Fono Forum 1/2008
Adelbert Reif
 
Der Stimme folgen
Für Opernenthusiasten ist der deutsche Tenor Jonas Kaufmann längst kein Geheimtipp mehr. Nur Schallplattenfreunde hatten bisher weitgehend das Nachsehen. Mit seiner soeben bei Decca erschienenen CD „Romantic Arias“ wird diesem Mangel abgeholfen. Adelbert Reif traf Jonas Kaufmann in München. 

Auch wenn sein privates Domizil in Zürich angesiedelt ist, die „wirkliche Heimat“ des gebürtigen Münchner Tenors Jonas Kaufmann sind die großen Opernbühnen der Welt: ob das Royal Opera House Covent Garden in London, die Mailänder Scala oder die Metropolitan Opera in NewYork, ob die Lyric Opera in Chicago oder die großen Opernhäuser von Paris, Brüssel, Rom, Wien, München, Hamburg, Stuttgart, Berlin und natürlich die Festspielbühnen von Salzburg und Edinburgh. Seit er 2001 vom Opernhaus Zürich engagiert wurde, ging seine Karriere steil bergauf. Heute gilt Jonas Kaufmann vielen als «größter Hoffnungsträger der deutschen Klassikszene“ und „neuer deutscher Star-Tenor“, sympathischerweise ohne jedwede „Starallüren“. 

Adelbert Reif  Herr Kaufmann, wann reifte in Ihnen der Plan, Sänger zu werden?

Jonas Kaufmann Mein Singen hat keine kontinuierliche Geschichte. Als Kind sang ich einfach, weil es mir Spaß machte. Ich war Mitglied in einem Kinderchor und sang mit 14 oder 15 Jahren im Extrachor des Theaters am Gärtnerplatz. Aber Sänger zu werden stand ernsthaft nicht auf meinem Programm.

AR Dennoch ergriffen Sie diesen Beruf...

JK Mein Vater vertrat die Meinung, Singen sei doch eine eher brotlose Kunst, und ich solle etwas „Vernünftiges“ lernen. So begann ich, Mathematik zu studieren, merkte aber bald, dass mir das viel zu trocken und theoretisch war. Nachdem ich von meinem Großvater finanzierte Gesangsstunden nahm, empfahl mir mein Lehrer eines Tages, die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule zu versuchen. Ich folgte seinem Rat und wurde aufgenommen. Die endgültige Entscheidung fiel dann mit Mozarts „Zauberflöte“ die wir konzertant mit Colin Davis aufführten. Das bereitete mir eine so ungeheure Freude, dass ich den Entschluss fasste, dabei zu bleiben, egal, was immer auch passiert.

AR Wer waren damals Ihre Lieblingssänger?

JK Meine Familie hörte vor allem deutsche Sänger, und entsprechend stand die alte deutsche Sängergeneration auch im Vordergrund meines Interesses: Peter Anders, Josef Traxel, Rudolf Schock und vor allem Fritz Wunderlich. Natürlich vermochte ich damals noch nicht die „Technik“ dieser Sänger zu beurteilen. Aber ich empfand sehr tief das Berührende ihres Gesangs, wie viel Mensch, wie viel Seele in so einer Stimme stecken kann.

AR Wenn Sie sich an Ihre ersten Engagements erinnern: Kamen Ihnen gelegentlich Zweifel an der Richtigkeit Ihrer Entscheidung, Sänger geworden zu sein?

JK In meinen ersten Jahren an der Oper Saarbrücken geriet ich in eine ziemliche Krise. Die Realität des Opernbetriebs traf mich einigermaßen unvorbereitet. Während die Hochschule eine Art „Retortenbetrieb“ ist, in dem man von sich das Gefühl hat, bereits „alles“ zu wissen, „alles“ zu können, stellt sich das wirkliche Leben ganz anders dar. Gerade in der Anfangszeit, wenn man an einem kleineren Haus engagiert und in den normalen Betrieb integriert ist, steht man fast in jedem Stück auf der Bühne. In Saarbrücken hieß das: Von Montag bis Samstag zweimal vier Stunden Proben am Tag. Bei dieser Beanspruchung habe ich gemerkt: So richtig singen kann ich noch nicht. Glücklicherweise fand ich einen Lehrer, der mir auf die Sprünge half.

AR Andererseits haben Sie sich später teilweise deutlich gegen gewisse Ratschläge von Gesangslehrern entschieden. Was waren die Gründe?

