Welt am Sonntag, 25.03.12
Von Manuel Brug
 
Das wichtigste Wort ist Nein 
 
Jonas Kaufmann ist der begehrteste Tenor der Welt - und eröffnet am Samstag mit "Carmen" die Salzburger Osterfestspiele. Ein Gespräch über den Umgang mit Kritik und Ansteckungsangst bei Autogrammstunden
 

Er sieht gut aus, er spielt gut, und er singt noch viel besser. Er hat sich lange klug zurückgehalten. Doch seit er vor sechs Jahren einen Exklusivvertrag mit der Decca abgeschlossen hat, ist die Karriere von Jonas Kaufmann, 42, nicht mehr zu bremsen. Heute ist er der meistgefragte Tenor der Welt und begeistert als stilsicherer Universalist im deutschen, französischen und italienischen Fach. Am 31. März eröffnet er als Don José in "Carmen" die Salzburger Osterfestspiele.

Welt am Sonntag: Herr Kaufmann, Sie haben sich auffällig viel Zeit gelassen, richtig durchzustarten. Nach den ersten großen Engagements haben Sie zunächst auch weiter kleinere Partien gesungen.

Jonas Kaufmann: Ja, ich habe sehr lange und sehr oft Nein gesagt. Erstens ist das das wichtigste Wort für eine Karriere, und zweitens wollte ich eine solide ausgereifte Basis. Irgendwie wusste ich, das kann noch warten. Und jetzt zahlt sich das aus. Ich habe noch viele herrliche Rollen vor mir, will aber doch auch noch vielleicht zwanzig Jahre singen.

Welt am Sonntag: Wie hat sich mit der Berühmtheit der Druck verändert?

Jonas Kaufmann: Wir Sänger sind ja keine virtuellen Künstler. Wir können nicht allein im stillen Kämmerlein arbeiten. Wir stehen live und allein vor 2000 bis 3000 nur auf uns konzentrierten Menschen, die nicht selten diese Oper, diese Arie auch schon von anderen gehört haben, die vergleichen können. Wir reihen uns ein in eine Aufführungstradition. Je berühmter wir sind, desto härter fallen dann die Urteile und Vergleiche aus. Ja, und man kann nicht mehr so spontan sein.

Welt am Sonntag: Inwiefern?

Jonas Kaufmann: Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, im Zentrum von Kulturstädten wie München, Wien oder Mailand erkannt zu werden. Aber ich finde es schon komisch, wenn mir, wie vor zwei Jahren in Luzern, jemand am Bühnenausgang ein Bündel Fotos schenkt, auf denen ich mit meinen sehr deutlich erkennbaren Kindern zu sehen bin, wie wir zwei Tage vorher beim Wandern waren. Das ist lieb gemeint, aber es beunruhigt mich. Ich habe mir zum Beispiel auch in den Wintermonaten vorgenommen, nicht immer nach der Vorstellungen am Bühnenausgang Autogramme zu geben. Man drückt da so viele Hände, hat mit so vielen Menschen Kontakt. Und dann hat man sich schnell wieder irgendeinen Virus eingefangen. Ich muss mich, so leid mir das tut, einfach auch schützen. Wenn ich krank werde und absage, dann sind noch viel mehr Leute enttäuscht.

Welt am Sonntag: Sie singen mit Erfolg ständig neue Opernrollen - aber mit dem Liedsänger Kaufmann schienen jüngst nicht alle Kritiker glücklich zu sein.

Jonas Kaufmann: Ach, wissen Sie, ich habe es längst aufgegeben, es allen recht machen zu wollen. Obwohl ich mich durchaus damit beschäftige. Ich singe Liederabende fast seit Anfang meiner Karriere, das ist also nicht die eitle Fingerübung eines Starsängers. Ich bemühe mich unbedingt, auch das Intime der Stimme zu behalten, deshalb würde ich so gern noch mehr Mozart singen, auch wenn diese Partien im Augenblick kaum mehr in meinem Kalender auftauchen.

Welt am Sonntag: Der Don José, den Sie jetzt in Salzburg singen, ist ja für Sie inzwischen Routine. Sie haben den braven Sergeanten, der sich in die wilde Zigeunerin verguckt, schon oft verkörpert. Mal als verdrucksten Buchhaltertypen, mal als testosteronbrodelnden Macho. Wie ist Ihr Don José diesmal?

