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Bayerische Staatszeitung, 17.04.2015 |
Uwe Mitsching |
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Hände waschen nicht vergessen!
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Startenor Jonas Kaufmann verrät vor
seinem München-Gastspiel welche Vorbilder er hat und wie er sich für sein
Publikum fit hält |
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Sein Kopfkissen, wie manche Kollegen das tun, nimmt Tenorstar Jonas Kaufmann
nicht mit, wenn er auf Tournee geht. Auch nicht auf die längste seiner
Karriere, die in Köln begann und im altehrwürdigen Pariser Téatre des
Champs-Elysées enden wird. Du bist die Welt für mich heißt die Reise – die
Welt sind diesmal elf Musikhauptstädte, am 24. April gastiert Kaufmann mit
dem Münchner Rundfunkorchester und dem Dirigenten der Tournee, Jochen
Rieder, in der Münchner Philharmonie.
„Berlin 1930“ ist quasi der
Untertitel unter die Musik von Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Robert Stolz
oder Mischa Spoliansky. Eine CD ist vorausgegangen, und am Rand der Proben
zum München-Auftritt erinnert sich Kaufmann: „Die Pläne für die Aufnahmen
hatten wir schon lange, und ich wusste, dass ich kein
Opern-Operetten-Crossover wollte. Jetzt haben wir auch für die Tournee die
richtige Mischung gefunden.“
Den eigenen Klang suchen
Er singt Arien-Schlager wie Dein ist mein ganzes Herz oder Im Traum hast
du mir alles erlaubt, die mit Erinnerungen an Richard Tauber oder Josef
Schmidt verbunden sind, ohne Schielen auf Vorbilder: „Mein Rezept ist, den
eigenen, individuellen Klang zu suchen und ihn beizubehalten.“ Auch aus
Sorge um die eigene Stimme: „Wenn ich jemand imitiere, laufe ich Gefahr, das
Instrument ‚Stimme’ zu missbrauchen.“ Den Klang von damals könne man sowieso
nicht mehr herstellen, hat er beim Hören von vielen alten Aufnahmen gemerkt:
„Das liegt an den verschiedenen Aufnahmequalitäten. Das Orchester weit
hinter dem einzigen Studiomikrofon klingt leiser, der Sänger konnte
vorsichtiger singen. So entstanden andere Arten von Klang. Aber wir
versuchen, uns dem Original so weit wie möglich anzunähern. Da fühle ich
mich wie in einer Zeitmaschine, wie in einem Berliner Club der späten
Weimarer Republik.“
Stimme schonen, das macht Jonas Kaufmann in
seinen Opernvorstellungen nicht. Aber bei einer Tournee ist der Druck höher
– es gibt keinen Ersatz, der einspringen könnte: Wenn Kaufmann krank wird,
fällt die Vorstellung aus. „Ich packe mich deswegen nicht in Watte, gehe
aber nicht in verräucherte Kneipen, trinke nicht viel Alkohol. Je mehr
Sänger Zugluft fürchten, desto empfindlicher werden sie. Das Wichtigste:
nach dem anschließenden Bad in der Menge der Verehrer: Hände waschen!“ Dazu
tagsüber viel Wasser trinken, zwischendurch ein kleines Nickerchen: „Ich
kann überall schlafen. Das hilft unglaublich.“ Da ist schließlich die
Verantwortung: „Das Publikum will eine Sternstunde mit mir erleben. Die
Erwartungshaltung ist sehr hoch, selbst kleine Schwankungen kann ich mir
kaum erlauben.“Die Tournee ist bestens vorbereitet: „Routine im positivsten
Sinne, ein perfektionierter Ablauf. Deswegen bleibt bei so einer Tournee
schon auch Zeit, alte Freunde zu treffen. Aber der Tag der Aufführung ist
mir heilig.“ An dem wird dann normalerweise nicht mehr geprobt, auch
weil sich Kaufmann beim Dirigenten Jochen Rieder in besten Händen weiß. Man
kennt sich aus Zürcher Tagen: „Wir können uns alles sagen, haben ähnliche
Ideen vom Musizieren und der Interpretation. Ich empfinde es als einen
Luxus, dass ich einen Dirigenten habe, der mich in- und auswendig kennt, der
weiß, wie ich atme und schon vorher dem Orchester sagt, wie ich es haben
will.“
Relaxte Probenarbeit
Der Tenor gibt
zu, dass es Menschen, Kollegen, Vorbilder gab und gibt, denen er nacheifert:
Placido Domingo mit seiner Vielseitigkeit gehört dazu, der verstorbene
Franco Corelli mit seiner „Stimmprotzerei“, Fritz Wunderlich mit der
Intensität, mit der er Emotionen geradezu explodieren ließ.
Bedenken
wegen des populären Programms der Tournee hat Kaufmann nicht, schränkt aber
ein: „Jeden Mist mache ich nicht, auch nicht für einen dicken Scheck.“ Und
er ist froh, dass bei seinem Programm das Publikum mehr über das Schicksal
von Komponisten erfährt, die in der Nazi-Zeit verfemt waren. Die Operette
ist für ihn ein Bindeglied zur Oper. „Damit kann man Hemmschwellen
überwinden. Deswegen mache ich diese ,Musik für Millionen’. An die alten
Sendungen von Fritz Wunderlich oder Anneliese Rothenberger würden wir gerne
anknüpfen.“Dass Jonas Kaufmann der Zungenschlag (gelegentlich sogar mit
einem Hauch Wienerisch) dieser Lieder und Arien liegt, merkt man während der
Probe schnell. Auch dem Münchner Rundfunkorchester: „Wir haben uns der
Herausforderung dieses Repertoires gern gestellt“, sagt Orchestermanagerin
Veronika Weber, „und hoffen, dass das Orchester in ganz Deutschland dadurch
noch bekannter wird.“
Während der letzten Probe vor dem
München-Auftritt steht Kaufmann ziemlich relaxt auf der Bühne, Hände in den
Hosentaschen oder Arme verschränkt – Dirigent Rieder kennt genau die
Stellen, wo er noch ein bisschen mehr Orchesterfeinschliff haben will.
Rieder ist nicht nur glücklich über das Erlebnis, mit dem „Tenor unserer
Zeit“ aufzutreten, er mag an Kaufmann besonders, „dass er alles kann und
weiß. Das nimmt uns gegenseitig allen Druck weg bis vor dem Auftritt.“
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