moments, 6/2012
Text: Christine Buchinger
 
Momentaufnahme - Jonas Kaufmann 
 
Interview. moments hat den gebürtigen Münchner und als "König der Tenöre" gefeierten Sänger zum Gespräch über die Relevanz von Oper, den Stellenwert von Familie und großen Herausforderungen getroffen.
 

Sie sagen, die Liebe zur Musik und vor allem zur Klassik stammt vom sonntäglichen Hören der vielen LPs Ihres Vaters und der Wagner-Liebe Ihres Großvaters. Hatten Sie nie den Drang, in eine andere musikalische Richtung zu gehen, zum Beispiel als Teenager?

Natürlich war ich als Teenager für Pop- und Rockmusik genauso empfänglich wie für Klassik, eine Zeit lang vielleicht sogar noch mehr. Doch ich habe die Verbindung zum klassischen Gesang nie verloren, zumal mir das Singen im Schulchor sehr viel Spaß gemacht hat.

Was macht Oper zu einer Kunstform, die heute noch Relevanz hat?

Im besten Fall ist Oper weit mehr als gute Unterhaltung: Sie kann aufrütteln, mitreißen, sensibilisieren, auf Missstände aufmerksam machen und einem auch die Dinge vor Augen führen, die man lieber verdrängt. Oper hat eine unglaubliche Kraft, Türen zu öffnen: zu unserem Herzen und zu unserer Seele. Diese Kombination von Theater und Musik hat offenbar bei vielen Menschen eine ganz besondere Wirkung, denn immer wieder liest man von Menschen, deren Leben sich durch die Oper nachhaltig verändert hat - und zwar zum Guten! Im Idealfall verlässt man das Theater mit dem Hochgefühl, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben, von dem man noch lange zehrt. Letztes Jahr sah ich in Berlin Patrice Chéreaus grandiose Inszenierung von Leos Janáceks Oper „Aus einem Totenhaus". Danach kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, das hallt noch lange in der Seele nach.

Sie stehen regelmäßig im „Sängerolymp" - der New Yorker Met - auf der Bühne, haben in den Salzburger Festspielhäusern und auch Tausende Open Air in der Waldbühne gesungen, geben regelmäßig Liederabende ...Gibt es noch höhere Gipfel, die Sie erklimmen wollen?

In der Opernwelt gibt es keine „höheren Gipfel" als die Met, die Scala, Covent Garden und die Wiener Staatsoper. Was Popularität und TV-Präsenz betrifft, gibt es natürlich immer noch eine Steigerung, aber ich sehne mich durchaus nicht danach, so bekannt zu werden, dass ich ständig von Paparazzi verfolgt werde. Eine Bühne, auf der ich gern mal stehen würde, ist das Teatro Colon in Buenos Aires - legendär schon wegen seiner Akustik, die von allen Sängern als phänomenal gerühmt wird.

Die Erwartungshaltung, wenn Jonas Kaufmann singt, ist mittlerweile enorm. Wie gehen Sie mit dem Druck und dem Rummel um Ihre Person um?

So gelassen wie möglich. Natürlich fühle ich mich sehr geschmeichelt, wenn viele Besucher meinetwegen kommen. Auf der anderen Seite verstärkt es auch den Erwartungsdruck, Da können die Leute gar nichts dafür, es ist einfach so: Je höher man steigt, desto dünner wird die Luft und desto größer der Druck. Jeder erwartet eine Sternstunde, auch wenn er weiß, dass kein Sänger fünfzig Sternstunden im Jahr abliefern kann. Und wenn man mal kiekst, muss man damit rechnen, dass die Stelle mit dem Kiekser zwei Stunden später auf YouTube veröffentlicht wird. Da braucht es schon ein solides Selbstvertrauen, um mit solchen Belastungen fertig zu werden.

Als Sänger sind Sie sowohl bei Mozart wie auch bei Wagner „zu Hause", in der Oper ebenso wie im Lied. Ein künstlerischer Spagat?

Nein, verschiedene Facetten. Es würde mir gar nicht gefallen, wenn man mich auf Mozart oder Wagner festlegen würde. Ich liebe es, französisches, italienisches und deutsches Repertoire zu mischen - nicht nur wegen der Abwechslung, sondern auch aus der Überzeugung, dass eine solche Mischung viel dazu beiträgt, die Stimme frisch und flexibel zu halten. Aus demselben Grund liegen mir auch Liederabende sehr am Herzen. Liedgesang ist für mich die Königsklasse des Singens. Lieder zu gestalten erfordert ein hohes Maß an technischer Fertigkeit und an künstlerischer Sensibilität, was bei Opernpartien nicht unbedingt der Fall ist. Als Liedsänger kann und muss man mit viel feineren Mitteln arbeiten, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf Musik und Text konzentriert. In der Oper ist man Teil einer Geschichte, bei Liederabenden erzählt man an einem Abend über zwanzig verschiedene Geschichten. Innerhalb von zwei, drei Stunden so viele verschiedene Facetten zu zeigen - sprachlich, musikalisch, stilistisch und darstellerisch -, das ist eine Herausforderung, die mich immer wieder reizt.

Sie haben rund 60 Auftritte im Jahr - in London, New York, in Deutschland und Österreich ... Mit Ihrer Frau und Ihren drei Kindern leben Sie in Bayern. Ein geografischer und zeitlicher Spagat für einen Familienmenschen?

Wer träumt nicht davon, beides zu haben, eine internationale Karriere und ein erfülltes Privatleben. Glücklicherweise gehöre ich zu den wenigen, denen es gelingt, Berufs- und Familienleben in Balance zu halten. Trotz aller Reisen ist mein Familienleben doch zum überwiegenden Teil ein glückliches. Aber es ist nicht immer leicht, wenn man über mehrere Wochen voneinander getrennt ist. Umso mehr genießen wir dann die gemeinsame Zeit.

Gibt es etwas, was bei Ihren Reisen immer im Gepäck mit dabei ist? Etwas, was in Ihrem Alltag für Ausgleich sorgt und nicht fehlen darf?

Da gibts vieles, was mir das Leben in Hotels und Apartments angenehmer macht: guter Kaffee, Kuchen, Gummibärchen, meine Parmesanreibe, iPod und iPad inklusive MusikArchiv, Bücher (vorzugsweise gute Krimis), DVDs, meine Kamera...

Was war der bisher bewegendste Moment in Ihrer Karriere? Und die größte Herausforderung?

Der bisher bewegendste Moment war die Reaktion des Publikums bei meinem ersten Solo-Vorhang an der Met. Das war im Februar 2006 bei meinem Met-Debüt in „La Traviata" mit Angela Gheorghiu. Der Jubel, der mir entgegenschlug, als ich am Schluss vor den Vorhang kam, hat mich förmlich umgehauen: Ich ging in die Knie und dachte: „Meinen die wirklich mich?" Das war der bisher bewegendste Moment in meiner Laufbahn. Zugleich war dieses Debüt auch die größte Herausforderung. Bis dahin hatte ich bei einigen Intendanten und Veranstaltern den Eindruck, dass sie erst mal abwarten wollten, wie ich mich als Sänger entwickle. Und erst nachdem ich diese Feuer- und Wasserprobe erfolgreich bestanden hatte, standen mir alle Türen offen.





 

 






 
 
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