JK Während meines Studiums habe ich mit einer sehr leichten, hellen, deutschen Stimme gesungen. Das hatte damit zutun, dass man von einem jungen deutschen Sänger einfach erwartete, wie ein junger deutscher Sänger zu klingen. In dieses Schema, das von Namen wie Peter Schreier geprägt wurde, musste man hineinpassen. Mir empfahl man, alles langsam, vorsichtig und leise zu machen, und wenn ich Glück habe, könne ich mit 40 vielleicht sogar einmal den Belmonte singen. Mit dieser Prämisse benützte ich meine Stimme.

AR Und genau das war falsch?

 „Mach doch mal deinen Mund auf, lass deine Stimme heraus“

 JK Genau das war falsch. Richtig wäre gewesen, erst einmal loszusingen, um zu erkennen, was eigentlich meine Stimme ist. Aber immer, wenn ich einen solchen Anlauf nahm, wurde ich zurückgepfiffen. Mir wurde bedeutet, das sei ungesund und ich würde, wenn ich das weiter triebe, in kürzester Zeit keine Stimme mehr haben. Dabei erging es mir genau umgekehrt: Mit diesem leichten, kopfigen Singen bekam ich bei meinem ersten Engagement ernste Probleme. Bis mir der zu Rate gezogene Lehrer erklärte: „Mach doch mal deinen Mund auf, lass deine Stimme heraus.“ Das war für mich wie eine Erlösung.

AR Haben Sie den Eindruck, dass manches, was die „Altmeister“ lehrten, heute so nicht mehr gültig ist?

JK Ich würde eher sagen, das Gegenteil trifft zu. Es gab zwischendurch eine Welle, in der Ausdruck und Interpretation so extrem im Vordergrund standen, dass dadurch die Festigkeit der Stimme beeinträchtigt wurde. Sehr viele Karrieren sind relativ schnell nach oben gegangen und dann auch relativ schnell wieder nach unten, weil ihnen das Fundament fehlte.

AR Und das Fundament wäre?

JK Das Fundament ist das Belcanto-Singen. Man muss es können, bevor man sich auf das Glatteis der wilden Interpretation begibt. Natürlich ist es wichtig, einen Text gut zu interpretieren. Was wären Wagner oder Strauss ohne exzellente Textinterpretation? Trotzdem kann eine solche Interpretation nur im Rahmen der jeweiligen stimmlichen Möglichkeiten vonstatten gehen und unter Einbeziehung aller technischen Hilfsmittel, die eine Stimme gesund halten. Wenn man das kombiniert, funktioniert es sehr gut. Ich selbst singe nicht nur deutsche Sachen, Wagner und Strauss, was mir sehr häufig angetragen wird, sondern versuche, sie möglichst gleichwertig zu verbinden mit französischen und italienischen Partien. Hinzu kommt, dass es mir nicht erstrebenswert erscheint, immer nur die gleichen Partien zu singen. Das Schöne an dem Beruf ist doch, dass man ständig neue Sachen kennen lernt, in neue Charaktere schlüpfen kann und versucht, sie zum Leben zu erwecken.

AR In der Tat ist Wagner in Ihrem bisherigen Repertoire nur spärlich vertreten

JK Noch bis vor wenigen Jahren wagte ich an Wagner gar nicht zu denken. Ich war, wie so viele andere auch, der festen Überzeugung, man müsse erst ein gewisses Alter und eine Reife erreichen, bis man sich Wagner aneignet. Es ist aber nicht das Alter, sondern es ist die stimmliche Reife, die für Wagner erreicht sein muss. Man muss also einfach der Stimme folgen. Das ist ein Motto, dem ich nachzustreben versuche. Man darf die Stimme nicht manipulieren, sie nicht in bestimmte Richtungen treiben wollen. Den eigenen Stimmklang zu akzeptieren, darauf kommt es bei aller interpretatorischen Anpassung an den Stil eines Komponisten oder die Art eines Stückes an.

AR Aber Ihre Stimme ist doch für Wagner hervorragend geeignet.

JK Es wäre mir ein Leichtes, den Kalender mit lauter solchen schwergewichtigen Partien zu füllen. Aber ich möchte nicht übertreiben. Ich erinnere mich noch an meine erste „deutsche“ Partie: Das war Florestan in einer konzertanten Aufführung von „Fidelio“ unter Helmut Rilling. Er hatte mich zu diesem Projekt lange überreden müssen, denn ich war sehr skeptisch meiner Stimme gegenüber. Doch im Laufe der Proben und Konzerte stellte ich fest, dass ich überhaupt keine Schwierigkeiten mit der Partie hatte, selbst bei ihren vertracktesten Passagen nicht. Das Ganze fiel mir ungemein leicht. Wenn ich hingegen daran denke, wieviel Mühe es mir bereitet, einen Ferrando zu singen. Später sang ich dann in Zürich den Florestan auf der Bühne, gefolgt von Parsifal und Stolzing in den „Meistersingern“ — alles letztlich „probehalber“, um das Fundament meiner Stimme für solche Partien zu prüfen. Daneben liegt mir sehr an einer Weiterentwicklung des italienischen und französischen Fachs, um eine gesunde Mischung zu erreichen. Auch Mozart ist ein sehr geschätztes Fach. Für Franzosen beispielsweise ist Mozart die Königsdisziplin — mehr noch als für die Deutschen —‚weil man da nicht wild drauflossingen kann, sondern alles äußerst präzise dosiert sein muss und in dieser Präzision trotzdem die gewisse gefühlsbetonte Freiheit finden. Wenn man mitbekommen hat, wie das funktioniert dass man seine Stimme sich selbst überlässt, dann ist eigentlich die Stimme diejenige, die dem Sänger das Fach vorgibt.

