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1st, Oktober 2013 |
SENTA ZIEGLER |
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Jonas Kaufmann - Der Opernstar, der als einer der attraktivsten Tenöre der Welt gilt, begeisterte bei den "Salzburger
Festspielen". Jetzt singt der Münchner endlich wieder an der Wiener Staatsoper. Das Interview.
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Unverschämt gut & sexy
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"Es ist ein Unding, wenn das Aussehen
wichtiger ist als stimmlich-musikalische Qualität." Jonas
Kaufmann zur Tatsache, dass Optik in der Opernwelt heute eine große Rolle
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Freilich, wir liebten auch Luciano Pavarotti als
zentnerschweren Prinzen in Turandot. Wegen seines unvergleichlichen Nessun
dorma. Auch Johan Botha ist ein hinreißender Bacchus in Ariadne auf Naxos.
Beides Ausnahme-Tenöre, aber sexy Liebhaber auf der Bühne? Mitnichten. Umso
begeisterter reagiert das Publikum, wenn optische Erscheinung, virtuoser
Stimmklang und leidenschaftliche Interpretation mitreißend zusammen fallen:
Jonas Kaufmann ist ein solcher Glücksfall, der all diese Tugenden in sich
vereint, was ihn zu Recht zu einem der meistgefragten Tenöre der Opernwelt
macht.
Der 44-Jährige kommt aus Deutschland, ist jedoch fernab
jeglichen Siegfried-Klischees weder blond, noch hünenhaft oder blauäugig.
Mit seinen schwarzen Locken, den dunklen Augen und seiner südländisch
anmutenden kräftig-warmen Stimme kann er es mit der rassigen Konkurrenz ä la
Rolando Villazón und Ildebrando D'Arcangelo locker aufnehmen. In Salzburg
löste er diesen Sommer als Don Carlo Jubelstürme bei Publikum und Presse
aus. Im Vorjahr ebensolche als Bacchus in Ariadne auf Naxos. An der Met in
New York und an der Mailänder Scala ist der gebürtige Münchner Dauergast.
Und nun kommt er wieder einmal, heiß ersehnt, an die Wiener Staatsoper. —
Als Räuberhauptmann Ramerrez ist er ab 5. Oktober in der selten aufgeführten
Puccini-Oper La fanciulla del West der sowohl optische wie gesangliche
Starmagnet. Es ist dies eine turbulente Love Story im Wildwest-Milieu und
Kaufmann freut sich im FIRST-Interview auf diese „überaus dankbare" Aufgabe.
Darüber hinaus spricht er über seine drei Kinder, über Wien und seinen
emotionalsten Moment auf der Bühne. |
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Sie singen wieder an der Wiener Staatsoper — in „La fanciulla del
West". Mögen Sie Puccini?
Ich liebe La fanciulla! Für mich
ist das eine der tollsten Opern, die Puccini geschrieben hat! Ich bin immer
wieder fasziniert vom musikalischen Reichtum, von der Imaginationskraft
Puccinis, von seiner Kunst, mit bestimmten Klangfarben eine ganz spezifische
Atmosphäre zu schaffen. Diese Musik macht mich so süchtig, wenn ich sie
höre, so dass ich fast frustriert bin, wenn sie vorbei ist.
Gilt das besonders für Ihre Rolle als Räuberhauptmann „Dick Johnson"?
Der Mann, den ich darstelle, heißt in Wirklichkeit Ramerrez und ist ein
Räuber, der es auf das Gold abgesehen hat, das die Goldgräber in einer
Schenke aufbewahren. Doch dann kommt alles anders. Meine Partie ist überaus
dankbar: um zu zeigen, dass dieser Dick Johnson, alias Ramerrez, ganz anders
ist, als die Jungs, mit denen seine Liebe, die Schankwirtin Minnie, täglich
zu tun hat, gab Puccini ihm ein sehr attraktives Profil. Keinen Ganoven
hören wir da, sondern einen weltgewandten Mann, eben einen interessanten
Fremden. Ich freue mich sehr auf diese Rolle.
Was ist für Sie
das Besondere an der Wiener Staatsoper?
Mit der Met, der
Mailänder Scala und dem Royal Opera House in London gehört die Wiener
Staatsoper zu den ersten Opernhäusern der Welt, und natürlich ist es für
jeden Sänger eine große Ehre, hier zu singen. Es hat zwar ein bissel langer
gedauert als bei den anderen genannten Häusern, bis man mich nach Wien
geholt hat, aber besser später als nie (lacht).
Haben Sie
auch abseits des Opern-Engagements eine Beziehung zu Wien?
Freilich, Wien ist nicht nur in musikalischer Hinsicht eine der
attraktivsten Städte Europas. Und in kaum einer anderen Stadt hat man immer
noch den Eindruck, dass das Geschehen in Oper und Musikverein auch den „Mann
auf der Straße" interessiert. Ich denke da oft an die Geschichte von Rolf
Liebermann, der seine Karte für „La Boheme" seiner Putzfrau schenken wollte.
Die winkte aber ab mit den Worten: „Danke schön, Herr Doktor, aber heute
singt die X die Musette, und gerade in der Partie find' ich sie
unausstehlich."
