Herr Kaufmann, bei der Saisonpremiere der Scala standen Sie als
Lohengrin auf der Bühne, eine Rolle, mit der auch Ihr Tenorkollege Klaus
Florian Vogt große Erfolge feiert. Der hat jedoch eine völlig andere
Stimme als Sie. Wirkt sich Ihre Stimme auf Ihre persönliche Lesart des
Lohengrin aus?
Irgendwie hat man bei Lohengrin, trotz der
Gralserzählung, immer den strahlenden Helden im Kopf. Als ich dann die
Partie studiert habe, bin ich über so viele Piano- und
Pianissimo-Stellen gestolpert, dass ich gedacht habe: Das kann doch
nicht wahr sein! Wagner sucht hier beides: den Helden – und den Menschen
hinter dem Helden. Gleich am Anfang, nach dem aufgewühlten,
bombastischen Auftritt des Chores, erscheint Lohengrin und singt ganz
leise und zärtlich zu einem Schwan: Da wird dieses Heldenbild doch
sofort gebrochen, und das zieht sich durch das ganze Stück. Daher
braucht man beides: den heldischen Tenor etwa für die Anklage im dritten
Akt. Gleichzeitig brauche ich aber auch eine Stimme für die zarten
Stellen, wie die Gralserzählung oder „Mein lieber Schwan“. Das ist der
am stärksten zurückgenommene Moment von allen, da ist der Held aus dem
ersten Akt völlig gebrochen, ja fast depressiv.
Kann man
sagen, dass es bei Wagner immer dann anfängt zu „menscheln“, wenn er ins
Piano zurückgeht?
Ich glaube schon. Solche Momente erleben
wir ja auch in den anderen Werken, bei den Selbstgesprächen des
Siegfried zum Beispiel. Auf einmal wird dann der Haudegen ganz weich.
Leise Stellen gibt es zwar auch in den Liebesduetten, aber da menschelt
es anders. Die sind viel aufgeregter und heroischer. Nehmen Sie zum
Beispiel den ersten Akt der „Walküre“ oder den dritten „Siegfried“-Akt,
das ist fast ein Schlagabtausch von Liebesargumenten.
Was
haben uns diese Figuren heute noch zu sagen, abgesehen davon, dass es
einfach wunderschöne Musik ist?
Sehr viel. Wenn wir von dem
heroischen Wagner ein bisschen Abstand nehmen, ihn sozusagen
entschlacken und die menschlichen Aspekte hervorkehren, auch zeigen, wie
zerrissen die Charaktere sind, dann haben wir gute Chancen, auch heute
noch viel erzählen zu können. Auch weil wir den Menschen damit ähnlicher
werden, mit all ihren Fehlern. In dem Moment, in dem ein Held seine
Fehler eingesteht, wird er einem sympathisch. Das kennen wir auch aus
Kinofilmen: Ein Held, der immer gewinnt, ist langweilig. Erst wenn er
strauchelt, fiebern wir mit. Ich denke, damit kann man auch ein Publikum
von heute packen – natürlich in Kombination mit dieser wunderbaren
Musik.
Im Vorfeld der Scala-Eröffnung wurde mit Blick auf die
Sängerbesetzung von einer „Germanisierung der Scala“ gesprochen, dabei
wird dem „Lohengrin“ unter den Wagner-Opern doch gemeinhin die größte
„Italianità“ attestiert. Wie italienisch ist der „Lohengrin“?
Es steckt beides drin: Von der musikalischen Lesart her wird er zu
Recht als die italienischste Oper Wagners bezeichnet, selbst Verdi hat
das gesagt. Da stecken schon viel Italianità und Belcanto drin, die
durch eine zu starke Heroisierung jedoch verloren gehen können. Aber
gleichzeitig steckt auch sehr viel Deutschtümelndes drin, im Text und in
der Handlung. Ich zitiere hier immer die meistens gestrichene
Prophezeiung Lohengrins im dritten Akt, wo es heißt: „Nach Deutschland
sollen noch in fernsten Tagen des Ostens Horden siegreich nimmer ziehn!“
Für unser heutiges Ohr mit dem geschichtlichen Hintergrundwissen um den
Missbrauch dieser Musik während der Nazi-Diktatur ist das natürlich sehr
grenzwertig.
