Opernglas, 5/2009
"Wagner fühlt sich unheimlich gut an"
Jonas Kaufmann pendelt in diesem Sommer zwischen Puccini, Verdi und Wagner. Im Vorfeld der "Lohengrin"-Premiere in München fand er Zeit für ein Gespräch mit unserem Mitarbeiter Dr. Thomas Baltensweiler
Fotos: Das Opernglas/Olah
Herr Kaufmann, Sie werden den Lohengrin in einer Neuinszenierung bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen singen, Ihre dritte Wagner-Rolle nach dem Stolzing und dem Parsifal. Wie haben sich denn die beiden Partien an gefühlt?

Unheimlich gut, das war eine Entdeckung für mich. Ich spürte, dass die Stimme nochmals richtig aufgeht. Im Zentrum stehen allerdings nicht nur die lauten Töne, »Parsifal« ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie viele Stellen auch in diesem Fach leise zu singen sind. Manchmal begleitet nur ein Instrument. Die Kombination von beidem, stimmlichem Loslassen und weicher, schlanker Führung, macht unheimlich Spaß. Aber es bedeutet auch eine intellektuelle Herausforderung, jeden Satz zu durchleuchten und zu interpretieren. Weil Wagners Sprache sehr lautmalerisch und blumig ist, sind manchmal Verständnisdefizite vorhanden, gewisse Dinge werden einfach gesungen, ohne dass man sich fragt, was dahinter steckt. Sätze enden mitunter erst nach einer dreiviertel Minute, so verschachtelt und kompliziert sind sie. Dies zu erkennen und dann einen vokalen Bogen zu spannen, dass sich der Sinn schon beim ersten Hören erschließt, das erfordert besondere Konzentration. Bei Wagner sind die Charaktere unglaublich breit und umfassend angelegt. Normalerweise kennt man in der Oper nur stimmliche Herausforderungen, der „normale“ Verdi, abgesehen von Otello, erschließt sich relativ einfach, da sind keine „Knacknüsse“ hinsichtlich Rollengestaltung dabei.

Größere Teile des Lohengrin liegen im Passaggio-Bereich, dem Übergang zwischen den Stimmregistern. Das ist vielen Interpreten unangenehm.

Auch Don Carlo oder der Herzog in »Rigoletto« haben sehr viel in dieser Lage zu singen. Doch hier kräht kein Hahn danach, weil eine italienische Stimme gewohnt ist, diese Anforderung zu meistern, wohingegen Wagner-Rollen größenteils in der unteren Mittellage angesiedelt sind, mit wenigen Ausbrüchen nach oben, die aber keine wirklichen Spitzentöne verlangen. »Lohengrin« ist Wagners „italienischste“ Oper, das merkt man an der Linienführung, gerade in den Ensembles bleibt die Rolle lange in der unangenehmen Lage, was einmalig ist für eine Tenorpartie im Wagner-Bereich. Dank der Erfahrungen im italienischen und französischen Repertoire empfinde ich das aber nicht als so problematisch.
München liegt nicht allzu weit weg von Bayreuth...

Stimmt! (Lacht herzhaft.) Da gibt es verschiedene Ideen. Wir nahmen schon mehrere Anläufe, die aber aus verschiedenen Gründen gescheitert sind.

Aber...

2010 gibt es einen neuen »Lohengrin«, den ich singen werde.

Geplant ist ebenfalls der Siegmund in der »Walküre«. Bedeutet dies, dass Sie sich langsam, aber sicher auf die „schweren“ Brocken konzentrieren?

Nein, „konzentrieren“ ist das falsche Wort. Ich habe immer versucht, mein Repertoire Schritt für Schritt zu erweitern und möchte die ganze Bandbreite des Tenorfachs kennen lernen. Ich sage „kennen lernen“, da es durchaus geschehen kann, dass man eine Partie, wenn man sie einmal ausprobiert hat, nicht mehr singen oder zumindest eine Weile liegen lassen will. Bei Wagner ist der Siegmund der logische Schritt nach dem Lohengrin. Siegmund ist eine relativ tiefe Partie und daher ganz anders als der Lohengrin, bei dem das Tenorale und nicht das Baritonale gefragt ist. Aber es gibt genug Beispiele von Sängern, die beide Rollen gesungen haben, ich denke an James King, der sich mit dem Siegmund keine Höhenschwäche zugezogen hat. Ich bin indes weit entfernt davon zu glauben, dass ich danach gleich den Tannhäuser, den Tristan oder den Siegfried angehen müsse. Dafür gibt es keine Pläne, die Partien sind für die nächsten fünf, sechs Jahre nicht einmal angedacht. Ich singe weiter Verdi und Puccini und habe jetzt bei der Einspielung meines neuen Albums wieder bei Mozart Blut geleckt. Es gibt so viele neue Rollen, die man lernen möchte, aber manchmal ist es ein Fehler, „alte“ Stücke hintanzustellen.

