestheater. War das Leben
damals gemütlicher?
Die haben damals nur eine Zweitbesetzung
gesucht, als ich vorgesungen habe. Gemütlicher war’s sicher. Es gibt
immer wieder Momente, wo ich mich mit Freuden an diese Zeiten
zurückerinnere. An die Zeiten, wo eigentlich gar nichts von einem
erwartet wurde. Man konnte nur positiv überraschen. Aber man schiebt
halt seine eigene Messlatte immer höher und höher, irgendwann ist die so
weit oben, dass man sich wirklich bemühen muss, die Erwartungshaltung
weiter zu erfüllen. Gar nicht zu reden von der Freizeit, die ich damals
noch hatte!
SN: Jetzt pendeln Sie zwischen New
York und dem Rest der Erde, wie schaffen Sie allein den Jetlag?
Zum Glück habe ich überhaupt kein Problem mit dem Jetlag. Als junger
Mensch bin ich ja öfters im Morgengrauen nach Hause gekommenund habe den
ganzen Tag über geschlafen, das hat mich ja auch nie gestört. Insofern
sehe ich das Thema Jetlag ziemlich gelassen.
SN:
Vor kurzem übertrug die Met aus New York "Parsifal" mit Ihnen weltweit
in die Kinos, was sich ja zum Erfolg entwickelte. Wie ist das Gefühl,
dass jeder in Nahaufnahmen jede Pore zu sehen ist?
Ich find’s
faszinierend. Ich muss wirklich sagen, bevor ich das gesehen hatte,
konnte ich mir nicht denken, dass das etwas Besonderes ist. Für mich war
Oper im Fernsehen eher ein schwieriges Thema: Da gibt es einen
Regisseur, der dem Zuschauer vorschreibt, welche Figur oder Perspektive
er grad sehen möchte. Gerade bei Opern, die ich gut kenne, hat mich das
immer aufgeregt. Aber bei den Kino-Übertragungen aus der Met machen sie
das ungeheuer geschickt. Allein die Kamerafahrten sind ein Gedicht. Wie
in einem Film, als wenn das alles in soundso viel Drehtagen produziert
worden wäre. Dabei ist es live! Das ist schon auf einem ungeheuren
Niveau. Und da kann ich auch verstehen, warum das auch Theatergänger
fasziniert ist und immer mehr Erfolg hat.
SN:
Stört es Sie nicht, dass man wirklich in die Nasenlöcher schaun kann?
Extreme Close-Ups können schon desillusionierend sein, weil man beim
Singen nicht immer das schönste Gesicht macht. Andererseits finden es
manche Zuschauer gerade gut, wenn man da auch die Anstrengung sieht und
weiß, welche Arbeit dahinter steckt und dass es einem nicht nur in den
Schoß fällt. Bei einer Produktion wie "Parsifal" beispielsweise, die
über fünf Stunden dauert, ist es schon anstrengend wenn man da weiß,
dass einen der Big Brother jederzeit beobachtet - vor allem weil
Parsifal über weite Strecken keinen Ton von sich gibt, sondern nur als
stummer Zeuge auf der Bühne ist. Und trotzdem muss man jede Sekunde in
der Rolle sein.
SN: Wussten Sie, dass sie
derzeit 30.000 Fans auf Facebook haben?
Ich schau da nicht so auf
diese Zahlen.
SN: Auf Facebook gibt es auch eine
Klagemauer, wo Künstler ihre schlechten Erfahrungen über Gagen,
Engagements etc. abladen können.
Habe ich bisher nicht
mitgekriegt.
SN: Als die Opernsängerin Elisabeth
Kulman dazukam und ihren Salzburger Festspielvertrag offenlegte, kam
Bewegung in die Seite. Sie wies unter anderem auf den Umstand hin, dass
sie in Salzburg die ganze Probezeit nichts bezahlt bekommt und auch
nichts für die Generalprobe, für die Karten verkauft werden. Intendant
Pereira hat das bestätigt.
Nur weil jetzt Salzburg als Beispiel
erwähnt wurde: das ist völlig normal, das ist üblich. Wenn ich krank
werde, kriege ich nichts. Ich probe sechs Wochen, habe dann sechs
Aufführungen. Und wenn ich keine davon machen kann, dann krieg ich kein
Geld und gehe nach acht Wochen ohne einen Cent nach Hause. Was noch
hinzu kommt: Steuerlich gesehen ist es keine selbständige Tätigkeit. Da
müsste man eigentlich das Finanzamt fragen: Zahlt Ihr mir dann die Gage,
wenn ich krank werde? Für mich ist ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis eines, in dem ich auch weiter bezahlt werde,
wenn ich krank werde. Das ist aber bei uns nicht der Fall. Deshalb ist
unser Status für mich eindeutig selbständig.
SN:
Die Sopranistin Laura Aikin (u.a. Marie in Zimmermanns "Die Soldaten",
2012) sprach auch davon, sie müsse ihre zwei Kinder hin- und herfliegen
lassen oder zuhause für Betreuung sorgen und bezahlen. Bei Erkrankung
hätte sie dann einen riesigen Verlust. Sonst nichts. Haben Sie
Verständnis für so eine Facebook-Aktion?
Ich denke schon, dass
ich jetzt in der obersten Gehaltsklasse im Opernbereich angekommen bin.
Aber ich glaube auch, dass die meisten Leute von einer ganz anderen
Summe ausgehen, als das, was wir da wirklich bekommen. Ich rede nicht
von mir, sondern generell: Wer von den Salzburger Festspielen eine
Einladung bekommt, eine große Partie zu singen - oder in Bayreuth oder
an der Met -, kann offensichtlich etwas, was nur ganz wenige können. Und
in den meisten anderen Bereichen wird das vergoldet.
Also wenn
ich ein Hollywoodschauspieler wäre, dann hätte ich wahrscheinlich vor
fünf Jahren ausgehört zu arbeiten. Von Fußball-Profis gar nicht zu
reden. Da fragt doch niemand, wieso kriegt der so viel Geld? Der ist
eben so super, der ist einer der Besten der Welt. Ja! Sind wir auch.
Aber bei uns kräht kein Hahn danach. Das ist leider so.
Ok, es
ist Jammern auf hohem Niveau. Ich habe trotzdem genug zu Leben und
natürlich ist mir klar, wie viele Menschen an der Existenzgrenze
arbeiten.
SN: Haben Sie aus heutiger Sicht lange
nach oben gebraucht - sie haben z.B. in Klagenfurt gesungen
Ja,
das stimmt. Das gehört aber auch dazu, dass man diese Lehrjahre hinter
sich bringt. Das ist das Gleiche wie mit Dirigenten; die werden nicht
als Dirigenten geboren. Jemand, der sich durch das normale Korrepetitor-
und Kapellmeistersystem gearbeitet hat, der kennt nicht nur das ganze
Repertoire aus dem Effeff, sondern weiß auch, wie es sich anfühlt, in
untergeordneter Position zu sein. Das ist sehr entscheidend.
Auf
der einen Seite kann ich natürlich nicht klagen, weil ich das Glück
habe, unter den Besten zu sein und dementsprechend auch ein großes Stück
vom Kuchen abzubekommen. Doch gerade weil ich in dieser Situation bin,
darf ich mir erlauben zu sagen Es ist ein Skandal, , dass Schauspieler
und Sänger in kleineren Theatern so gut wie nichts verdienen. Der
Garderobier, die Schneiderin, der Requisiteur, der Maskenbildner, der
Bühnenarbeiter - sie alle verdienen oft mehr als jene, die auf der Bühne
ihre Haut zu Markte tragen.