Sie sind bekannt dafür, dass Sie in den
Pausen selbst der anstrengendsten Opern z. B. mit Ihren Kindern
telefonieren, während andere sich konzentrieren und ihre Stimme warmhalten
müssen. Sind Sie wirklich so relaxed während einer Vorstellung?
Meistens, zum Glück quält mich nicht dieses Lampenfieber mit dem viele
Kollegen zu kämpfen haben. Es ist bei mir eher so, dass ich kaum warten
kann, auf die Bühne zu kommen, da bin ich wie das sprichwörtliche
Zirkuspferd und scharre mit den Hufen. Das heißt aber nicht, dass man mich
jederzeit von der Straße holen und sofort auf die Bühne schubsen kann. Die
Konzentration und die Vorbereitung, die man für einen Opernabend braucht,
findet bei mir genauso statt wie bei den anderen, nur wirke ich in den
Pausen vielleicht entspannter als die meisten Sänger.
Wie
sehr nehmen Sie bei Ihrer Engagement-Auswahl Rücksicht auf Ihre Familie, um
trotz des Berufs als Vater präsent sein zu können?
Sehr,
denn ich möchte ja von meiner Familie nicht länger getrennt sein als absolut
nötig. Ich versuche konstant, solche Dinge nicht dem Zufall zu überlassen,
sondern so zu organisieren, dass ich zu Hause nicht nur die Koffer umpacke
und wieder verschwinde. Wenn ich zur Tür reinkomme und die Kinder mich als
erstes fragen: „Wann musst du wieder weg?", dann weiß ich, dass ich zu viel
unterwegs war. Vergangenes Frühjahr hatten wir das Glück, in New York zwei
Monate lang zusammen sein zu können. Das hilft sehr, weil man dann noch mehr
zusammenwächst.
Sie haben drei Kinder, was bedeutet
Vaterschaft für Sie?
Sehr viel! Wahrscheinlich ist es die
Rolle, mit der ich mich am längsten beschäftigt habe und eine, die ich wohl
nie aufgeben werde. Es ist ein ständiger Lernprozess. Zum Beispiel musste
ich lernen, dass man als ständig Reisender nicht nach Hause kommen und dann
versuchen kann, in puncto Erziehung alles nachzuholen, was man vielleicht
getan hätte, wenn man daheim geblieben wäre. Das hat keinen Sinn. Besser
ist's, man spielt sich ein und spricht ab, wer für welchen Bereich zuständig
ist. Wenn ich die Zeit habe, länger mit meiner Familie zu sein, nehme ich
die Vaterrolle sehr ernst. Aber letztlich lastet das Meiste doch auf den
Schultern meiner Frau. Und was den sogenannten „Promi-Faktor" betrifft: ich
möchte nicht, dass die Kinder Respekt vor mir haben, weil ich irgendetwas
Besonderes erreicht habe, sondern einfach nur, weil ich ihr Vater bin.
Schmeichelt es Ihnen, als einer der attraktivsten Opernsänger
der Welt wahrgenommen zu werden?
Anfangs hat es noch
geschmeichelt, aber inzwischen nervt es mich mehr als dass es mich freut,
zumal es bei einer Gruppe von Lesern immer den Hintergedanken auslöst: der
ist doch nur so beliebt, weil die meisten Leute heute mit den Augen hören.
Wie wichtig ist das Aussehen eines Opernstars in unserer heute
so auf Optik fokussierten Gesellschaft?
Es ist heute auf
jeden Fall wichtiger als zu Zeiten des Heldentenors Lauritz Melchior, den
Zeitzeugen das „singende Sofa" nannten und der alleine mit seiner Stimme zum
Star wurde. Das wäre heute, wo alle Filme und DVDs schauen, kaum möglich.
Aussehen und körperliche Fitness spielen eine immer größere Rolle. Aber:
Wenn das Aussehen wichtiger ist als stimmlich-musikalische Qualitäten, dann
ist für mich die Schmerzgrenze erreicht. Als Sänger und Schauspieler möchte
man doch in erster Linie wegen der stimmlichen und künstlerischen Leistung
geschätzt werden. Und ich finde es schlichtweg ein Unding, wenn erstklassige
Sänger gegenüber mittelmäßigen zurückstehen müssen, weil sie nicht so toll
aussehen oder nicht so „telegen" sind. Ich werde inzwischen, so ist
jedenfalls mein Eindruck, zuerst als Künstler wahrgenommen, bei dem das
Aussehen als Bonus gewertet wird und nicht als allererstes Kriterium.
Was war rückblickend bisher Ihr emotionalster Moment auf der
Bühne?
Der Solo-Vorhang nach meinem Debüt an der Met als
Alfredo in La Traviata im Februar 2006. In New York kannte mich damals kaum
jemand. Vor der Verbeugung dachte ich: na ja, sie werden wohl freundlich
klatschen. Ich kam raus — und die Leute sprangen von den Sitzen und fingen
an zu schreien. Das hat mich derart überrascht, dass es mich buchstäblich
umgehauen hat. Ich sackte auf die Knie und dachte: Meinen die wirklich mich?
Dass ein ganzes Haus wegen mir kopfsteht, dass Leute „Bravo" schreien, die
mich gar nicht kannten, das konnte ich gar nicht fassen! Das war wirklich
ein unvergesslicher Moment, und noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn
ich daran zurückdenke. |
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