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BR Klassik, 12.4.2024 |
von Michael Atzinger |
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TENOR JONAS KAUFMANN - SEINE FÜNF BESTEN ROLLEN
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Jonas Kaufmann ist mit seinem dunkel timbrierten Tenor eine Marke. Mit 20 hat er in seiner Heimatstadt München ein Musikstudium angefangen und fünf Jahre später auch abgeschlossen. Erfahrungen sammeln konnte er vor allem in Zürich. Dann hat er in London und Wien Puccini, Verdi und Giordano gesungen, in Verdis "Traviata" ein sensationelles Debüt an der New Yorker MET gefeiert, ist als Italo-Tenor nach München zurückgekehrt und hat in den vergangenen 15 Jahren einen Triumph nach dem anderen eingefahren. Hier sind seine fünf beste Rollen – als sehr subjektive Hitliste von Michael Atzinger
MARIO CAVARADOSSI IN GIACOMO PUCCINIS "TOSCA“ Im Malerkittel macht
vielleicht nicht jeder Tenor bella figura, aber Jonas Kaufmann wirkt darin
ausgesprochen authentisch, wenn er im 1. Akt von Giacomo Puccinis "Tosca" in
der Kirche Sant’Andrea della Valle in Rom an einem Frauenportrait
herumpinselt, das seine Geliebte Floria Tosca eifersüchtig machen wird.
Kaufmann zeigt in der ersten Arie der Oper den Maler als virilen Helden mit
eindrucksvoll im Forte und Fortissimo durch die Kirche hallenden
Spitzentönen. Und er widersteht der Versuchung, im dritten Akt kurz vor
seiner Hinrichtung in der Arie "E lucevan le stelle" die Sterne anzubrüllen.
Nein, da gibt er dem Hoffnungslosen, der nur noch auf den Tod wartet, ein
paar erdenferne Piano-Töne mit.
DON JOSÉ IN GEORGES BIZETS "CARMEN"
Mut zur Gebrochenheit prägt auch Jonas Kaufmanns Portrait des etwas tumben
und unglücklich verliebten Don José in Georges Bizets "Carmen". Wo manche
Kollegen am Schluss der Blumenarie ihr "Carmen, je t’aime" effektheischend
und testosterongeschwängert mit voller Stimme ins Opernhaus schicken, rührt
Kaufmann sein Publikum mit einem kleinen Blümchen in der Hand völlig
verzweifelt und mit ersterbendem Ton zu Tränen. Er leidet, er macht sich
verletzlich, kehrt sein Innerstes nach außen – und ein letztes Mal muss er
ihr noch sagen, wie sehr er sie liebt.
LOHENGRIN IN "LOHENGRIN" VON
RICHARD WAGNER Die Stimme: Das ist nicht nur schönes Singen in laut und
leise, das ist auch transportiertes Gefühl. Betroffenheit, Trauer und
Bestürzung. Gebrochene Töne für gebrochene Helden. Jonas Kaufmanns Porträts
der Wagner-Helden erschüttern, begeistern – und befremden. Da wagt es einer,
den Lohengrin seiner Superhelden-Kraft zu berauben. Wie sagt Jonas Kaufmann
selber: "Lohengrin muss sich eingestehen, dass er sich emotional wohl zu
weit aus dem Fenster gelehnt und versagt hat." Kaufmanns Entscheidung, die
erste Strophe der Gralserzählung im Pianissimo zu nehmen, ist heftig
diskutiert worden – und ist doch mutig und richtig. Und zum ersten Mal steht
da eine nicht golden oder silbern glänzende, nicht fassbare Märchenfigur auf
der Bühne, sondern – ein Mensch. Kaufmann hat die Kraft, den Glanz und das
Durchhaltevermögen für die Rolle. Aber er muss es nicht unablässig beweisen.
ANDREA CHÉNIER IN "ANDREA CHÉNIER" VON UMBERTO GIORDANO "Andrea
Chénier" von Umberto Giordano ist für den Titelhelden musikalisch
herausfordernd, aber ein perfekter Laufsteg für einen Tenor, der auch
spielen kann. Der Humor hat, Begeisterung zu zeigen vermag – und auch
Liebesraserei. Wer das erste Bild der Inszenierung an der Bayerischen
Staatsoper noch vor Augen hat, erinnert sich an ein Wimmelbild, aus dem zwei
Menschen in jeder Sekunde herausstechen, über viele Meter hinweg Kontakt
halten, sich fixieren: Anja Harteros als Maddalena und Jonas Kaufmann als
Chénier. Da sitzt jede Geste, da spricht jeder Blick – und man freut sich,
wie intelligent dieser Historienschinken von den beiden bespielt wird. Und
wie Kaufmann sich, ohne gestalterisch zu forcieren, als Außenseiter in
dieser adligen Mottenkugelwelt behauptet. Da bietet einer der Dekadenz
Paroli - mit Stimme und präziser Schauspielkunst. Und am Ende steigert sich
Kaufmann zu einem dunkel glänzenden "Come un bel dì di maggio", mit
perfektem Legato und überrumpelnder Wirkung.
WERTHER IN JULES
MASSENETS "WERTHER" "Werther" von Jules Massenet, ein Stück, das man oft
mit einer Bühne wie in einem veristischen Reißer erlebt. Ein an die Rückwand
gemalter Himmel. Eine riesige, mit Efeu bewachsene Mauer mit Brunnen.
Zwischen Mauer und dem angedeuteten Haus des Amtmanns ein Tordurchgang. Es
gibt Tenöre, die betreten diese Bühne und müssen sich erst etwas einfinden.
Und es gibt Jonas Kaufmann. Verträumt, tastend, wie von einem anderen Stern.
Er nimmt die Sonnenbrille ab und weiß: er ist angekommen. Nicht irgendwo,
sondern im Paradies, wie er gleich singt. Und so klingt es auch.
Verführerisch funkelnder Goldstaub. Und später, wenn er seinen Traum, mit
Charlotte zu leben, ausgeträumt hat, fürchten wir schon um sein Leben, als
er noch nicht mal an Selbstmord denkt. Jonas Kaufmann – der beängstigend
intensive Sängerdarsteller, der alles hat.
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