NEWS, Juni 2023
Heinz Sichrovsky
 
„Eine Idee kommt nach der anderen, es lässt einen nicht mehr los, ich hatte schlaflose Nächte”
 
Ein Tiroler Dorf in der Weltliga. Mäzen Hans Peter Haselsteiner holt den Tenorissimus Jonas Kaufmann nach Erl. Die Sensation ist geglückt, entsprechend hoch sind die Erwartungen. Im Gespräch skizzieren die beiden das Bevorstehende und geben über ihre Leidenschaften Auskunft

Die Sache mit dem „Paukenschlag" ist bekannt: Meist für Politikeransagen zweiter und dritter Ordnung bemüht, wummert er im Gefolge taktischer Indiskretionen schon Stunden vorher durch befreundete Medien, um dann fade zu verhallen. Der Urknall hingegen kommt unvorbereitet und folgenschwer. Und mag es auch etwas exzentrisch erscheinen, die Neubesetzung eines Festivals mit dem Entstehungsmoment des Universums in Zusammenhang zu bringen: Der Tenor Jonas Kaufmann, 53, als Intendant der Tiroler Festspiele Erl — das ist, als gäbe mindestens Lionel Messi seinen Wechsel nach Hütteldorf bekannt, um Rapid doch noch in die Conference League zu bomben. Mit einem Paukenschlag lässt sich das bei Weitem nicht orchestrieren. Und: Alle hielten dicht.

Deshalb wartete am vorwöchigen Freitagvormittag auch eine bescheiden animierte Gruppe von Kulturjournalisten vor dem Repräsentationsraum des Wiener Künstlerhauses, um vom Mäzen Hans Peter Haselsteiner, 79, über die Ereignisse am Fuß des Wilden Kaisers ab 2024/25 informiert zu werden. Man erwartete für die Zeit nach dem versierten, aber farblosen Frankfurter Opernintendanten Bernd Loebe eine etwas identitätsstiftendere Gestalt, tunlichst von weniger exzessivem Berufsverständnis als der über dubiose #MeToo-Vorwürfe gestürzte Festivalgründer Gustav Kuhn.

News saß da schon seit einer Stunde ein Stockwerk höher, in Haselsteiners Büroräumen, beim Antrittsgespräch mit den beiden Protagonisten. Dass die Entscheidung die Erwartungen übertreffen werde, vermuteten sehr gut Informierte schon länger. Haselsteiners Begehrlichkeit nach Christian Thielemann war so nachvollziehbar wie unrealistisch. Elina Garanca hingegen, deren Freiluftkonzerte in Kitzbühel seit zehn Jahren Maßstäbe an Qualität und Breitenwirkung setzen, schien eine glaubhafte Option. Aber ihr werden beste Aussichten nachgeflüstert, 2026 von Rudolf Buchbinder Grafenegg zu übernehmen — wie er eine weltweit gefragte, von erfahrenen Organisatoren unterstützte Persönlichkeit, die dem Festival Glanz verleihen könnte, während die Karriere unbeeinträchtigt ihren Weg nimmt.

Die Nachfolger müssen warten
Klar, dass die erste Frage an den ansehnlichsten aller aktiven Opernkünstler dem Grundsätzlichen gilt: Als Wanderer zwischen den Fächern, zwischen Tristan und em Kalaf aus „Turandot", ist Jonas Kaufmann neben Piotr Beczala die Nummer eins der Welt. Geht es jetzt sachte ins Altenteil? Wartet schon die Austragstube in der idyllischen Tiroler Tallage?

Mitnichten, rufen da beide unverzüglich, Kaufmann lebe ja gut erreichbar in Salzburg. Also praktisch um die Ecke, wirft der Frager ein, und der Tenorissimus wortet gut gelaunt: „Von Wien aus betrachtet ja."

Diese liebevoll ironische Kumpanei gegenüber der Kultursupermacht Wien wird im Gespräch noch einigen Platz einnehmen. Jetzt stellt Haselsteiner gleich fest: „Es wird sich ja erwartungsgemäß um eine vorübergehende Anwesenheit handeln. Deshalb werden wir in der Künstlerresidenz ein Apartment zur Verfügung stellen, und es gibt selbstverständlich für den künstlerischen Leiter ein angemessenes Büro." Und Kaufmann: „Es wird ja nicht meine einzige künstlerische Beschäftigung sein! Das war auch eines der Argumente, die mich zögern ließen, als wir über diese Idee gesprochen haben. Die Bedenken waren klar. Ihre Zunft würde gleich sagen: ,Was weiß er, was wir noch nicht hören, was aber offensichtlich ist? Er wird demnächst nicht mehr singen können, denn warum sollte er sich sonst einen anderen Beruf suchen?'

