mittelhessen.de/dpa, 21.05.2013
dpa/Foto: dpa, Peter Kneffel
 
Jonas Kaufmann: Wagners Musik ist eine Welt für sich
 
München (dpa) - Jonas Kaufmann (43) gilt als einer der besten Heldentenöre unserer Zeit - der bekannteste dürfte der gebürtige Münchner in Deutschland ohnehin sein.
 

Zum 200. Geburtstag von Richard Wagner hat er eine CD mit Szenen aus Opern wie «Tannhäuser», «Lohengrin», «Die Walküre» und auch «Siegfried» aufgenommen. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa erzählt er, warum er um die «Siegfried»-Rolle auf der Bühne bislang einen Bogen gemacht hat - und warum er das ausgerechnet im großen Wagner-Jahr auch mit Bayreuth tut.

Wie war Ihre erste Begegnung mit Wagner und seiner Musik?

Jonas Kaufmann: «Die fand in früher Kindheit statt. Ich habe das Bild genau vor Augen: Mein Großvater sitzt am Klavier und spielt Wagner. Er war ein echter Wagnerianer, hatte von allen Opern Klavierauszüge, und wenn er daraus spielte, sang er alle Partien mit - vom Hagen bis zur Brünnhilde. Da wir im gleichen Haus wohnten, bin ich mit Wagner groß geworden, und ich fand es faszinierend, in den Klavierauszügen meines Großvaters zu blättern. Das waren liebevoll gestaltete Ausgaben, illustriert mit alten Bühnenbildern und mit einer Übersicht der Leitmotive. Auf diese Weise lernte ich die Magie von Wagners Musik quasi spielerisch kennen.»

Was bedeutet diese Musik heute für Sie?

Jonas Kaufmann: «Sie ist eine Welt für sich. Je mehr ich mich mit ihr beschäftige, desto faszinierender wird sie. Und wenn man sich auf sie einlässt, hat sie einen unglaublichen Sog, dem ich mich nicht entziehen kann, weder als Zuhörer noch als Sänger.»

Gibt es heute noch Neues in Wagners Werk zu entdecken?

Jonas Kaufmann: «Oh ja, selbst wenn man es in- und auswendig zu kennen glaubt. Das steckt so viel drin, dass man wahrscheinlich nie damit fertig wird. Deshalb vertragen die großen Wagner-Opern ja auch ganz unterschiedliche Interpretationsansätze. Nehmen sie nur den "Ring": Von den ersten Bayreuther Inszenierungen über Wieland Wagner und Chereau bis zu Konwitschny und Fura dels Baus hat es doch eine ungeheure Bandbreite von Deutungen geben. Und wenn wir von dem heroischen Wagner etwas Abstand nehmen und die menschlichen Aspekte hervorkehren, indem wir zum Beispiel zeigen, wie zerrissen die Charaktere sind, dann haben wir gute Chancen, auch ein heutiges Publikum zu erreichen. Wir kennen es ja längst aus Filmen: Ein Held der immer gewinnt, ist langweilig. Erst wenn er strauchelt, fiebern wir mit.»

Welche Rolle spielt die umstrittene Person Wagner für Sie? Verschwindet sie hinter dem Komponisten?

Jonas Kaufmann: «Wie heißt es so schön in "Capriccio" von Richard Strauss: "Du musst den Menschen vom Werke trennen." Selbst militante Wagnerianer wünschen sich manchmal, er hätte nur komponiert und nicht so viel gesagt oder geschrieben. Stein des Anstoßes werden immer seine antisemitischen Schriften und seine Selbstüberschätzung bleiben. Verliert dadurch ein "Tristan" an Wert? Viele jüdische Künstler, die von den Nazis aus Deutschland und Österreich vertrieben wurden, hatten kein Problem damit, Wagner an der Met aufzuführen – eben weil sie Mensch und Werk trennen konnten. Und weil sie trotz Missbrauchs seiner Musik durch die Nazis daran festhielten, dass Wagners Gesamtwerk zum Größten der Musikliteratur gehört.»

Was macht für Sie einen guten Heldentenor aus - und was einen herausragenden?

Jonas Kaufmann: «Ein Guter hat die Technik und das Durchhaltevermögen, um Mammut-Partien wie Tannhäuser, Tristan und Siegfried über Jahre singen zu können, ohne seiner Stimme zu schaden. Ein Herausragender kann sie nicht nur singen, sondern auch differenziert gestalten: Dass heißt, er wird all den leisen und feinen Phrasen, die es ja bei Wagner mindestens genauso oft gibt wie bei Verdi, genauso gerecht wird wie den dramatischen und heroischen. Als Siegfried zum Beispiel hätte er nicht nur die Durchschlagskraft für die Schmiedelieder, sondern auch die stimmliche Geschmeidigkeit für die Parlando-Dialoge mit Mime und die inneren Monologe im Wald. Und wenn er dann noch nach vier Stunden Schwerstarbeit den vokalen Breitseiten der ausgeschlafenen Brünnhilde standhält, würde ich sagen: Chapeau!»

Siegfried fehlt Ihnen noch - wann ist es soweit?

Jonas Kaufmann: «Es ist noch nichts Konkretes geplant. Doch seitdem ich die "Waldszene" für mein Wagner-Album aufgenommen habe, reizt es mich schon sehr, die ganze Partie auf der Bühne zu singen.»

Warum haben Sie das bislang vermieden?

Jonas Kaufmann: «Aus reiner Vernunft. Ich meine, es gibt viele Wege, seine Stimme zu ruinieren, aber Partien wie Siegfried zu früh zu singen, ist einer der schnellsten.»

Gibt es eine anstrengendere Rolle als die des Jung-Siegfried?

Jonas Kaufmann: «Tristan! Der endlose Monolog im dritten Akt geht eigentlich über das hinaus, was man sich als Sänger guten Gewissens zumuten sollte.»

Und warum sieht man Sie im großen Jubiläumsjahr nicht in Bayreuth?

Jonas Kaufmann: «Weil ich in Salzburg singe, in Peter Steins Neuinszenierung von "Don Carlos". Schließlich ist 2013 auch ein Verdi-Jahr, und nachdem ich an der Scala den Lohengrin und an der Met den Parsifal gesungen habe, möchte ich mich jetzt auf Verdi konzentrieren.»






 
 
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