Festspielhaus-Magazin 2016-2 Baden Baden
Thomas Seedorf
 
Nächster Halt: Helden-Tenor
 
Die Liebe zur Musik Wagners liegt bei den Kaufmanns in der Familie. Der Großvater spielte die Musikdramen des Bayreuther Meisters eigenhändig am Klavier vor und sang dazu auch noch alle Partien vom Hunding-Bass bis zum Isolden-Sopran. Dass sein gebannt lauschender Enkel Jonas einmal als Siegmund oder Parsifal die großen Bühnen der Welt erobern und als Lohengrin sogar im Allerheiligsten der Wagnerianer, dem Bayreuther Festspielhaus, Furore machen würde, ahnte Großvater Kaufmann sicherlich nicht.
Jonas Kaufmanns Weg zu den großen Wagner-Partien war indessen ein langer — und er ist bei weitem noch nicht ausgeschritten. Wie viele junge Tenöre begann er im lyrischen Fach mit dem Tamino in der „Zauberflöte" und dem Almaviva in Rossinis „Il barbiere di Siviglia". Dann eroberte er sich nach und nach die großen dramatischen Rollen des französisch-italienischen Repertoires: Masseneis Werther, Manrico in Verdis „Trovatore", Cavaradossi in Puccinis „Tosca" und Don José in Bizets „Carmen" — seit vielen Jahren die Domäne italienischer, spanischer oder amerikanischer Sänger. Als einziger deutscher Tenor feiert Jonas Kaufmann mit diesem Repertoire Triumphe von der Scala bis zur New Yorker Met.

Mit Wagner lässt sich Jonas Kaufmann Zeit. Erst nach und nach erschließt er sich die großen Rollen: Lohengrin, Parsifal, Walther von Stolzing in den „Meistersingern" und Siegmund in der „Walküre" — Partien von ganz unterschiedlichem sängerischem Anspruch. Während die Gesangslinie im „Lohengrin" oft in die Höhe steigt und neben heldischem Glanz auch lyrische Emphase verlangt, verläuft die Siegmund-Partie über weite Strecken in ungewöhnlich tiefer Lage —bis sie spektakulär zum Spitzenton auf „Wälsungenblut" aufsteigt. Für Walther von Stolzing ist tenorales Durchhaltevermögen gefragt, um nach rund vier Stunden noch das Preislied erstrahlen zu lassen. Jonas Kaufmann, der Vielseitige, findet für jede Rolle den richtigen Zugang.

Sein Rollendebüt als Siegmund in der „Walküre" gab Jonas Kaufmann 2011 an der Met. Die ganze Welt schaute zu, als eine der Vorstellungen in Kinos rund um den Globus live übertragen wurde. In St. Petersburg nahm er mit Valery Gergiev eine CD der „Walküre" auf, begleitet von konzertanten Aufführungen. In Westeuropa war Jonas Kaufmann bisher noch nie in der „Walküre" zu hören, weder auf der Bühne noch auf dem Podium. Das ändert sich erst jetzt, bei den Sommerfestspielen 2016 in Baden-Baden.

„Dass nach langen Strecken in der Baritonlage immer wieder hoch liegende Phrasen kommen", darin, so Kaufmann in einem Gespräch mit seinem Biographen Thomas Voigt, liegt „die besondere Schwierigkeit" der Siegmund-Partie. „Und der erste Akt hat es wirklich in sich. Es braucht viel Energie, um über die Erzählungen im Rezitativ-Stil bis zum ‚Duett' mit Sieglinde die Spannung zu halten."

Es war die 2013 veröffentlichte Gesamtaufnahme der „Walküre" unter Valery Gergiev, in der ich Jonas Kaufmann zum ersten Mal in einer kompletten Wagner-Rolle hörte. Für mich war und ist es ungeheuer faszinierend zu erleben, wie sich der Sänger als Siegmund ohne stimmlich-klanglichen Identitätsverlust vom Bariton, der noch in tiefen Lagen rund und intensiv klingt, zum strahlenden Tenor entwickelt. Die „Wälse"-Rufe singt er mit einer Intensität, die an ganz große Vorbilder wie Lauritz Melchior erinnert, im Duett mit Sieglinde am Ende des ersten Akts entfaltet er sinnliche Kraft und heroischen Glanz, wie es heute wohl kein anderer Sänger vermag. Zu den berührendsten Momenten zählt die „Todesverkündigung”. Jonas Kaufmann singt die weiten Melodielinien im Dialog mit Brünnhilde als großen Bogen von geradezu erschütternder Schönheit: ein Modell modernen Wagner-Gesangs. Und zugleich eine Rückbesinnung auf dessen Anfänge. Urbild der meisten Wagner'schen Tenorpartien war Joseph Tichatschek. „Der besondere Tenorklang Tichatscheks", bekannte Wagner 1864, „blieb mir für alle Zeiten maßgebend und mag wohl dazu beigetragen haben, daß ich — was ich später öfters bereute — die führenden Partien in meinen Werken für diese Stimmgattung geschrieben habe." Im Vergleich zu Tichatschek erschienen Wagner die meisten anderen Tenöre seiner Zeit „nicht anders als unmännlich, weichlich und vollkommen energielos", ja sogar als „Eunuchen". Wagner aber wünschte sich Heldendarsteller, die wie Helden klingen: strahlend, intensiv, maskulin.

Als Schüler des Tenors Giuseppe Ciccimarra, der viele Jahre intensiv mit Gioachino Rossini zusammengearbeitet hatte, war Tichatschek nach den Prinzipien des italienischen Belcanto ausgebildet worden: Schönheit des Tons, Geschmeidigkeit der Stimme und die Kunst des ausdrucksvollen Phrasierens hatte er sich zunächst im italienischen Repertoire erarbeitet und dann auf große französische und deutsche Partien übertragen. Tichatschek ist zwar als Wagners erster Heldentenor in die Musikgeschichte eingegangen, es war aber vor allem seine stilistische Vielseitigkeit, für die er seinerzeit berühmt war.

Für Wagner war Joseph Tichatschek Modellsänger jenes „deutschen Bel Canto", den er sich für seine Werke wünschte. Jonas Kaufmann erweist sich auf seinem Weg zu Wagner als eine moderne Erfüllung dieses Wunsches. Noch hat er sich nicht den schweren Heldenrollen wie Tannhäuser, Siegfried und Tristan zugewandt, doch lassen Ausschnitte aus „Siegfried" und „Tannhäuser" auf einem 2013 zum 200. Geburtstag des Komponisten erschienenen Wagner-Album bereits ahnen, dass Jonas Kaufmann einmal ein idealer Interpret auch dieser Partien sein wird.















 
 
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