„70 Abende sind zu viel"
Wer nun meint, es sich schon jetzt in Kaufmanns riesigen Fußstapfen einrichten zu können, wird allerdings enttäuscht sein. Ja, da gibt es schon eine zarte Sehnsucht, nicht immer ohne Atemholen um die Welt zu rasen. „Es ist", sagt er, „unabhängig von Erl schon länger im Plan, etwas kürzerzutreten. Ich stehe jetzt bei 60 bis 70 Abenden im Jahr, und das ist zu viel. Ich spüre nichts an der Stimme, auch der Körper macht mit. Bisher hat es ja sehr gut funktioniert, dass ich die Freude am Beruf nicht verliere. Aber bei zu viel Arbeit kommt irgendwann trotzdem der Punkt, an dem ich zu Hause sitze und sage: Ich will einfach nimmer weg. Lang hält das dann ohnehin nicht an..."

Und dann? Einige aus der Höchstliga sind schon in die Intendanzen umgestiegen, Wolfgang Windgassen, der epochenübergreifend Größte in Sachen Wagner, in Stuttgart, Eberhard Waechter in Wien, Domingo in Los Angeles. „Ich habe schon mit vielen Intendanten scherzhaft solche Gespräche geführt", räumt Kaufmann ein. „,Irgendwann wirst du einer von uns werden, das ist ganz klar, so wie du dich in alles einbringst, man könnte auch sagen, einmischst. Du schaffst es nicht, stillzuhalten und erst dann zu kommen, wenn der Tisch gedeckt ist. Du willst schon am Anfang dabei sein, wenn das Menü geschrieben wird. Das stimmt schon, andererseits bin ich mit dem, was ich bisher getan habe, schon relativ ausgelastet. Insofern wollte Erl wohlüberlegt sein. Aber alles, was Freude macht, kostet einen keine Kraft. Das habe ich beim bisherigen einzigen Beruf auch gemerkt: dass man aus der Freude so unendliche Energien schöpft, dass man gar nicht merkt, wie es an der Substanz kratzen kann."

Der richtige Zeitpunkt
Wird es also irgendwann in die Richtung einer großen, staatstragenden Opernintendanz gehen? „Natürlich", fährt Haselsteiner da mit empathisch blitzendem Blauauge dazwischen. „München!"

Also? „Vorstellbar ist viel", deutet Kaufmann vorsichtig in eine Richtung. „Die sechs Jahre in Erl sind die Möglichkeit, mich nicht nur in Planungsfantasien auszutoben, sondern auch zu sehen, ob es mich dauerhaft reizt. Aber ich kann mir auch sehr gut vorstellen, irgendwann in Pension zu gehen und nichts zu machen. „Ich werde 54, und der Sechsjahresvertrag wird mich bis zum an sich normalen Arbeitsende begleiten." - „Hacklerpension!", wirft Haselsteiner ein, und Kaufmann nimmt das Stichwort ernsthaft auf. „Aber es gibt ja auch etwas zwischen Pension und einer sehr langen Karriere, wo man irgendwann als Außenstehender spürt, dass der aufgebaute Ruhm Schaden nimmt." Er verweist auf den nur zögend abdankenden großen Bariton Hermann Prey, mit dem er als Anfänger viele Auftritte hatte. „Es gab großartige Vormittage, aber auch Abende, die bereits hart an der Grenze waren. Wir haben uns damals In einem Freundeskreis von vier Studenten an der Hochschule in München versprochen: Wenn es bei uns soweit ist und wir merken es selber nicht, dann sagen wir's einander, wenn es uns schon kein anderer sagt:'

Freilich, so fährt er schnell fort, nicht heut und nicht morgen wird das sein. Aber sollten nicht doch Entscheidungen nötig werden? Wagners Tristan, die forderndste Rolle der Operngeschichte, hat er in München schon mit Erfolg gewagt. Im vergangenen Frühjahr kam dann bei den Salzburger Osterfestspielen der auf andere Art vertrackte Tannhäuser dazu. Kaufmann bewältigte ihn mit Kalkül und Klasse. Und auch einer der letzten Achttausender, der Siegfried in der „Götterdämmerung", reizt ihn noch. Aber dass der Schritt von diesen Höllenpartien zurück zu den Italienern kein selbstverständlicher ist, hat man zuletzt an der Staatsoper gehört: Da brachte er, neben Anna Netrebko als Aida, den Radames zwar in ein großartiges Finale, allerdings nach einer kurzen Problemperiode.

„Ich habe keinerlei Schwierigkeiten, in die leichteren Fächer zurückzugehen", erwidert Kaufmann. Im Gegenteil habe die erzwungene Ruhe der Covid-Jahre der Stimme gutgetan, und insgesamt sei das italienische Fach für die Geschmeidigkeit der Stimme unerlässlich. „Wenn ich in der Not wäre, meine Karriere vorantreiben zu müssen, würde ich natürlich Tristan und Tannhäuser In Serie singen, weil die überall händeringend gesucht werden. Aber dann kann ich die Tage anzählen, bis das Publikum merkt, was mit der Stimme los ist. Die Mischung machts!"

