Der Westen, 17. September 2010
Monika Willer
Jonas Kaufmann - ein deutscher Startenor
 
Endlich wieder ein Deutscher im Olymp der Startenöre: Der 41-Jährige Jonas Kaufmann begeistert Musikfreunde auf der ganzen Welt. Der Erwartungsdruck seiner Fans ist groß. Damit will umgegangen sein, erzählt er im Interview.
Mit Jonas Kaufmann ist endlich wieder ein deutscher Sänger in den Olymp der Startenöre aufgestiegen. Der 41-Jährige begeistert die Musikfreunde auf der ganzen Welt durch seine Vielseitigkeit - er singt Mozart ebenso brillant wie Wagner, Verdi oder Bizet. Dass Jonas Kaufmann auch noch gut aussieht, tut der Karriere gewiss keinen Abbruch. Im Westfalenpost-Interview erzählt der Tenor, wie er mit dem Erwartungsdruck seiner Fans umgeht.

Frage: Den „Ideal-Tenor“ nennt man Sie, und Sie werden mit lobenden Superlativen geradezu überschüttet. Macht Ihnen das keine Angst?

Jonas Kaufmann: Na ja, Angst vielleicht nicht, aber man darf es auch nicht zu ernst nehmen. Wir leben nun mal in einer schnelllebigen Gesellschaft, da kann man sich nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen. Insofern sollte man sich überhaupt selbst nicht zu ernst nehmen. Damit man immer weiter auf dem Boden bleibt und einfach das macht, was man am besten kann und nicht überheblich wird und denkt, ich kann es jetzt auch aus der Hüfte heraus, sondern so wie immer halt: ernsthaft und gut gearbeitet und nicht zu lax. Das ist meine Art, und ich habe nie das Gefühl, dass ich durch diese Erwartungshaltung nun einen besonderen Druck verspüren würde.

Frage: Jeder will Sie hören, die bedeutendsten Bühnen der Welt reißen sich um Sie. Wie geht man mit dem Erfolg um, ohne sich die Stimme zu ­ruinieren?

Jonas Kaufmann: Man muss sich natürlich einzuschätzen wissen, um seine Kapazitäten und vor allem um seine Grenzen wissen. Und dann ist es ganz wichtig, dass man sich selber eingesteht: Es geht nicht mehr. Es ist zu viel, oder es ist - egal wie wichtig - einfach nicht möglich, weil ich eben erkältet bin. Nein sagen, das fällt einem manchmal schwer, weil plötzlich am Schluss noch die allerbesten Angebote kommen, aber wenn der Terminkalender voll ist, dann ist er voll, das kann man nicht ändern.

Frage: Publikum und Kritiker sind begeistert von Ihrer Vielseitigkeit. Viele Tenor-Kollegen beschränken sich auf ein Fach, aufs Deutsche, Italienische oder Französische, aus Angst, sonst ihrer Stimme zu schaden. Wie ist das bei Ihnen?

Jonas Kaufmann: Bei mir ist das eher umgekehrt, ich glaube, ich würde meiner Stimme schaden oder würde Teile des Farbenreichtums und der Möglichkeiten der Stimme verlieren, sollte ich mich auf etwas spezialisieren. Und da habe ich mich dafür entschieden, diese Bandbreite beizubehalten. Für mich ist es unvorstellbar, dass man immer nur die gleichen Sachen singt. Berühmte Kollegen, auch sehr verehrte wie Alfredo Kraus, der seine fünf, sechs Partien ein Leben lang gesungen hat und nie etwas anderes, der hat zwar seine Stimme ganz toll erhalten und der klang am Schluss noch wie 20 Jahre jünger, das weiß ich, aber ich könnt’s nicht. Mir würde die Motivation abhanden kommen. Und ich glaube, in dem Moment, wo man das nur noch als Job sieht und nicht mehr als Vergnügen, fehlt eine gewisse Qualität. Was vielleicht unter anderem meine Interpretationen auszeichnet, ist, dass man merkt, dass ich selber Spaß daran habe, und diese Freude überträgt sich aufs Publikum. Wenn dieser Spaß nicht mehr da ist, dann werde ich auch nicht mehr ganz so gut sein.

Frage: Welchen Herausforderungen möchten Sie sich gerne stellen?

Jonas Kaufmann: Ich muss einfach versuchen, das Niveau zu halten und dabei Schritt für Schritt das Repertoire erforschen, das ja noch sehr groß ist. Ich habe gerade mit dem Verismo-Album wieder eine Tür aufgestoßen, ich werde in den nächsten Jahren einige von diesen Partien singen, dabei aber nicht den Verdi vergessen oder den Wagner oder die ganzen Franzosen. Im deutschen Fach wird es jetzt im Frühjahr den Siegmund geben und dann erstmal eine Pause mit Wagner. Damit habe ich Meistersinger und Lohengrin und Parsifal und eben Siegmund im Repertoire, das reicht erstmal. Die anderen, Siegfried, der Tristan und Tannhäuser, die müssen einfach noch ein bisschen warten.

Frage: Für Ihr neues Album „Verismo Arias“ sind Sie regelrecht zum Schatzgräber geworden. Hat das Spaß gemacht?

Jonas Kaufmann: Absolut. Es sind Sachen dabei, die mich wirklich überrascht haben, allen voran „Giulietta! Son io!“ aus „Giulietta e Romeo“ von Riccardo Zandonai. Das ist eine unglaubliche tiefenpsychologische Studie. Wie die Musik zwischen Verzweiflung und Ärger und Aufbrausen und Zärtlichkeit hin und herschwankt, das ist toll, und genau das, was einen an diesem Repertoire fasziniert, wenn es einen fasziniert. Das polarisiert ziemlich, das Verismo-Fach. Ich bin eindeutig einer von denen, die es lieben. Wenn man es ernst nimmt, wenn man sich nicht scheut, seine persönlichen Gefühle hineinzulegen, dann sind diese Arien gefüllt mit Emotionen wie keine andere Musik.

Frage: Sie geben gerne Liederabende. Was bedeutet der Liedgesang für Sie - auch im Hinblick auf die Stimmkultur?

Jonas Kaufmann: Stimmkultur ist ein sehr gutes Thema. Wenn man versucht, sich den Farbenreichtum für die Stimme zu erarbeiten und zu erhalten, gehört das Lied dazu, weil da Feinheiten und Nuancen möglich sind, die sonst wahrscheinlich von einem Orchesterklang abgedeckt werden würden. Gleichzeitig spürt man beim Lied, weil das so nackt ist, ganz deutlich, was funktioniert und was nicht funktioniert. Liedgesang ist immer ein Wegweiser und ein Gesundheitscheck. Beim Lied kann man sich auf die Interpretation konzentrieren, ich nenne das immer die Poesie des Augenblicks.






 
 
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