Musikfreunde, September/Oktober 2013
Das Gespräch führte Joachim Reiber
 
Glut der Poesie - Jonas Kaufmann 
 
Der Zyklus "Liederabende" startet am 22. September im Großen Musikvereinssaal in die neue Saison. Und auch sonst könnte er größer nicht beginnen. Jonas Kaufmann singt. Mit den "Musikfreunden" sprach er über Poesie und beseelten Gesang, Emotionen bei Verdi und Wagner und einen Lebensrat von Hermann Prey.
 
Sonntag, 22. September 2013
Jonas Kaufmann Tenor
Helmut Deutsch Klavier

Johannes Brahms
Lieder, op. 32

Richard Wagner
Wesendonck-Lieder

Benjamin Britten
Michelangelo-Sonette

Antonin Dvorak
Zigeunermelodien, op. 55
 
Fotos: Gregor Hohenberg/Sony
 

Ihre Recitals im Großen Musikvereinssaal sind keine Soloperformances mit Liedbeiwerk, sondern ganz dezidiert: Liederabende! Dahinter steckt ein Bekenntnis zur Kunstform des Lieds, die es immer schwerer zu haben scheint. Wenn es die „Krise" des Liederabends denn gibt, was könnten die Ursachen sein? Schwindender Sinn für Poesie? Oder anders herum gefragt: Weshalb brauchen wir heute das Lied?

Das Genre „Liederabend" hatte es immer schwerer als andere Musik-Genres; selbst zu Zeiten von Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Janet Baker und anderen Lied-Ikonen fiel ein „reiner Liederabend" eher in die Kategorie „special interest", und die Menschen, die sich auf Hochburgen des Liedgesangs wie Wigmore Hall, Musikverein und Schubertiade getroffen haben, waren immer schon eine ganz besonderes Klientel. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass das Publikum für Liederabende in den letzten 50 Jahren kleiner geworden ist; da merkt man halt ganz deutlich das oft zitierte allmähliche Aussterben des Bildungsbürgertums. Für die Oper kann man leichter ein neues Publikum gewinnen, sei es durch populäre Sänger wie Anna Netrebko, sei es durch spektakuläre Inszenierungen. Die Liebe zum Liedgesang setzt mehr Bildung voraus, Kenntnis von Literatur und Poesie. Verknappt könnte man sagen: Zur Oper kommt man via Emotion, Sinnlichkeit und Glamour, zum Lied eher über Bildung und Intellekt. Was natürlich nicht heißt, dass beim Lied die Emotion eine untergeordnete Rolle spielt. Aber sie ist oft feiner, differenzierter und ambivalenter als in der Oper, weniger plakativ. Die starken Reize einer „Salome" und „Elektra" werden immer wirken, auch bei Hörern, die nichts von Oscar Wilde oder Hugo von Hofmannsthal wissen. Bei der „Dichterliebe" und den großen Lied-Zyklen Schuberts scheint mir mehr Vorbereitung oder auch Vorbildung nötig zu sein, um das Wesentliche dieser Werke zu erfassen. Das wiederum beantwortet indirekt den letzten Teil Ihrer Frage: Weshalb brauchen wir heute das Lied? Wir brauchen es schon deshalb, damit uns der Zugang zur Poesie nicht völlig verlorengeht.

Müssen wir uns für den "Liederabend" neue Formen und Formate einfallen lassen?

Je größer die Vielfalt der Formen und Formate, desto besser. Ich fände es sehr gut, wenn es mehr Alternativen gäbe zum klassischen Liederabend, ruhig auch mehr Mischformen von Gesang und Rezitation wie seinerzeit beim „Rilke-Projekt" auf CD.

In dem Buch, das Thomas Voigt über Sie und mit Ihnen herausgebracht hat, sprechen Sie vom „beseelten Gesang" und davon, dass er „heute kaum noch gefördert wird". Wie wäre er wirklich zu fördern?

Gute Frage! Wenn ich die Sänger aus der Generation meiner Eltern höre, dann habe ich den Eindruck: Die meisten hatten keine Probleme, ihre ganze Seele in den Gesang zu legen. Denken Sie zum Beispiel nur an Elisabeth Grümmer oder an Fritz Wunderlich! Das sind für mich Synonyme für „beseeltes Singen"! Derart sein Inneres nach außen zu tragen setzt aber voraus, dass man allen drei Dimensionen — Körper, Geist und Seele — dieselbe Aufmerksamkeit schenkt. Und das scheinen viele verlernt zu haben. Etwas für Körper und Geist zu tun ist ihnen selbstverständlich. Aber fragen Sie mal junge Sänger, wie viel Zeit sie für den seelischen Anteil des Singens investieren. Dann werden sie meist angeguckt wie ein Auto. Will sagen: Die erste Maßnahme der Förderung wäre, dass man ein Bewusstsein dafür schafft, dass keiner der drei Bereiche zugunsten des anderen vernachlässigt werden sollte bzw. dass die Balance dieser drei essenziell ist.

„Kann es sein", werden Sie in dem besagten Buch gefragt, „dass Ihnen Verdi, Puccini und die Veristen näher liegen als die Musik von Richard Wagner?" Und Ihre Antwort lautet da: „Emotional, ja". — Falls es bis heute so geblieben ist: Wie würden Sie diesen unterschiedlichen emotionalen Zugang bzw. diese unterschiedliche emotionale Wirkung beschreiben?

