Er ist derzeit der Idealtypus des deutschen, des Wagnertenors. Doch
Jonas Kaufmann, längst Weltstar, kann auch anders: Er beherrscht das
italienische, das französische Fach und wartet mit lyrischen Farben auf.
Jetzt singt er Massenets "Werther" am NTM - Anlass für ein Gespräch.
Herr Kaufmann, nach so viel Wagner nun der "Werther" in
Mannheim - wie fühlt sich das an?
Jonas
Kaufmann: Für die Stimme sind die Unterschiede zwischen Wagner
und Massenet gar nicht so riesig. Sicher braucht es für Siegmunds
Schwert-Monolog mehr Kraft und Volumen als für die dramatischen Szenen
eines Werther - doch findet man bei Wagner mindestens so viele lyrische
Passagen wie dramatische, denken Sie nur an "Mein lieber Schwan" in
"Lohengrin". Dass man nach einer Wagnerpartie Mozart, Verdi oder
Massenet gesungen hat, war früher ganz normal.
Verweigern Sie sich einer sängerischen Spezialisierung?
Kaufmann: Die gab es früher nicht, und das hat die
Stimmen flexibel gehalten. Ich stelle immer wieder fest, dass sich die
Partien gegenseitig befruchten. Ein Werther oder Don Carlo profitieren
von den Kraftreserven aus dem "Wagner-Training", und eine Wagnerpartie
profitiert von der Legatokultur und den Farben des Französischen und
Italienischen.
Apropos Siegmund. Die "Wälse!"-Rufe auf
ihrem Album sind sehr lang und dramatisch. Wollten Sie einen Rekord
brechen?
Kaufmann: Gott bewahre! Den
Rekord hält seit über 70 Jahren Lauritz Melchior mit seinen
Live-Aufnahmen aus der Met. Seine "Wälse!"-Rufe sind endlos, riesig und
enorm beeindruckend. Das toppen zu wollen, wäre reiner Wahnsinn.
Generell finde ich die Diskussion "Wer hat den Längsten, wer hat den
Größten" albern. Aber ich muss zugeben, dass Melchiors Aufnahmen eine
enorme Herausforderung darstellen.
Dass Sie irgendwann
Siegfried singen, und zwar sehr gut, hätte vor ein paar Jahren auch
keiner gedacht. Aber es scheint, als arbeiteten Sie derzeit viel an
Ihrer Pianokultur. Täuscht das?
Kaufmann:
Nein, da täuschen Sie sich nicht. Ich lege auf die leisen und feinen
Töne mindestens so viel Wert wie auf die großen und dramatischen. Eine
alte Sängerregel lautet: Nur wer über ein klangvolles Piano verfügt wird
ein gesundes Forte entwickeln können. Aber das betrifft ja nicht nur die
Technik, sondern vor allem das Künstlerische.
Welche
Position beziehen Sie in der Causa Wagner? Können Sie das wunderbare
Werk vom abscheulichen Antisemiten trennen?
Kaufmann: Wagners antisemitische Schriften und seine
Selbstüberschätzung werden immer Stein des Anstoßes bleiben. Selbst
militante Wagnerianer wünschen sich manchmal, er hätte nur komponiert
und nicht so viel geschrieben. Aber was Ihre Frage betrifft: Ich finde,
man sollte Werk und Mensch trennen, genauso, wie man den Antisemitismus
eines Nationalisten wie Wagner vom Antisemitismus der
Nationalsozialisten unterscheiden sollte.
Geht das?
Kaufmann: Dass Wagners Werke von den Nazis
missbraucht wurden, ändert nichts an ihrer künstlerischen Bedeutung. Sie
gehören zum Größten. Das haben auch viele jüdische Künstler so gesehen,
die von den Nazis aus Deutschland und Österreich vertrieben wurden:
Sänger wie Friedrich Schorr hatten kein Problem damit, Wagner an der Met
aufzuführen. Und jemand wie Daniel Barenboim arbeitet seit langem daran,
Wagner auch in Israel aufführen zu dürfen.
Wie steht es
um die Gattung Oper, die durchs Repetieren alter Werke überlebt, nicht
durch Neues?
Kaufmann: Sicher hat die
zeitgenössische Oper nicht mehr den "Sitz im Leben" wie zu Carusos
Zeiten: Da waren Puccini-Arien die Pop-Hits, die auf der Straße
gepfiffen wurden. Aber deshalb ist Oper noch lange nicht eine "museale
Kunst". Die großen Opern-Hits erreichen heute noch ein
Millionenpublikum, wenn man sie entsprechend präsentiert. Und wenn ab
und zu auch neue Opern für ausverkaufte Häuser sorgen, wie unlängst Jörg
Widmanns "Babylon" in München, dann ist das doch ein gutes Zeichen. Oper
hat nach wie vor die Kraft, die Massen emotional zu bewegen. Deshalb
mache ich mir um ihre Zukunft wenig Sorgen. Viel eher bekümmert es mich,
dass die musikalische Sozialisation in Schulen und Elternhäusern immer
mehr zu verkümmern droht.
Tun Sie mit Ihrer Popularität
etwas gegen den Kulturschwund?
Kaufmann:
Ich versuche es. Was bedeutet bei uns Sängern denn letztlich der Begriff
Popularität? Dass wir über den Kreis der Klassik-Liebhaber hinaus
Menschen erreichen, die wir vielleicht für Oper und Lied gewinnen
können. Der EMI-Produzent Walter Legge hat einmal zu seiner Ehefrau
Elisabeth Schwarzkopf gesagt: Denke daran, dass in jeder Aufführung
mindestens einer sitzt, dessen Leben sich an diesem Abend verändern
wird. Klassische Musik hat nach wie vor die Kraft, Menschen zu bewegen
und Leben zu verändern. Deshalb glaube ich fest daran, dass die
"Pop-Events" der Klassik dazu beitragen, dass Werte wie Kultur und
Bildung nicht verloren gehen.