In Anbetracht des Mangels an guten dramatischen Stimmen — wer wird Sie da noch als Tamino verpflichten?

Mit der Frage liegen Sie richtig. Man muss die Daumenschrauben ansetzen. Aktiv antragen wird mir die Partie vielleicht niemand, aber man muss zu verstehen geben, dass man eine bunte Mischung aus italienischen, französischen und deutschen Partien singen möchte, wie ich das schon jetzt tue. Wenn ich sehe, dass mich zwei große italienische oder deutsche Rollen erwarten, dann versuche ich bewusst, in eine andere Richtung zu steuern. Es ist mir anfangs auch nicht leicht gefallen, durchzusetzen, dass ich diese Mischung zugestanden bekomme. Mittlerweile gibt es aber genug Häuser, die meinen Wunsch akzeptiert haben. Man muss knallhart sein und sagen: Ich will das Stück singen, und es gibt genug Theater, die sagen: Wenn er das unbedingt will, dann in Ordnung. Ich bin in einer sehr glücklichen Lage, die ich für meine positive Entwicklung auszunutzen versuche und hoffe, dass ich meine Stimme auf diese Weise möglichst lange behalten kann. Das alles mag theoretisches Gerede sein — am Lebensabend ist man klüger und weiß, ob es so funktioniert hat.
 

Auch in italienischen Partien sind Sie, salopp formuliert, gut im Geschäft. Soeben ist eine Gesamtaufnahme der »Butterfly« mit Ihnen als Pinkerton erschienen. Lange war es für deutsche Sänger schwierig, in italienischen Partien Fuß zu fassen, und nun gelingt es gleich mehreren. Gibt es dafür eine allgemeine Erklärung — oder zumindest eine spezifische für Ihren Erfolg in diesem Repertoire?

Auf jeden Fall liegt dem eine bewusste Entscheidung zugrunde, das ist bei meinen Kollegen sicher nicht anders. Man darf nicht aufgeben. Auch in Zürich, wo wir gerade miteinander sprechen, war es nicht so, dass ich von vornherein für das italienische Fach bestimmt war. Ich musste lange warten, bis ich die erste italienische Rolle erhielt. Der Fenton in “Falstaff“ wurde mir vielleicht angeboten mit dem Gedanken, dass ich ablehnen würde, denn das war nicht eine zwingende oder gar eine Traumpartie. Ich habe trotzdem gern zugesagt, weil ich “Falstaff" — ein komplexes Stück — liebe, und plötzlich ging es mit anderen Partien weiter, Don Carlo und “Rigoletto"-Herzog.

Um nach einer allgemeinen Erklärung dafür zu suchen, weshalb man deutschen Sängern in italienischen Opern international lange kaum begegnete: Vielleicht liegt es daran, dass in Deutschland die Werke jahrzehntelang in deutscher Sprache gespielt wurden. Eine italienische Partie im deutschen Sprachraum auf Deutsch zu singen, hatte Vorteile, das muss ich zugeben — nicht für den Sänger, aber für das Publikum, das mehr verstand und aufgrund dessen viel stärker involviert war. Natürlich hätten die Sänger die Partien in zwei Sprachen einstudieren können, aber das ist unangenehm, denn es können sich leicht Verwechslungen einstellen. Sicher gab es Galaaufführungen, bei denen die Gäste Italienisch und die Ensemblemitglieder Deutsch gesungen haben. Insgesamt war es den deutschen Sängern wegen der Sprache nur beschränkt möglich, im Ausland mit italienischen Opern zu gastieren. Deshalb wurden deutsche Sänger im Allgemeinen nicht als Spezialisten für das italienische oder französische Fach angesehen.

