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MADAME, Oktober 2014 |
Petra Winter |
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Lunch mit Jonas Kaufmann
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Wir erwischen den weltweit gefragten STAR-TENOR zwischen zwei Flügen
in seiner Heimat München und erfahren bei Tom Ka Gai und grünem Tee, wie er
seine Stimme pflegt, Fans bei Laune hält und worüber er schallend lachen
kann
Jonas Kaufmann, der Mann, den der Daily Telegraph „The
world's greatest tenor" und Le Monde „Wundertenor" nennt, ist gerade aus
Barcelona kommend in München, seiner Heimatstadt, gelandet. Unterm Arm ein
großes Paket, im Schlepptau zwei Freunde, kommt er die Rolltreppe ins
Thai-Restaurant „Mangostin" hochgefahren, betritt „die Bühne" beschwingten
Schrittes. Zeit zu verweilen hat der 45-Jährige nicht, genau eine Stunde
Aufenthalt, dann fliegt er weiter nach Sydney zum nächsten Auftritt. Gestern
Abend noch ein großes Open Air mit „Don Carlos", „II trovatore", „La forza
del destino" und Wagner, in den nächsten Tagen dann Konzerte in Singapur und
Melbourne. Er stellt das unhandliche Paket ab, löst die Schleife und
lächelt: „Das habe ich aus Barcelona mitgebracht, ein Geschenk von einem
spanischen Ehepaar." Zu sehen ist eine stark verfremdete Fotografie, eine
Szene aus „Fidelio", irgendwo in der Mitte erahnt man Jonas Kaufmann. Er
übergibt das Werk später seinem Manager Thomas Voigt. Mit nach Sydney soll
es nun nicht reisen.
Keine Frage, der Mann ist eine Naturgewalt:
blitzende braune Augen, grau-braun melierte Locken, ein ebenso farbiger
Dreitagebart. Zum Reisen trägt er ein casual Outfit: Jeans, schwarzes
Dolce&Gabbana-T-Shirt, graue Sweatshirt-Jacke, rote StoffSneakers. Die
Freunde verabschieden sich auf einen kleinen Bummel, wir setzen uns zum
Lunch. „Ich bin noch gar nicht so weit, Mittag zu essen. Es war echt spät
gestern, weil das Konzert erst um 22 Uhr anfing und wir um ein Uhr fertig
waren. Dann war Händeschütteln angesagt, um zwei Uhr gab's Abendessen bis
3.30 Uhr. Um sechs Uhr früh kam der Wagen zum Flughafen", erklärt Kaufmann,
trotz allem hellwach und bestens gelaunt. Er ringt sich zu einer Tom Ka Gai
durch, bestellt dazu einen grünen Tee. Ich nehme Larb Gai. Kaufmann liest
laut vor, was das ist. „Pikantes, gehacktes, gebratenes Hühnchen mit
Röstreis, auch nicht schlecht", überlegt er, bleibt aber bei seiner Suppe.
An die 80 Auftritte weltweit hat der Tenor im Jahr. Da sitzt man viel im
Flugzeug. Diese Zeit nutzt er zum Schlafen, Lesen und zum Studieren neuer
Stücke: „Ich nehme mir oft Noten mit, es ist ja praktisch, wenn man da so
sitzt und nicht herauskommt." Manchmal murmele er Partien halblaut mit, was
andere Passagiere ab und zu irritierend fänden: „Einmal, auf dem Weg nach
Moskau, saß über dem Gang ein Pärchen, das — vorsichtig gesagt — etwas zu
viel getrunken hatte und sich ständig beschwerte, dass seine Wassergläser
nicht randvoll mit Wodka waren. Währenddessen hielt ich mir das eine Ohr zu
und summte die Partie, die ich gerade lernte, vor mich hin. Im Flughafen
wurde ich von einer Dame abgeholt, und prompt haben die beiden sie gefragt,
ob ich ein Verrückter sei. Oder einfach nur religiös. Denn ich hätte ja die
ganze Zeit im Flieger gesummt."
Keine Frage, Jonas Kaufmann liebt es,
Geschichten zu erzählen, nicht nur in gesungener Form. „Das ist mein
Naturell, ich kann nicht still sein. Seit Kindesbeinen. Vielleicht ist meine
Stimme darum so strapazierfähig", spekuliert er. Als Schüler riskierte er
mit seiner unbändigen Art einen Klassenverweis. Und als er sich im Studium
an der Münchner Hochschule für Musik und Theater eine falsche Gesangstechnik
angewöhnt hatte, suchte er die bekannte Ärztin Dr. Karin Joussen auf.
Kaufmann erzählt: „Dann kam ich zu ihr, und sie sagte: Sie müssen jetzt zwei
Wochen schweigen. Als ich dann wieder in der Praxis war, sie war immer sehr
überlaufen, man musste also manchmal stundenlang warten, hatte ich einen
Freund dabei, mit dem ich Text gelernt habe. Als ich drankam, fragte sie
mich: ,Waren Sie das da draußen, der seit mehreren Stunden geredet hat?!
Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen gesagt hatte, Sie sollen absolut still
sein?'" Der Sänger kann sich köstlich über sich selbst amüsieren. Sein
Lachen kommt von tief unten aus dem Bauch, so als sei es eine
Lockerungsübung für seine Stimme. Vor ein paar Tagen hatte er seinen
Auftritt in „La forza del destino" während der Opernfestspiele in München
absagen müssen. Ob es der Stimme gut gehe, frage ich. „Ja, schon. Ich hab
nur gerade ein bisschen viel gemacht, da hatte sie eine leichte Krise. Aber
eine Pause von fünf, sechs Tagen hat gereicht, um sie wieder auf die
richtige Spur zu bringen." Ob man ihm als Münchner das besonders nachtrage,
wenn er hier eine Vorstellung absagt? „Eigentlich nimmt man mir das immer
übel. Regelmäßig erzählen mir Leute, dass sie extra meinetwegen ein Ticket
gekauft und eine Reise geplant hatten — und dann erfahren mussten, dass ich
abgesagt habe. Was soll ich darauf antworten, außer dass es mir leidtut? Ich
sage dann immer: Sie wollen bestimmt nicht in der Vorstellung sein, in der
ich meine Stimme verliere."
Nach seinen Lehrjahren in Saarbrücken ist
Jonas Kaufmann als freischaffender Tenor auf allen großen Bühnen dieser Welt
unterwegs — von der Mailänder Scala bis zum Londoner Royal Opera House in
Covent Garden. Den großen Durchbruch schaffte er 2006 an der New Yorker
Metropolitan Opera als Alfredo in Verdis „La Traviata". An seiner Seite
damals: die Primadonna Angela Gheorghiu. Das Publikum war wegen ihr
gekommen, nicht wegen eines damals in den USA wenig bekannten Deutschen.
Doch sein „Parigi, o cara" wurde zum magischen Moment, und er verließ die
Bühne als Star. „Ich komme raus — die Leute springen von den Sitzen und
schreien. Das hat mich umgehauen. Ich weiß noch, dass ich auf die Knie
gesackt bin und gedacht habe: Meinen die wirklich mich?", erinnert sich
Kaufmann in seiner Biografie, die Thomas Voigt vor vier Jahren
veröffentlicht hat.
Überhaupt, die Fans! Mitnichten verhalten sich
Opernbesucher anders als Groupies von Rockstars. Manche bringen ihm
Tegernseer Bier mit, damit er „in der Diaspora nicht mit Bud Light
vorliebnehmen muss", schmunzelt er. Dann erzählt er von einem Vorfall in New
York. „Da war der Andrang so schlimm, dass die Security geholt werden
musste, weil die Fans sonst völlig durchgedreht wären. Ich saß da mit meinem
Pianisten an einem Tisch, und die Menschen haben uns buchstäblich an die
Wand gedrückt. Da bin ich aufgesprungen und hab gerufen: ,Wenn Sie sich
nicht augenblicklich wie vernünftige Menschen benehmen, bin ich weg. Aber
wenn Sie sich brav gedulden, bekommt jeder ein Autogramm!' Man ärgert sich
ja über solche Sachen, klar. Aber andererseits möchte ich es auch nicht
erleben, dass ich zur Bühnentür rauskomme und dann steht da niemand. Ganz
klar: nein. Das will ich auch nicht."
Das Essen kommt. Er lässt es
lange vor sich stehen. Redet, denkt, gestikuliert. Das Thema lässt ihn noch
nicht los, es ist ihm wichtig, dass er nicht zickig oder arrogant
rüberkommt. Manchmal könne er sich das gar nicht leisten, nach einer
Vorstellung rauszugehen zu den Fans, weil er mit seiner Energie haushalten
und auf seine Gesundheit achten müsse. „Vor allem in den Wintermonaten ist
das wirklich heikel: Man steht da im Eingangsbereich vor der Tür, im kalten
Wind oder im Durchzug. Alle wollen einen umarmen, Hände schütteln, Küsschen
geben. Ich bin jetzt niemand, der permanent mit Desinfektionsmitteln
rumläuft, aber da gibt es schon Momente, in denen ich denke: Wenn ich jetzt
keine Erkältung bekomme, ist das ein Wunder."
Um sich fit zu halten,
trinkt er viel, drei bis vier Liter Flüssigkeit am Tag. Kaufmann kennt alle
Hausmittelchen, die seine Stimme geschmeidig halten. „Manche schwören auf
Manuka-Honig, weil er eine desinfizierende Wirkung hat. Ich habe gute
Erfahrungen mit Buchweizenhonig gemacht, eines der besten Mittel, damit sich
der Schleim löst. Man gibt einen Löffel in heißes Wasser oder Tee." Aber mit
drei kleinen Kindern zu Hause, wende ich ein, wie bleibt man da gesund?
Halten Sie sich dann von ihnen fern? „Natürlich nicht. Wenn sie krank sind,
brauchen sie ja noch mehr Kontakt und Trost und Nähe. Ist doch klar." Die
schlimmste Phase, die Kindergartenzeit, sei allerdings vorbei.