Wie geht man als Künstler damit um, wenn man
solche Texte singen muss?
Man muss sie einfach im Kontext
sehen, und der ist das Jahr 1848. Dafür war die Interpretation von Claus
Guth in Mailand auch prädestiniert, denn er ließ das Stück 1848 spielen.
Wenn die Soldaten zu den Waffen greifen, geht es also genau um diesen
Kontext, und es fällt einem nicht so schwer, diese Worte in den Mund zu
nehmen.
Noch mal zur Rolle des Lohengrin: Er wird unter den
Wagner-Tenorrollen oft als die lyrischste beschrieben. Würden Sie sich
selbst noch als lyrischen Tenor bezeichnen, oder sind Sie diesem Fach
nicht längst entwachsen?
Ich glaube nicht, dass das eine
lyrische Partie ist. Es gibt so viele „unangenehme“ Stellen, zum
Beispiel „Höchstes Vertrau’n hast du mir schon zu danken“ aus dem
dritten Akt. Lyrisch schon im Sinne von Legato, von weich bleiben, von
Schöngesang; aber lyrisch im Sinne von lyrischer Tenor, der sonst Mozart
singt – keine Chance! Das funktioniert einfach nicht.
Aktuell
sind Sie auf einer „Walküre“-Aufnahme unter Valery Gergiev zu hören.
Worin unterscheiden sich der Lohengrin und der Siegmund für den Sänger?
Grundsätzlich liegt keine Tenorpartie von Wagner wirklich hoch, das
hohe A Wagners ist das hohe C Verdis. Darin liegt teilweise aber auch
die Schwierigkeit, denn viele Stimmen fangen in der Höhe erst an zu
klingen und ihre volle Kraft zu entwickeln. Wenn dieser Bereich aber gar
nicht vorkommt und man die meiste Zeit in bequemer Bariton-Mittellage
verbringt, ist es für zu leichte Stimmen schwer, genug Klang
aufzubringen, ohne sich dabei durch zu viel Forcieren zu überfordern.
Insofern habe ich Glück, dass meine Stimme ein wenig tiefer gelagert
ist. Das kommt mir vor allem bei den langen tiefen Passagen des Siegmund
zugute. Der Lohengrin ist hingegen etwas anders gelagert: Da gibt‘s zwar
auch tiefe Stellen, gemeinerweise zum Beispiel kurz vor Ende, bevor er
die Gralserzählung singt. Aber dieser eine tiefe Ton kommt beim Siegmund
viel öfter vor, den muss man da also ständig verfügbar haben.
Wie fesselt man als Wagner-Sänger sein Publikum, wenn man schon
nicht mit hohen Cs beeindrucken kann?
Ich glaube nicht, dass
man sich nur auf hohe Töne verlassen kann. Ich gehe auch eine Verdi-
oder Puccini-Partie nicht so an, dass ich mir überlege, wie der hohe Ton
möglichst strahlend, lang und beeindruckend ist. Das gibt es auch, dass
sich Sänger den ganzen Abend von Phrase zu Phrase retten, damit sie die
hohen Töne dann möglichst brillant zur Verfügung haben. Aber es geht um
das Gesamtbild, denn schließlich hat sich ein Komponist bei jeder Phrase
was gedacht. Als Sänger muss man daher allem Inhalt und Kraft geben.
Letztendlich ist das auch viel beeindruckender als ein einziges hohes C
in einer Arie. Man muss mit anderen Dingen punkten, und für mich ist das
die Interpretation, dass ich also jeder Phrase, jedem Wort einen Sinn
gebe.