Jonas Kaufmann: Lassen Sie sich überraschen. Doch eines ist klar: Ich habe eine durch die Novellenvorlage von Prosper Mérimée schön ausgemalte Vorstellung von der Figur. Doch ich muss nicht immer den gleichen Don José spielen. Ich bin da sehr flexibel, kann mich auch als hässliches Entlein zurücknehmen. Die Figur wird extrem definiert durch die Gestaltung der Carmen. Habe ich eine satte Mezzosopranistin als ausladendes Vollweib neben mir, dann kann ich auch meinen Erotikfaktor hochfahren, steht da eine emanzipierte Anti-Carmen, die eben nicht mit der Glut des Südens locken will, dann müssen wir uns was anderes einfallen lassen. Und genau das ist das Reizvolle in einer Sängerkarriere, wenn man sie ernst nimmt: Man kann gemeinsam einer scheinbar oft gesungenen Rolle immer neue Facetten entlocken.

Welt am Sonntag: Also ja keine Routine?

Jonas Kaufmann: Doch schon, Routine ist gesund. Ich merke zum Beispiel: Ich beherrsche meine Stimme inzwischen vollkommen. Sie gehorcht mir, ich weiß um Stärken und Schwächen, kann mit Tagesverfassung hervorragend umgehen. Und ich singe immer so, dass ich nicht müde werde. Ich will das Ende einer Vorstellung so erleben, dass ich genügend Reserven habe, noch einmal von vorn anfangen zu können. Nur das ist gesund. Dann singe ich mit den Zinsen meiner Stimme und nicht mit dem Kapital.

Welt am Sonntag: Das klingt so abgeklärt. Wovon lassen Sie sich herausfordern?

Jonas Kaufmann:: Immer wieder durch die Magie des Augenblicks. Deshalb wird nie ein technischer Fortschritt die Faszination einer Liveaufführung ersetzen können. Eine besonders liebe Partnerin ist für mich Anja Harteros. Als wir neulich in München erstmals Verdis "Don Carlo" zusammen gesungen haben, hat sie mich gefragt, wie weit ich mich gerade im Schlussduett im Piano vorantraue. Ich habe gesagt: Lass uns da was wagen. Schon in den Proben haben wir sehr leise gesungen. Auf der Bühne aber hat sie sich an meine Worte erinnert, und wir wurden immer leiser, das Publikum hing uns an den Lippen. Das waren wirklich großartige Momente, totales Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und den Partner - dann strömt das Adrenalin.

Welt am Sonntag: Solche Momente sind aber auch sehr ungeschützt. Der Sänger steht völlig nackt da. Sie riskieren das immer wieder mit einem weit in den Hals rutschenden Piano, wofür Sie nicht selten auch kritisiert werden.

Jonas Kaufmann: Das ist kein Manierismus, das ist Technik. Auch Pavarotti hat das so gemacht. Nur trauen sich heute viel zu wenige, die intensive Verletzlichkeit eines leisen Tons in einem großen Opernhaus zuzulassen. Ich höre auch sehr genau darauf, was mir Vertraute oder meine Frau, die ja ebenfalls Sängerin ist, nach einer Vorstellung sagen. Ich bin durchaus lernfähig, will mich weiterentwickeln.

Welt am Sonntag: Stimmt es, dass Sie die Plattenfirma wechseln, dass Sie von der Decca zu Sony gehen?

Jonas Kaufmann: "Nie sollst du mich befragen!" Derzeit kann ich so viel sagen: Die nächste Soloplatte für Decca ist in der Planung, und danach werden wir sehen.

Welt am Sonntag: Wonach wählen Sie Ihre Engagements aus?

Jonas Kaufmann: Neben vielen Beweggründungen auch nach Neigung. Ich wohne inzwischen wieder in meiner Heimatstadt München. Obwohl man mich dort an der Oper jahrelang ignoriert hat, habe ich jetzt unter der neuen Intendanz ein sehr gutes Verhältnis. Allein sechs Premieren sind dort geplant, fast immer mit Anja Harteros. Das ist ein schönes Gefühl von Stabilität und Vorfreunde. Ich bin ein großer Berlioz-Fan. Deswegen wage ich im Juni in London mit Antonio Pappano den Aeneas in den "Trojanern", auch wenn die nicht so oft gespielt werden. Der Aeneas ist ein guter Schritt zu schwereren Wagner-Rollen. Mit Pappano, zu dem ich großes Vertrauen habe, ist eine "Aida"-Einspielung geplant, wie mich auch live Verdi stark beschäftigen wird - "Troubadour", "Maskenball", "Macht des Schicksals" sind schon fixiert.

Welt am Sonntag: Gibt es weitere Bayreuth-Pläne? Sie haben dort ja nur 2010 den Lohengrin gesungen.

Jonas Kaufmann: Für mich ist das Kapitel Bayreuth nicht erledigt, ich würde gerne wiederkommen. Aber auch die Salzburger Festspiele wollen mich möglichst jeden Sommer haben. Und auf beiden Hochzeiten kann ich eben nicht tanzen.





 

 






 
 
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