Deshalb geht er jetzt nach London, um dort mit Massenets „Werther" gleich mehrere Schritte zurück ins leichtere Fach zu tun. „Und wer weiß, vielleicht gebe ich mir als Intendant im eigenen Haus Dinge, die im Normalbetrieb nicht möglich wären:'

„Schlaflose Nächte"
Womit das Gespräch in Erl Station macht. Was hat Haselsteiner bewogen, den Schritt in die Weltliga zu tun? „Wir hatten die Ära Kuhn, die ja zu meinem großen Bedauern geendet hat, wie sie geendet hat. Ich habe mich dann", kommt er auf Loebe, „von der Persönlichkeitsstruktur für ein Kontrastprogramm entschieden, für einen anerkannten Opernintendanten mit dem Kompromiss der Zweiteilung zwischen Frankfurt und Erl. Jetzt wollte ich wieder einen Mr. Erl, einen Intendanten mit ausschließlichem Fokus, der mit seiner Empathie und Begeisterung die Menschen für diesen besonderen Ort entflammen kann"

Kaufmann: „Als wir unser erstes Gespräch hatten, bin ich eher aus Höflichkeit hingegangen. Dann beginnt man zu reden, und ich hatte schlaflose Nächte, weil mir das überlegen und Planen so viel Spaß gemacht hat. Eine Idee kommt nach der anderen, und es lässt einen nicht mehr los"

Dass Wagner im Zentrum bleibt, ist klar, aber auch dessen frühe Idole, Gluck und Weber, werden Ihren Platz bekommen. Da könnte der Intendant Kaufmann doch seine Sehnsucht nach dem leichteren Fach befriedigen? Wird man ihn In Erl verbindlich auf der Opernbühne erleben?

Da grätscht Haselsteiner hinein. „Wir haben das Thema in unseren Vertragsverhandlungen bewusst ausgeklammert, und ob der Herr Intendant sich selbst besetzt, liegt ganz in seinem Ermessen. Es ist nicht Gegenstand des Vertrags, und es gibt keinerlei diesbezügliche Verpflichtungen. Klar ist allerdings, dass sich a) Erl mit seinem Budget Jonas Kaufmann schwer leisten könnte und ich b) auf die Faszination des Festspielhauses auch für ganz große Künstler baue. Viele haben geweint, weil sie nicht glauben konnten, wie dieser Saal klingt. Jetzt wird das auch Jonas erfahren, und deshalb wird es ihn reizen, dort aufzutreten."

Keine Regie-Exzesse
Er sagte nicht ja und nicht nein, zögert Kaufmann. Die Planung stehe ja noch in den Kinderschuhen. Das nächste Jahr macht noch Loebe, und 2025 ist, so wie alle sechs Jahre, das große Haus für die Passionsspiele blockiert. Also wird man es im kleineren neu erbauten Haus sachter, intimer angehen können. Sicher ist, dass er ein Team um sich brauchen wird, auch einen Chefdirigenten wird es geben. Zumal er sich - anno Kuhn wurde hier der Anfänger Andreas Schager entdeckt, heute Wagner'scher Höchstligist - um den Nachwuchs kümmern will. „Den kann man ja nicht einfach im Telefonbuch nachschlagen, und ich kann nicht durch die Welt reisen und diese Leute finden. Wobei wir gar nicht von der Welt sprechen sollten, sondern von einem in seinem Spirit eher lokalen, das heißt österreichischen Festival. Mein Plan ist nicht, einmal zu singen und den Rest zu vernachlässigen. Ich habe diese Intendanz nicht angestrebt, damit ich dort endlich einmal singen kann. Das wird es schon auch geben, aber ich glaube, ein relativ gutes Gespür für Talente zu haben. Die intimen akustischen Verhältnisse wie in Erl gibt es vielleicht noch in Bayreuth, sonst nirgends mehr. Wir werden nicht nur Wagner spielen, aber er wird doch sehr wichtig sein, und da einzusteigen, ohne das Risiko, vom großen Orchester überfahren zu werden, das ist ein großes Privileg:'

Die großen Namen? Hat er mit seiner Reputation einen Star überzeugt, würden die nächsten nachkommen, sagt er. Auch wenn man Ihnen die gewohnten Gagen nicht bieten könne, ergänzt Haselsteiner, der gleichwohl „Sonderbudgets" andeutet.