AR Gibt es eine Traumpartie, die zu verkörpern Ihnen bisher versagt blieb?

JK Traumpartien sind eigentlich immer diejenigen, die man als Nächstes in Angriff nimmt, weil man sich damit am meisten beschäftigt und versucht, die jeweilige Partie zum Höchsten zu erheben. Aber natürlich gibt es wie für jeden Sänger auch für mich „Traumpartien“. Otello beispielsweise: wunderbare Musik, traumhaft zu singen, ein abartiger Charakter zu interpretieren. Das ist eine Partie, auf die ich schon jetzt mit Sehnsucht warte. Aber ich weiß, bis dahin kommen noch viele Stufen, die ich überwinden muss. Wer Otello erreicht hat, für den gibt es im italienischen Fach kein Weiterkommen mehr. Er weiß dann nicht, mit was er sich noch motivieren soll. Und im deutschen Fach verhält es sich nicht anders: Tannhäuser oder Tristan sind hier gewissermaßen die herausragenden Licht- und Endgestalten.

AR Nun treten Sie auch als Liedsänger auf. Stimmt es, dass das Publikumsinteresse an Liederabenden seit geraumer Zeit beträchtlich nachgelassen hat, wie Konzertveranstalter klagen?

JK Die Kultur der Liederabende ist im Niedergang begriffen. Sogar die berühmten Liederabendserien im traditionsbewussten Wien und Graz haben Schwierigkeiten mit dem Kartenverkauf. Zugleich beobachte ich, dass es eigentlich nicht mehr die Regel ist, dass ein Sänger, der im Opernbereich erfolgreich wirkt, auch noch Liederabende gibt. Dabei ist das stimmtechnisch überaus wichtig, weil man da als Sänger von der Dynamik her in Bereiche vordringt, die man beim Gesang mit Orchesterbegleitung nie gebrauchen würde, weil es unhörbar wäre. Im Liedgesang kann man soviel spielen mit den verschiedenen Stimmfarben und musikalischen Ideen. Plötzlich nimmt man ein ganz anderes Tempo, man macht ein riesiges Rubato oder ein plötzliches Piano, wo man immer Forte gesungen hat—das alles geht beim Liedgesang,wenn einem ein guter und inspirierter Pianist zur Seite steht. Liedgesang ist eine Disziplin, die den Sänger fordert: Man steht allein vor dem Publikum und muss den Abend tragen, ohne sich irgendwo hinter der Kulisse oder im Kostüm verstecken zu können.

AR Eine letzte Frage: Sie sind als „größter Hoffnungsträger der deutschen Klassikszene“ apostrophiert worden. Ist das eine Herausforderung oder eher eine Belastung für Sie?

JK Ich höre das zum ersten Mal und muss zugeben, es klingt nach Belastung. Wenn dem wirklich so wäre, fände ich das sehr bedauerlich — denn wo ist dann der Rest? Die Idee, dass bei einer Sängerin oder einem Sänger alles rundum stimmen muss — Persönlichkeit, schauspielerische Begabung, Aussehen, Stimme etc. — ist mir zwar verständlich, weil auch ich glaube, dass die Zukunft der Oper darin liegt, ein Gesamtspektakel zu bieten und nicht nur „reinen Schöngesang“. Aber das Allerwichtigste muss das Singen bleiben. Ich finde es schon ein wenig traurig, wenn die verschiedenen Fähigkeiten eines Darstellers des Musiktheaters in den höchsten Tönen gelobt werden und dann am Schluss, ganz nebenbei, angemerkt wird: Ja — und singen kann er auch. Jedenfalls hoffe ich, dass ich nicht der Einzige bin und es noch andere mehr von meinem Schlag gibt. Wo immer ich in der Welt herumkomme, überall sehe ich, dass neue Stimmen heranwachsen.






 
 
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