Ich möchte heute die Antwort dahingehend modifizieren, dass mir Verdi und Puccini menschlich näher stehen als Wagner. Aber wie heißt es so schön in „Capriccio" von Richard Strauss? „Du musst den Menschen vom Werke trennen." Und mit Blick auf die Werke kann ich nur sagen: Zum Glück muss ich mich nicht für einen Komponisten entscheiden, im Gegenteil: Für mich ist es gerade ein besonderer Reiz, dass ich im Verdi- und Wagner-Jahr 2013 immer wieder wechseln kann — was durchaus auch zu emotionalen Wechselbädern führt. Als ich während der „Parsifal"-Serie in New York den Manrico in Verdis „Troubadour" vorbereitete, war ich derart begeistert von dieser Musik, dass ich nur noch Verdi singen wollte. Dann kam die nächste „Parsifal"-Vorstellung an der Met: Fünf Stunden tauchte ich ein in diesen Kosmos, vergaß alles andere rundherum und glaubte, das Größte und Beste gefunden zu haben. Und so ging das hin und her, Wechselbäder der Gefühle über Wochen.
Sie fragten nach der unterschiedlichen emotionalen Wirkung. Ich denke, bei den italienischen Opernkomponisten geht einem die Musik ins Herz, bei Wagner wirkt sie wie eine Droge. Wagners Musik hat einen unglaublichen Sog, und deshalb kann sie genauso die Massen erreichen wie die Musik von Verdi und Puccini.

Darf ich noch etwas hei diesem Buch bleiben, bei Jonas Kaufmann sozusagen, wie er im Buche steht. Von den Texten, die da von anderer Hand kommen, stammt einer der schönsten, wie ich finde, von Gabriele Strehle. Sie beschreibt da auch einen Jonas Kaufmann. der „sich immer mit Zweifeln herumgeschlagen habe und bis heute ein Zweifler geblieben sei, trotz aller Erfolge." Stimmt das? Wie wichtig ist für Sie der Zweifel?

Den Zweifel halte ich für ein ganz wichtiges Korrektiv, für das notwendige Gegengewicht zum gusseisernen Selbstbewusstsein, das man als Sänger selbstverständlich haben muss — sonst sollte man nicht auf die Bühne. Aber es sollte niemals in Selbstgefälligkeit umschlagen, nach dem Motto: Egal, was ich heute mache, den Leuten gefällt's sowieso! Ein gesunder Zweifel, gepaart mit Selbstreflexion, ist absolut notwendig für jede künstlerische Entwicklung. Wer sich immer nur toll findet, kommt keinen Schritt weiter.

„Ein übermütiger, anarchischer Charakter ..." So werden Sie beschrieben, wenn von Ihrer Zeit als Extrachorist am Gärtnerplatztheater die Rede ist. Da war der Lesebleistift gleich zur Stelle. Wie viel von diesem „anarchischen Charakter" steckt noch in Ihnen?

„Anarchischer Charakter" ist vielleicht ein bissl übertrieben als Begriff. Aber ich hab halt meinen eigenen Kopf und sehe mich nicht als ausführendes Organ für die Ideen anderer. Ich setze mich gern mit anderen Ansichten auseinander, aber bin nicht so leicht „auf Linie zu bringen", wie das der Opernbetrieb manchmal vielleicht erfordert. Reibereien erzeugen ja auch Funken. Und immer schön angepasst um des lieben Friedens willen, das ist sicher nicht mein Ding.

Als „Revolution der Künstler" sorgt derzeit eine Diskussion für Aufsehen, in der es um Fragen der fairen Bewertung und gerechten Entlohnung sängerischer bzw. künstlerischer Leistungen geht. Sie haben den Betrieb auf allen Ebenen kennengelernt —vom Ensemblealltag an einem kleinen Haus bis zum Topniveau eines weltweit begehrten Stars. Haben Sie Verständnis für diese „Revolution"? Wo sehen Sie vorrangig Handlungsbedarf?

Bei der Bezahlung an kleineren Häusern. Es ist ein Skandal, dass Schauspieler und Sänger dort so gut wie nichts verdienen. Da wäre eine gerechte Entlohnung dringend an der Zeit, zumal in Hinblick auf die Unsicherheit in unserem Metier: Wenn man mit dem Risiko leben muss, in der nächsten Saison nicht mehr gebraucht zu werden, sollte man zumindest die Möglichkeit haben, etwas für den Notfall auf die Seite legen zu können, aber das können Sie bei den jetzigen Verdienstverhältnissen schlichtweg vergessen.

Zum Schluss eine Frage mit spezieller Musikvereinsresonanz. Einer der Großen, der wie Sie mit Liedprogrammen den Goldenen Saal gefüllt hat, war Hermann Prey, Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde und hier über mehr als vier Jahrzehnte präsent. Was hat Sie mit ihm verbunden? Hat er Ihnen etwas mitgegeben auf Ihren Weg?

Was mich mit Hermann Prey zunächst verbunden hat, war ein Kindheitserlebnis. Mein Vater schaltete das Radio an, und als eine Männerstimme ertönte, sagte er sofort: „Ah, der Prey!" — Ich war damals sprachlos: Wie konnte mein Vater nach zwei, drei Tönen einen Sänger erkennen? Heute weiß ich, dass Prey zu den „ Unverkennbaren" gehört. Sein Timbre, seine Manier, seine Diktion — man erkennt ihn unter Tausenden. Nach diesem Schlüsselerlebnis habe ich ihn natürlich unzählige Male gehört, auf Platten wie auch live. Seine Liederabende gehören zu den prägenden Eindrücken meiner Studentenzeit. Später habe ich ihn auch persönlich kennengelernt, und ich fand es sehr nobel von ihm, dass er versuchte, mich an die Bayerische Staatsoper zu vermitteln. Was er mir mit auf den Weg gegeben hat, lässt sich mit einem Satz sagen: Versuche nicht, so zu sein, wie andere dich haben wollen, sondern bleibe ganz du selbst.






 
 
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