Abendzeitung,  24.6.2009
Birgit Gotzes
Ein Held mit zarten Seiten
Der Münchner Jonas Kaufmann über Wagners "Lohengrin", romantische Sehnsüchte und seine Zukunftspläne an der Bayerischen Staatsoper
 
Unverwechselbare, dunkel getönte Stimme, breites Repertoire, blendendes Aussehen: Jonas Kaufmann gilt derzeit als "der" deutsche Tenor. Am 5. Juli singt er erstmals die Titelpartie von Wagners "Lohengrin" in der Neuinszenierung von Richard Jones auf der Bühne.

AZ: Herr Kaufmann, wann und wie haben Sie Ihre Stimme entdeckt?

JONAS KAUFMANN: Ich habe schon mit fünf gesungen, dann in der Schulzeit, und mit 15 hatte ich den ersten Gesangsunterricht. Das heißt: Ich wusste immer schon, ich wollte singen. Aber ich wusste nicht, dass ich das zu meinem Beruf machen wollte. Das kam erst sehr, sehr spät.

Was wollten Sie denn damals werden?

Zuerst habe ich Mathematik studiert. Aber das war nicht das Richtige. Zufällig kannte ich jemanden an der Hochschule, wusste, dass man da Gesang studieren kann und habe gedacht, na gut, dann probier' ich einfach das! Dann kam immer ein Schritt nach dem anderen, der Erfolg stellte sich ein - und die Freude daran war immer da.

Was wären Sie, wenn Sie nicht Tenor sein könnten?

Sicher kein Mathelehrer! Ich glaube, ich hätte einen praktischen Beruf ergriffen. In einer amerikanischen TV-Sendung gab es einmal ein Porträt von einem Fachmann für alles. Den konnte man morgens anrufen: "Mein Computer spinnt, der Wasserhahn tropft - ach, und die Tür knarzt auch." Der hatte einen unglaublichen Erfolg. Meine Frau meint, das wäre meine Alternative gewesen.

Bei den Festspielen geben Sie Ihr Debüt als Lohengrin. Sie sind der Dunkle mit Dreitagebart - was geht Sie dieser blonde deutsche Held an?

Ach, Lohengrin war nach seiner langen Reise sicher braun gebrannt! Ich seh' halt südländisch aus, bin aber im tiefsten Innern ein Deutscher. Insofern liegt mir dieses Stück doch sehr nahe. Lohengrin ist ein interessanter Charakter. Er ist nicht nur ein Held, sondern eine tragische und einsame Figur mit zarten Momenten. In "Mein lieber Schwan" oder der Gralserzählung zeigt er weiche, innige und sogar bittere, verzweifelte Züge. Und teilweise benimmt er sich auch grenzwertig. Seine menschliche Seite zu zeigen, darüber denke ich sehr nach.

Kommt Ihre baritonal gefärbte Stimme einer solchen Sicht entgegen?

Ich denke schon. Ich singe ja auch das französische und italienische Repertoire, damit habe ich eine große Bandbreite an Farben für die Stimme zur Verfügung. So kann ich gewisse Facetten und Schattierungen, ohne sie plakativ szenisch deutlich zu machen, durch die Stimme vermitteln. Das kommt der Interpretation von gebrochenen, zwiespältigen Charakteren sehr entgegen, die versuchen, möglichst positiv und heldisch zu erscheinen, aber ihr Innenleben verbergen.

Wagner ist relativ neu in Ihrem Repertoire. Was reizt Sie daran?

Der Weg dahin ist sicherlich logisch, so wie es ebenso logisch ist, dass ich auch im französischen und italienischen Fach mir weiter Neues erobere und schrittweise in die kräftigere Richtung gehe.

Auf Ihrer neuen CD präsentieren Sie sich lyrisch mit Mozart und Schubert, heldisch mit Beethoven und Wagner. Wie entstand die Auswahl?

Meine Überlegung war, eine Kombination zusammenzustellen, die möglichst viele Aspekte, verschiedene Interpretationen der Idee Opernarie im deutschen Bereich zeigt.

Warum heißt die CD "Sehnsucht"?

Ich habe einen Begriff gesucht, der auf die Auswahl zutrifft. "Sehnsucht" finde ich sehr passend, weil alle Charaktere diese romantische Idee in sich tragen.

Im Booklet stehen Sie in Gemälden von Caspar David Friedrich. In welche Welt locken Sie uns da?

Lieber als ein weiteres Modefoto wollte ich eine Aussage zum Inhalt der Platte. Die Bilder sollen die Stimmung einfangen und typisch deutsch und romantisch im weitesten Sinne des Wortes sein. So ist es diese Anlehnung an Caspar David Friedrich geworden. Es sind sehr bekannte Bilder, die sofort die Assoziation Deutschland und Romantik wecken.

Eben haben Sie in Verdis "Traviata" gesungen, bei den Festspielen sind Sie auch mit Schubert zu hören - wie geht das alles zusammen?

Ich liebe Herausforderungen! Das mag alles sehr kontrastreich aussehen, aber in Wirklichkeit ist es die Mischung, die das Ganze gesund macht. Ich weiß aus Erfahrung, dass sich meine Stimme bei Abwechslung am wohlsten fühlt. Das eine Repertoire profitiert vom anderen.

Gibt es weitere Pläne für München?

Ich habe in Zürich die Erfahrung gemacht, dass es schon sehr angenehm ist, wenn man einen Platz hat, wo einem alles so vertraut ist, dass man sich anders entfalten und bewegen und auch neue Dinge ausprobieren kann. So etwas würde ich mir auch für München wünschen, die Stadt, in der ich aufgewachsen bin und studiert habe. In der nächsten Spielzeit gibt es hier wieder zwei Stücke aus verschiedenen Bereichen: den Don José in "Carmen" und den Cavaradossi in der neuen "Tosca".

Was mögen Sie an Ihrer Heimatstadt?

Wahrscheinlich die Lässigkeit. Alle sind so zurückgelehnt - außer im Straßenverkehr. Zu manchen Plätzen gehe ich gern, um aufzutanken. Das mache ich auch jetzt wieder. Und Kindheitserinnerungen aufwärmen!

Die ausverkaufte Premiere von "Lohengrin" wird am Sonntag, den 5. Juli, ab 17 Uhr als "Oper für alle" auf eine Großleinwand am Max-Joseph-Platz übertragen. Der Eintritt ist frei. Die CD "Sehnsucht" erschien bei Decca






 
 
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