In der Zürcher »Tosca« ist mir aufgefallen, wie idiomatisch Ihr Italienisch klingt. Wie bereiten Sie sich auf Partien vor, in denen Sie sich gegen die starke Konkurrenz muttersprachiger Kollegen behaupten müssen?

Streng genommen gibt es keine starke italienische Konkurrenz. Wie viele erfolgreiche italienische Tenöre sind momentan unterwegs? Ob in Pavarottis Schatten nichts gedeihen konnte—ich weiß es nicht. Natürlich gibt es viele Tenöre mit lateinischen Sprachwurzeln, Südamerikaner etwa. Ich habe das Glück, dass ich Fremdsprachen sehr gut spreche und keine besonderen Vorbereitungen treffen muss. Ich kann die Libretti lesen und sofort erfassen. Ich brauche keinen Coach. Auch was den Stil betrifft: Den muss man gerade bei Puccini ein bisschen im Blut haben, man muss die Emotionen, die im Orchester vermittelt werden, spüren und sich von ihnen tragen lassen. Dann ist man automatisch auf der richtigen Wellenlänge. Gefühlsausbrüche zu erlernen, klappt einfach nicht. Vielleicht erfordert die italienische Oper einfach Temperament — es gibt eben auch Deutsche, die das haben.

Gibt es Pläne für neue Partien im italienischen Fach? Als Pendant zu den deutschen Heldenpartien müssten vielleicht Alvaro, Radames und Otello kommen.

Radames vielleicht einmal, Otello muss noch warten, die einzige dieser drei Partien, die ich mir momentan vorstellen kann, ist der Alvaro. Leider gibt es für »Forza del destino« noch keine konkreten Pläne, doch bleibe ich dran. Ich habe einige Duette daraus gesungen und gemerkt, dass ich die Partie singen möchte. »Adriana Lecouvreur« ist fest eingeplant. Ansonsten gäbe es noch »Un ballo in maschera« oder »Trovatore«. Es kann sein, dass der »Ballo« 2013 kommt, ebenso eine »Fanciulla«, aber das ist noch Zukunftsmusik. Zwar beginne ich frühzeitig, eine neue Partie anzuschauen, aber wenn ich mich hinsetze, lerne ich rasch. Wichtig bleibt, eine Partie lange genug im Voraus mit dem Korrepetitor einmal ganz durchzusingen. Ich will ja nicht Hals über Kopf in ein Projekt hineinspringen und zuletzt feststellen, dass die Rolle einer längeren Vorbereitungszeit bedurft hätte oder mir nicht liegt. Beim Lohengrin weiß ich beispielsweise noch nicht, wie sehr er mich anstrengt, deshalb habe ich versucht, die Termine der ersten Aufführungsserie nicht zu dicht aufeinander folgen zu lassen. Wenn ich ihn dann im Sommer gesungen habe, kann ich vielleicht sagen: Gut, wenn drei Tage Pause sind, kann ich zwischen den Vorstellungen noch irgendwo ein Konzert geben. Aber solche Termine lasse ich frei, solange ich mir nicht sicher bin, wie sich eine neue Rolle anfühlt.

Im Mai, genauer am 22. Mai, erscheint Ihre neue Solo-CD mit dem romantischen Titel „Sehnsucht“ und einem ungewöhnlichen Caspar David Friedrich - Cover. Welches Repertoire haben Sie dafür ausgewählt und wie viel Freiheit in der Zusammenstellung des Recitals haben Sie genossen?

Vorgaben existierten nicht. Nach dem ersten Album mit gemischtem Repertoire wollte ich mich auf ein einzelnes Feld konzentrieren. Mit deutschem, französischem oder italienischem Fach kann man je zwanzig Alben produzieren. Trotzdem war klar, dass ich anfange, die Bereiche einzeln durchzuarbeiten. Das deutsche Fach kam als erstes an die Reihe, einfach, weil ich Deutscher bin. Es war schwierig, eine Auswahl zu treffen; Schreker, Korngold oder Strauss etwa fehlen. Ein großer Überblick über das deutsche Repertoire war nicht möglich, aber immerhin glaube ich, dass es gelungen ist, die Vielschichtigkeit der deutschen Opernlandschaft von Mozart bis Wagner darzustellen. Liedhaft-zarte und kräftige Stücke wechseln einander ab. Der Einzige, mit dem ich mich besprochen habe, war der Dirigent Claudio Abbado, dem ich nichts aufdrängen wollte.

