NEWs.at, 22.4.2009
"Und plötzlich ist die Stimme weg": Tenor Jonas Kaufmann im großen NEWS-Interview
(gekürzte Online-Fassung, leider konnte ich die Printausgabe nicht mehr bekommen)
  • Deutscher Ausnahmetenor kommt an die Staatsoper
  • Talk über Vermarktungsresistenz, Angst und Karriere
Er vereint alle Eigenschaften, die einem Sänger heutzutage Ruhm, Wohlstand und Lebensgefahr garantieren können: Jonas Kaufmann, 39, ist ein fabulöser Tenor, sieht glänzend aus, steht im Aufmerksamkeitssegment des Tonträgermultis Universal ganz weit vorn und befindet sich auf dem Weg ins äußerst rare Wagner-Fach, ohne deshalb die großen Herzensbrecher in „Manon“ (ab 26. April an der Staatsoper) und „Tosca“ (im Mai ebendort) aufzugeben. Die Charakterpartie des Loge in Welser-Mösts bevorstehender „Rheingold“-Premiere hat er abgesagt. Dafür steht er kurz vor dem ersten Lohengrin. Ein Gespräch über Gefahren der Vermarktung, Karriereplanung, Ängste und Pläne für Wien und Salzburg.
NEWS: Seit dem Hausdebüt als Tamino anno 2006 waren Sie nicht oft an der Staatsoper. Im Vorjahr sagten Sie „Manon“ mit Anna Netrebko ab. Auch aus dem Loge im neuen Wiener „Ring“ wurde nichts.

Kaufmann: Ic
h freue mich natürlich sehr, in Wien singen zu dürfen, immerhin ist es unter Opernkennern nach wie vor eines der Top-Häuser! Voriges Jahr hatte ich ja leider einen Unfall. Eines meiner Kinder hat in der Nacht geweint. Ich stand auf, um nach ihm zu sehen, stolperte und brach mir an der Bettkante eine Rippe. Zuerst hoffte ich, dass es nur eine Prellung sei, aber am nächsten Tag konnte ich mich nicht mehr rühren. Und über Loge sprach ich vor vielen Jahren mit Franz Welser-Möst als einen möglichen Einstieg in das Wagner-Fach. Aber dann kam Stolzing in einer konzertanten „Meistersinger“-Aufführung , dann Parsifal, und im Juni mache ich Lohengrin. Loge ist eine wahnsinnig interessante Partie, aber stimmlich ist das nun keine Herausforderung mehr für mich. Mich reizen stimmliche Herausforderungen und jene Schwierigkeiten, die mich weiterbringen.Und als Ioan Holender auf mich aufmerksam geworden war, hatten mich leider schon andere Häuser wie die Met, die Mailänder Scala oder das Opernhaus Zürich gebucht. Deshalb sind in Wien erst einmal nur einige wenige Vorstellungen herausgekommen.

NEWS:
Sie zählen seit einigen Jahren zu den gefragtesten Tenören. Ist das eine Last?

Kaufmann:
Das ist für mich keine Last. Denn ich wurde nicht durch eine Platte oder durch eine Marketingkampagne plötzlich aus dem Nichts hinaufkatapultiert. Daher muss ich auch nichts beweisen. Ich verfüge über eine gute Technik, und meine Stimme ist sicherer geworden. Trotzdem ist es komisch, wenn man jahrelang das Gleiche macht, und auf einmal wird es als etwas Besonderes betrachtet. Aber in der heutigen Zeit wird man schnell zum Star gemacht. Man muss aufpassen, dass man diesen Anforderungen auch gerecht werden kann.

NEWS:
Wie schützt man sich vor einer uferlosen Vermarktung, wenn Kritiker Ihr Aussehen als „sexy“ hervorheben?

Kaufmann:
Zu Beginn empfand ich das als Kompliment und dachte, das werde sich bald beruhigen. Zumal es ja auch eine Reduzierung auf etwas Unwesentliches darstellt. Ich will von diesem Model-Image weg. Auf dem Cover meiner ersten CD war nur mein Konterfei abgebildet. Diesmal suchte ich ein Symbol für die Gefühle und Stimmungen auf der Aufnahme und kam so auf Casper David Friedrichs „Wanderer“ und den Titel „Sehnsucht“. Man kann mit gutem Aussehen vielleicht an die Spitze kommen, aber halten kann man sich dort sicherlich nur, wenn die Qualität stimmt. Natürlich ist es nicht immer einfach, sich vor den Gefahren des Marktes zu schützen. Man muss selbstkritisch bleiben und ein gutes Gespür für seine Grenzen haben. Das ist manchmal schwierig, weil man in einen Strudel von Komplimenten hineingerät. Und das kann einen mitunter doch ein bisschen dazu verleiten, an seine eigene Unfehlbarkeit zu glauben. Aber man darf sich nie für unersetzlich halten. Wenn man erkältet ein Konzert singt, weil man seine Fans nicht mit einer Absage enttäuschen will und sich dadurch zu früh kaputtmacht, hat niemand etwas davon.

NEWS:
Villazón musste fünf Monate pausieren? Macht Ihnen das Angst?

Kaufmann:
Natürlich macht einem das Angst. Diese Gefahr schwingt immer mit. Zu Beginn meiner Karriere sang ich möglichst schonend und sparsam. Ich habe es gut mit meiner Stimme gemeint, aber sie wäre dabei fast verhungert. Als Spiegel der Seele hängt die Stimme von der allgemeinen Konstitution ab. Und zwar nicht nur von der körperlichen, sondern auch von der geistigen. Man muss versuchen, seinen inneren Frieden zu finden und in sich selbst zu ruhen. Das ist entscheidend für das Singen, für die Qualität und für die Kraft, die eine Stimme ausstrahlen kann. Wenn man diesen inneren Frieden einmal verliert, muss man wirklich dafür sorgen, dass man ihn schnell wiedererlangt. Und nicht noch ein Ding nach dem anderen machen, weil da etwas fürs Fernsehen ist oder man viel Geld bekommt. Solche Argumente zählen nicht. Man muss immer aufpassen und rechtzeitig reagieren und zur Not in den sauren Apfel beißen und pausieren. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es nur zwei kleine, dünne Stimmbändchen sind, von denen unsere Kunst abhängt. Da kann alles Mögliche passieren. Das können Dinge sein, die gar nichts mit dem Singen zu tun haben. Und plötzlich ist die Stimme weg. Es muss einem klar sein, dass die Stimme nichts ist, was man selbstverständlich im Leben hat. Ich musste dieses Jahr schon einen Auftritt absagen, weil ich Rückenprobleme hatte. Bei solchen Zwangspausen sagt man sich einfach, ich tue so, als hätte ich Urlaub. Ich mag diesen Beruf so gerne, dass ich ihn nicht in möglichst kurzer Zeit möglichst intensiv machen, sondern im Gegenteil möglichst lange ausüben möchte.






 
 
  www.jkaufmann.info back top