Sie sagen, die Liebe zur Musik und vor allem zur Klassik stammt
vom sonntäglichen Hören der vielen LPs Ihres Vaters und der Wagner-Liebe
Ihres Großvaters. Hatten Sie nie den Drang, in eine andere musikalische
Richtung zu gehen, zum Beispiel als Teenager?
Natürlich
war ich als Teenager für Pop- und Rockmusik genauso empfänglich wie für
Klassik, eine Zeit lang vielleicht sogar noch mehr. Doch ich habe die
Verbindung zum klassischen Gesang nie verloren, zumal mir das Singen im
Schulchor sehr viel Spaß gemacht hat.
Was macht Oper zu
einer Kunstform, die heute noch Relevanz hat?
Im besten
Fall ist Oper weit mehr als gute Unterhaltung: Sie kann aufrütteln,
mitreißen, sensibilisieren, auf Missstände aufmerksam machen und einem
auch die Dinge vor Augen führen, die man lieber verdrängt. Oper hat eine
unglaubliche Kraft, Türen zu öffnen: zu unserem Herzen und zu unserer
Seele. Diese Kombination von Theater und Musik hat offenbar bei vielen
Menschen eine ganz besondere Wirkung, denn immer wieder liest man von
Menschen, deren Leben sich durch die Oper nachhaltig verändert hat - und
zwar zum Guten! Im Idealfall verlässt man das Theater mit dem
Hochgefühl, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben, von dem man noch
lange zehrt. Letztes Jahr sah ich in Berlin Patrice Chéreaus grandiose
Inszenierung von Leos Janáceks Oper „Aus einem Totenhaus". Danach kann
man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, das hallt noch lange in
der Seele nach.
Sie stehen regelmäßig im „Sängerolymp" -
der New Yorker Met - auf der Bühne, haben in den Salzburger
Festspielhäusern und auch Tausende Open Air in der Waldbühne gesungen,
geben regelmäßig Liederabende ...Gibt es noch höhere Gipfel, die Sie
erklimmen wollen?
In der Opernwelt gibt es keine
„höheren Gipfel" als die Met, die Scala, Covent Garden und die Wiener
Staatsoper. Was Popularität und TV-Präsenz betrifft, gibt es natürlich
immer noch eine Steigerung, aber ich sehne mich durchaus nicht danach,
so bekannt zu werden, dass ich ständig von Paparazzi verfolgt werde.
Eine Bühne, auf der ich gern mal stehen würde, ist das Teatro Colon in
Buenos Aires - legendär schon wegen seiner Akustik, die von allen
Sängern als phänomenal gerühmt wird.
Die
Erwartungshaltung, wenn Jonas Kaufmann singt, ist mittlerweile enorm.
Wie gehen Sie mit dem Druck und dem Rummel um Ihre Person um?
So gelassen wie möglich. Natürlich fühle ich mich sehr
geschmeichelt, wenn viele Besucher meinetwegen kommen. Auf der anderen
Seite verstärkt es auch den Erwartungsdruck, Da können die Leute gar
nichts dafür, es ist einfach so: Je höher man steigt, desto dünner wird
die Luft und desto größer der Druck. Jeder erwartet eine Sternstunde,
auch wenn er weiß, dass kein Sänger fünfzig Sternstunden im Jahr
abliefern kann. Und wenn man mal kiekst, muss man damit rechnen, dass
die Stelle mit dem Kiekser zwei Stunden später auf YouTube
veröffentlicht wird. Da braucht es schon ein solides Selbstvertrauen, um
mit solchen Belastungen fertig zu werden.
Als Sänger sind
Sie sowohl bei Mozart wie auch bei Wagner „zu Hause", in der Oper ebenso
wie im Lied. Ein künstlerischer Spagat?
Nein,
verschiedene Facetten. Es würde mir gar nicht gefallen, wenn man mich
auf Mozart oder Wagner festlegen würde. Ich liebe es, französisches,
italienisches und deutsches Repertoire zu mischen - nicht nur wegen der
Abwechslung, sondern auch aus der Überzeugung, dass eine solche Mischung
viel dazu beiträgt, die Stimme frisch und flexibel zu halten. Aus
demselben Grund liegen mir auch Liederabende sehr am Herzen. Liedgesang
ist für mich die Königsklasse des Singens. Lieder zu gestalten erfordert
ein hohes Maß an technischer Fertigkeit und an künstlerischer
Sensibilität, was bei Opernpartien nicht unbedingt der Fall ist. Als
Liedsänger kann und muss man mit viel feineren Mitteln arbeiten, nicht
zuletzt auch deshalb, weil sich die ganze Aufmerksamkeit des Publikums
auf Musik und Text konzentriert. In der Oper ist man Teil einer
Geschichte, bei Liederabenden erzählt man an einem Abend über zwanzig
verschiedene Geschichten. Innerhalb von zwei, drei Stunden so viele
verschiedene Facetten zu zeigen - sprachlich, musikalisch, stilistisch
und darstellerisch -, das ist eine Herausforderung, die mich immer
wieder reizt.
Sie haben rund 60 Auftritte im Jahr - in
London, New York, in Deutschland und Österreich ... Mit Ihrer Frau und
Ihren drei Kindern leben Sie in Bayern. Ein geografischer und zeitlicher
Spagat für einen Familienmenschen?
Wer träumt nicht
davon, beides zu haben, eine internationale Karriere und ein erfülltes
Privatleben. Glücklicherweise gehöre ich zu den wenigen, denen es
gelingt, Berufs- und Familienleben in Balance zu halten. Trotz aller
Reisen ist mein Familienleben doch zum überwiegenden Teil ein
glückliches. Aber es ist nicht immer leicht, wenn man über mehrere
Wochen voneinander getrennt ist. Umso mehr genießen wir dann die
gemeinsame Zeit.
Gibt es etwas, was bei Ihren Reisen
immer im Gepäck mit dabei ist? Etwas, was in Ihrem Alltag für Ausgleich
sorgt und nicht fehlen darf?
Da gibts vieles, was mir
das Leben in Hotels und Apartments angenehmer macht: guter Kaffee,
Kuchen, Gummibärchen, meine Parmesanreibe, iPod und iPad inklusive
MusikArchiv, Bücher (vorzugsweise gute Krimis), DVDs, meine Kamera...
Was war der bisher bewegendste Moment in Ihrer Karriere? Und
die größte Herausforderung?
Der bisher bewegendste
Moment war die Reaktion des Publikums bei meinem ersten Solo-Vorhang an
der Met. Das war im Februar 2006 bei meinem Met-Debüt in „La Traviata"
mit Angela Gheorghiu. Der Jubel, der mir entgegenschlug, als ich am
Schluss vor den Vorhang kam, hat mich förmlich umgehauen: Ich ging in
die Knie und dachte: „Meinen die wirklich mich?" Das war der bisher
bewegendste Moment in meiner Laufbahn. Zugleich war dieses Debüt auch
die größte Herausforderung. Bis dahin hatte ich bei einigen Intendanten
und Veranstaltern den Eindruck, dass sie erst mal abwarten wollten, wie
ich mich als Sänger entwickle. Und erst nachdem ich diese Feuer- und
Wasserprobe erfolgreich bestanden hatte, standen mir alle Türen offen.