Vor
fünf Monaten gaben Kaufmann und seine Frau, die Sopranistin Margarete
Joswig, bekannt, dass sie sich nach 15 Jahren Ehe trennen würden. Sie hatte
zugunsten der Kinder auf ihre Karriere verzichtet. In einem gemeinsamen
Interview der beiden, das in Kaufmanns Biografie zu finden ist, sagt sie:
„Ich habe viele Kollegen kennengelernt, die keinen Partner und keine Familie
haben und bei denen man diese Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit sehr
deutlich spürt." So als ahne er, Ass sein Beruf einmal zum Verhängnis für
die Ehe werden würde, sagt er an gleicher Stelle: „Margarete ist ja mehr
oder weniger alleinerziehende Mutter. Klar, ich fliege zu ihnen, sobald es
zwischen den Aufführungen eine Lücke von mehreren Tagen gibt. Doch in diesen
Zeitfenstern kann ich natürlich nicht nachholen, was mein ,Erziehungsanteil`
gewesen wäre — oder womöglich den Chef spielen."
Die Liebe zur Musik
und zum Singen haben die Eltern ihren Kindern mitgegeben. SO wie Jonas
Kaufmann von seinem Großvater inspiriert wurde, der in der elterlichen
Wohnung in MünchenBogenhausen Wagner auf dem Klavier gespielt und dazu
gesungen hat. Seine älteste Tochter gehe begeistert in die Oper, erzählt er.
Er und seine Frau haben ihren Nachwuchs mit Schlafliedern an die Musik
herangeführt. „Es ist eine ganz andere Art von Austausch und Zusammenhalt.
Wenn man mit seinen Kindern singt, ist das viel intensiver, als wenn man
sagt: ,Ich hab dich lieb.' Das ist nicht das Gleiche, so ein Erlebnis prägt
und knüpft Bande auf ganz anderem Niveau. Ähnlich wie in der Oper — warum
fangen denn die Leute an zu weinen? Bloß weil da vorne einer singt? Die
kennen den gar nicht. Aber Musik hat einen Schlüssel, macht was mit uns,
berührt uns auf ganz andere Weise."
Berührend, erheiternd, beschwingt
und dramatisch sind nun die Lieder, die Kaufmann für sein neues Album „Du
bist die Welt für mich" (erscheint am 19. September) aufgenommen hat. Es
sind die Tenor-Hits der Tonfilmzeit: zum Beispiel Franz Lehárs „Gern hab ich
die Frauen geküsst" und „Dein ist mein ganzes Herz" sowie „Ein Lied geht um
die Welt" von Hans May. Fast alle Melodien kann der Zuhörer mitsummen.
Dennoch sind manche Partien sehr anspruchsvoll. Kein Repertoire habe ihn so
sehr gefordert wie dieses, sagt Kaufmann. Mit diesen Aufnahmen hat er den
Sängern und Musikern ein Denkmal gesetzt, die von den Nazis in alle Winde
zerstreut wurden. „Die Idee im Berlin der Zwanzigerjahre war ja, die Leute
abzulenken, die Nacht zum Tag machen, Party auf Teufel komm raus. Dazu kam
die Lust, an die Grenzen der Zensur zu gehen: Was darf man noch sagen, was
nicht? Und wenn ich es trotzdem sagen will, wie mache ich das?
Herausgekommen sind Texte, die so eindeutig sind, dass der ganze Saal
geschmunzelt hat ,Lass mich, du Schlanke, Schmale/mal rein in deine
Zentrale'. ,Mich frisst hier schier der Kummer/ich komm zu keiner Nummer'.
Er spricht mit einer Telefonistin, bitte schön!" Jonas Kaufmann lacht
lauthals, so sehr kann er sich über diese Texte amüsieren. „,Im Traum hast
du mir alles erlaubt' — ja, hallo, was denn alles? ,Hab ein blaues
Himmelbett/darin schläft es sich ganz nett/aber leider nicht allein/ drum
sag nicht Nein!' — ist doch eine eindeutige Einladung zum Beischlaf. Aber
nicht plump, sondern charmant. Das finde ich faszinierend." Als er am Abend
zuvor in Barcelona als Zugabe „Gern hab ich die Frauen geküsst" anstimmte,
da habe es ein großes Ah und Oh gegeben. Zu meiner Freude und der unserer
Tischnachbarn singt er das Stück an und kommentiert: „Da ging das Publikum
schon mit rein in die ersten Phrasen. Die meisten erinnern sich noch daran,
als Rudi Schock und Fritz Wunderlich dieses Genre haben wieder aufleben
lassen. Dann wurde es leider sehr breitgetreten und verkitscht."
Seine Mitreisenden kommen zurück, mahnen zum Aufbruch. Kaufmann fragt,
wann's denn genau losgehe — ach, in einer halben Stunde hebe der Flieger
erst ab?! Er lehnt sich noch mal entspannt zurück: „Da haben wir ja noch
hundert Jahre Zeit, Kinder!"
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