Ihr Terminkalender ist randvoll. Wie verhindern Sie auszubrennen?

Das ist eine gute Frage. Es existiert ein Punkt, an dem ich die Lust und den Spaß am Singen verlieren könnte. Das würde man an der Qualität erkennen. Wie verhindern, an diesen Punkt zu kommen? Sicher hilft mir meine Familie, die Tatsache, dass ich immer wieder in ein „normales“ Umfeld zurückkehren kann. Durch Plattenaufnahmen und die damit verbundenen Verpflichtungen ist der Kalender indes noch voller geworden. Ich habe bereits darauf reagiert. Zu merken ist das allerdings erst in einigen Jahren, weil so lange im Voraus geplant wird. Das Ziel ist es, immer wieder Ruhephasen einzubauen, auch wenn gerade für diese die tollsten Angebote gemacht würden. Wenn man in den Strudel hineingerät, in dem man glaubt, unersetzbar zu sein, weil einem das alle sagen, ist das extrem gefährlich, denn man arbeitet dann über seine Kapazitäten hinaus in der Meinung, dass es ohne einen selbst nicht geht. In dem Moment, da man mit seiner Gesundheit und seiner Seele — gestatten Sie das abgeschmackt klingende Wort — Raubbau betreibt, kann man die Tage seines Sängerlebens zählen. Ich merke es bei mir selbst, dass ich, wenn ich viel zu tun habe, ein Grundadrenalin verspüre, eine Grundaktivität entwickle, die dazu führt, dass mir meine Familie oder Freunde sagen müssen: Komm erst einmal wieder runter. Eine zweite Gefahr, die aus dem Unersetzbarkeitswahn resultiert, besteht darin, nicht rechtzeitig abzusagen, wenn man erkältet ist, und so der Stimme zu schaden.

Die Opern-Globalisierung hat die Sänger schon lange, mittlerweile aber auch das Publikum erreicht —nicht einmal nur das zahlungskräftige, das umherreist. Dank DVD und Kinoübertragung kann jeder an den Hochgenüssen in den Metropolen teilhaben. Begrüßen Sie diese Entwicklung?

Irgendwie schon. Anfangs war ich skeptisch, ob sich für Live-Ubertragungen in Kinos überhaupt ein Publikum finden würde. Doch die Kinos sind ausverkauft, wenn eine Met-Produktion übertragen wird. Ich bin überzeugt, dass sich die Oper auf diese Weise nicht selbst das Publikum abgräbt. Wer in Hamburg ins Kino geht, wäre in der Regel doch nicht nach New York geflogen, um die Aufführung live zu sehen. Kino und DVD gewinnen neues Publikum für die Oper—im Gegensatz zur CD, die als reiner Hörgenuss steril wirkt. Bei der DVD teilen sich die Atmosphäre, die Energie auf der Bühne und die Reaktionen im Publikum mit. Wenn man dieses Gefühl einmal kennen gelernt hat, möchte man vielleicht wissen, ob es sich durch ein Live-Erlebnis noch steigern lässt.

Aber ein deutsches Stadttheater kann kaum mit der Met mithalten — wird die Existenz der reichen deutschen Theaterlandschaft nicht in Frage gestellt durch die mediale Verfügbarkeit von Produktionen aus allerersten Häusern?

Ich wünsche mir, dass der Großteil des Publikums qualitative Unterschiede gut erkennen kann, aber ich fürchte, dass dies nicht der Fall ist. Das ist ja nicht schlimm. Wir haben jetzt den Kollegen Potts, der ganze Hallen füllt, obwohl diese Veranstaltungen nicht dasselbe sind wie eine Live-Übertragung aus der Met. Die Zukunft der Theater hängt wohl nicht von der Qualität der Aufführenden, sondern vom Marketing ab. Die deutsche Theaterlandschaft ist so weitläufig und unterstützungsintensiv, dass sie vielleicht unabhängig von der Qualität so nicht aufrechterhalten werden kann.
Saison-Vorschau
Zahlreiche Verpflichtungen in München, aber auch eine Premiere in Paris stehen in der kommenden Saison für Jonas Kaufmann auf dem Programm: In München singt er den Cavaradossi in der Festspielpremiere von „Tosca“, Don Jose und Lohengrin, an der Pariser Oper ist Werther unter der musikalischen Leitung von Michel Plasson geplant.






 
 
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