Morgenweb, 11.4.2013
Stefan M. Dettlinger
 
„Die Kraft, Leben zu verändern“ 
 
Das Interview: Star-Tenor Jonas Kaumann vor seinem NTM-Auftritt über Spezialisierung, den schwierigen Fall Wagner und Popularität
 

Er ist derzeit der Idealtypus des deutschen, des Wagnertenors. Doch Jonas Kaufmann, längst Weltstar, kann auch anders: Er beherrscht das italienische, das französische Fach und wartet mit lyrischen Farben auf. Jetzt singt er Massenets "Werther" am NTM - Anlass für ein Gespräch.

Herr Kaufmann, nach so viel Wagner nun der "Werther" in Mannheim - wie fühlt sich das an?

Jonas Kaufmann: Für die Stimme sind die Unterschiede zwischen Wagner und Massenet gar nicht so riesig. Sicher braucht es für Siegmunds Schwert-Monolog mehr Kraft und Volumen als für die dramatischen Szenen eines Werther - doch findet man bei Wagner mindestens so viele lyrische Passagen wie dramatische, denken Sie nur an "Mein lieber Schwan" in "Lohengrin". Dass man nach einer Wagnerpartie Mozart, Verdi oder Massenet gesungen hat, war früher ganz normal.

Verweigern Sie sich einer sängerischen Spezialisierung?

Kaufmann: Die gab es früher nicht, und das hat die Stimmen flexibel gehalten. Ich stelle immer wieder fest, dass sich die Partien gegenseitig befruchten. Ein Werther oder Don Carlo profitieren von den Kraftreserven aus dem "Wagner-Training", und eine Wagnerpartie profitiert von der Legatokultur und den Farben des Französischen und Italienischen.

Apropos Siegmund. Die "Wälse!"-Rufe auf ihrem Album sind sehr lang und dramatisch. Wollten Sie einen Rekord brechen?

Kaufmann: Gott bewahre! Den Rekord hält seit über 70 Jahren Lauritz Melchior mit seinen Live-Aufnahmen aus der Met. Seine "Wälse!"-Rufe sind endlos, riesig und enorm beeindruckend. Das toppen zu wollen, wäre reiner Wahnsinn. Generell finde ich die Diskussion "Wer hat den Längsten, wer hat den Größten" albern. Aber ich muss zugeben, dass Melchiors Aufnahmen eine enorme Herausforderung darstellen.

Dass Sie irgendwann Siegfried singen, und zwar sehr gut, hätte vor ein paar Jahren auch keiner gedacht. Aber es scheint, als arbeiteten Sie derzeit viel an Ihrer Pianokultur. Täuscht das?

Kaufmann: Nein, da täuschen Sie sich nicht. Ich lege auf die leisen und feinen Töne mindestens so viel Wert wie auf die großen und dramatischen. Eine alte Sängerregel lautet: Nur wer über ein klangvolles Piano verfügt wird ein gesundes Forte entwickeln können. Aber das betrifft ja nicht nur die Technik, sondern vor allem das Künstlerische.

Welche Position beziehen Sie in der Causa Wagner? Können Sie das wunderbare Werk vom abscheulichen Antisemiten trennen?

Kaufmann: Wagners antisemitische Schriften und seine Selbstüberschätzung werden immer Stein des Anstoßes bleiben. Selbst militante Wagnerianer wünschen sich manchmal, er hätte nur komponiert und nicht so viel geschrieben. Aber was Ihre Frage betrifft: Ich finde, man sollte Werk und Mensch trennen, genauso, wie man den Antisemitismus eines Nationalisten wie Wagner vom Antisemitismus der Nationalsozialisten unterscheiden sollte.

Geht das?

Kaufmann: Dass Wagners Werke von den Nazis missbraucht wurden, ändert nichts an ihrer künstlerischen Bedeutung. Sie gehören zum Größten. Das haben auch viele jüdische Künstler so gesehen, die von den Nazis aus Deutschland und Österreich vertrieben wurden: Sänger wie Friedrich Schorr hatten kein Problem damit, Wagner an der Met aufzuführen. Und jemand wie Daniel Barenboim arbeitet seit langem daran, Wagner auch in Israel aufführen zu dürfen.

Wie steht es um die Gattung Oper, die durchs Repetieren alter Werke überlebt, nicht durch Neues?

Kaufmann: Sicher hat die zeitgenössische Oper nicht mehr den "Sitz im Leben" wie zu Carusos Zeiten: Da waren Puccini-Arien die Pop-Hits, die auf der Straße gepfiffen wurden. Aber deshalb ist Oper noch lange nicht eine "museale Kunst". Die großen Opern-Hits erreichen heute noch ein Millionenpublikum, wenn man sie entsprechend präsentiert. Und wenn ab und zu auch neue Opern für ausverkaufte Häuser sorgen, wie unlängst Jörg Widmanns "Babylon" in München, dann ist das doch ein gutes Zeichen. Oper hat nach wie vor die Kraft, die Massen emotional zu bewegen. Deshalb mache ich mir um ihre Zukunft wenig Sorgen. Viel eher bekümmert es mich, dass die musikalische Sozialisation in Schulen und Elternhäusern immer mehr zu verkümmern droht.

Tun Sie mit Ihrer Popularität etwas gegen den Kulturschwund?

Kaufmann: Ich versuche es. Was bedeutet bei uns Sängern denn letztlich der Begriff Popularität? Dass wir über den Kreis der Klassik-Liebhaber hinaus Menschen erreichen, die wir vielleicht für Oper und Lied gewinnen können. Der EMI-Produzent Walter Legge hat einmal zu seiner Ehefrau Elisabeth Schwarzkopf gesagt: Denke daran, dass in jeder Aufführung mindestens einer sitzt, dessen Leben sich an diesem Abend verändern wird. Klassische Musik hat nach wie vor die Kraft, Menschen zu bewegen und Leben zu verändern. Deshalb glaube ich fest daran, dass die "Pop-Events" der Klassik dazu beitragen, dass Werte wie Kultur und Bildung nicht verloren gehen.








 
 
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