Die einfache Bühnentechnik, fährt Kaufmann fort, zwinge ihn zudem zum ohnehin Erwünschten: auf szenische Bombastik und Selbstdarstellung von Regisseuren zu verzichten. „Der Fehler ist das mangelnde Vertrauen in die Kraft der Musik. Deshalb versucht man, in der Annahme, dass das Publikum sich sonst langweilt, Nebenschauplätze und Hintergrundhandlungen aufzumachen, die genau das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken. Weil man vom Sog der Musik abgelenkt ist, merkt man plötzlich, dass es sich zieht. Wenn man umgekehrt in diesen Strom hineinkommt, vergisst man Raum und Zeit. So wird es auch zum Anreiz, dass man nicht sieben Wochen zu Proben antreten muss. Das alles sind alternative Argumente zum pekuniären Aspekt:'

HPH, der Mäzen
Womit das Gespräch endlich ganz beim charismatischen Mäzen Haselsteiner eintrifft. Mit kolportierten 1,8 Milliarden Euro Vermögen der vierundzwanzigstbetuchteste Österreicher, überweist der ehemalige Bauunternehmer aus seiner Privatstiftung jährlich 1,5 Millionen nach Erl, die gleiche Summe gibt sein früheres Unternehmen Strabag.

Welche Besessenheit treibt ihn mäzenatisch an den Fuß des Wilden Kaisers? „Erstens bin ich gebürtiger Tiroler. Meine Familie kommt mütterlicherseits aus Ebbs, von Erl mit dem Rad in ein paar Minuten und zu Fuß bei flottem Schritt in einer halben Stunde erreichbar. Auf der anderen Inn-Seite ist Bayern, und das freut mich insofern besonders, weil Jonas mit seiner bayerischen Herkunft die Sympathie für das Land Tirol vor sich herträgt. Trotz 1809!"

Der fragende Blick des Besuchers zieht einen zweistimmigen Aufschrei nach sich. „Des kann nur a Wiener Bazi fragen!", triumphiert Haselsteiner, und Kaufmann setzt nach: „Habt's ihr das nicht mitgekriegt?" Im Schicksalsjahr, holt Haselsteiner dann aus, hätten die Bayern Tirol besetzt. Nach einem Fehlversuch 100 Jahre davor hätten sie sich dann den Unhold Napoleon dazugenommen. Die Folgen um den streitbaren Gastronomen Andreas Hofer seien selbst unter Ungebildeten Gemeingut. „Und trotz dieser geschichtlichen Kerbe, die jedes Jahr ein bisschen kleiner wird, bin ich überzeugt, dass wir gut zusammenpassen. Und Erl kann auch die Atmosphäre einfangen, die dadurch begründet ist, dass 400 Jahre Passionsspiele ihre Spuren hinterlassen haben, weil in diesem Dorf das Schauspiel von der Wiege an betrieben wird. Man darf das nicht unterschätzen, wenn es um Statisten und Verständnis geht, wenn man die Feuerwehr oder ein Ochsengespann braucht!' Lauter Profis, ergänzt Kaufmann anerkennend.

Und auf welchem Weg ist Haselsteiner die Kunst infundiert worden? Die Mutter, Lehrerin, hatte sich der Volksmusik verpflichtet, die vom volkstümlichen Lederhosengetröte schon seinerzeit ernsthaft gefährdet war. In den Familen müsse musiziert werden, forderte die kluge Pädagogin. Der Sohn, eher dem Vater nachgeraten, gehorchte nicht und kann deshalb heute weder singen noch spielen. „Aber ich kann sehr gut hören", fügt er hinzu und skizziert eine Karriere, die eher freudlos begann, wenn die Familie jährlich zu den liturgischen Osterfeierlichkeiten in Salzburg einrückte. Erst als Handelswissenschaftsstudent in der Musikstadt Wien habe es ihn gepackt, ohne dass er sich deshalb einen Fachmann nennen wollte. „Aber ich habe große Freude an bewegenden Momenten und emotionalisierenden Abenden, auch wenn sie zum Ärgern waren."

Als Beispiel für Kategorie zwei nennt er einen schicksalhaften Besuch in Bayreuth: „Ich war dort wie jedes Jahr mit meiner Frau. Wir haben den Parsifal in der Inzenierung von Christoph Schlingensief gesehen, aber nicht verstanden." Das so exzentrische wie geniale Hasen-Tableau — Kaufmann: „Im Deutschunterricht hätte man gesagt, sehr schöner Aufsatz, aber Thema verfehlt" — wollte das Ehepaar nicht überzeugen. „Daraufhin haben wir beschlossen, Bayreuth auszulassen. Wir wussten, dass es in Erl diesen verrückten Kuhn gibt, meine Frau ist hingefahren und hat gesagt: ,Das musst du dir ansehen: Es war ‚der' Ring und damit war es um mich geschehen!' Womit den Urknall-Theorien eine markante hinzugefügt wurde.

















 
 
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