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NZZ am Sonntag, 16.12.07 |
Von Andreas Klaeui |
Auf der Tastatur der Stimmfarben
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Strahlender Bühnenheld, unprätentiöser
Privatmensch: Der deutsche Tenor Jonas Kaufmann hat das Zeug zu einem der
ganz Grossen seines Fachs. |
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Die Zürcher Oper eine Talentschmiede zu nennen,
wäre übertrieben. Von den «Rising Stars» einer Generation hat sie mehr
verpasst als gefördert. In einem Fall aber muss man Opernhaus-Direktor
Alexander Pereira zugestehen, dass er eine gute Nase oder vielmehr ein
feines Ohr bewies und einen jungen Sänger an sein Haus zu binden wusste, der
das Zeug zu einem der ganz Grossen seines Fachs hat: den deutschen Tenor
Jonas Kaufmann.
«Zürich ist seit 2001 mein Stammhaus », sagt Kaufmann. «Es gibt hier viele
Produktionen, man kann sich ausprobieren, und ich habe für meine Wünsche
immer ein offenes Ohr gefunden. » Und fügt gleich an: «Reisen gehört
allerdings dazu. Ein Sänger, der Karriere macht oder machen will, muss auf
der ganzen Welt auftreten. Das ist anstrengend. Ich möchte an einem Ort
ankommen können. Ganz spiessig: Am Morgen zu Hause weg und rüber zum Singen,
wie andere ins Büro gehen.»
Jonas Kaufmann ist das Gegenteil einer Diva beziehungsweise eines Divo. Er
tritt unprätentiös auf und pünktlich auf die Minute. Er muss sich und andern
nichts vormachen, kann aber auch ganz unverkrampft von sich sagen, dass er
gut ist. Und das ist er. Ob in Monteverdis «Poppea» oder Mozarts «Così fan
tutte», als Schuberts Fierrabras, in Beethovens Neunter Sinfonie oder in
Humperdincks «Königskindern », der Entdeckung zu Saisonbeginn am Zürcher
Opernhaus; ob als Verdis Don Carlo oder in Puccinis «Bohème» oder Bizets Don
José – er verzaubert das Publikum mit Stimme und Auftritt. Mit seinem
warmen, fast baritonalen Timbre. Mit der mühelos angesteuerten dunkel und
viril gefärbten Höhe, mit der Flexibilität seiner Stimme, die er wie ein
Instrument führt und doch fast jede Phrase mit einer eigenen Färbung
nuanciert. Das ist schon aussergewöhnlich.
Vielseitiges Repertoire
Hinzu kommt eine ungezwungene Bühnenpräsenz und – nicht zu unterschätzen –
sein «physique de cinéma», wie die Franzosen sagen: das strahlende Äussere
eines jugendlichen Helden. Für eine Karriere muss stets vieles
zusammenkommen. Das kann lästig sein. «Das Aussehen ist etwas Vergängliches.
Was die Leute manchmal schreiben, ‹sex symbol look› und dergleichen, das ist
schon dreist. Ich bin kein Model und kein Schauspieler, ich bin Sänger. Man
muss das Zentrum im Auge behalten.» Das Zentrum ist vielseitig genug. Es ist
erstaunlich, was für ein Repertoire Jonas Kaufmann singt. Die kurze (und
unvollständige) Rollenaufzählung weiter oben deutete es an: deutsch,
italienisch, französisch, immer stilsicher im Gestus, nuanciert im Ausdruck,
verständlich bis zum letzten Wort – und mit perfektem Akzent! Eine Arien-CD,
die im Januar erscheint, legt davon Zeugnis ab; ein Rezital mit
Strauss-Liedern hat Kaufmann bereits vorgelegt, wie er auch in mehreren
Oratorien- und Opern-Aufnahmen mitgewirkt hat. Darunter die Gesamtaufnahme
von Humperdincks «Königskindern» unter Armin Jordan.
Jonas Kaufmann hat nicht das unverstellte Timbre eines italienischen Tenors,
seine Stimme hat auch eine melancholische Seite. Es ist eine flexible, nicht
aber eine leichtgewichtig perlende Stimme. Rossinis fröhliche Koloraturen
sind ihm nicht verwehrt, aber fremd: «Zu viele Nadelöhre! Das hat eine
Zeitlang Spass gemacht; ich bekomme meine Stimme dafür hin; aber Kollegen
wie Juan Diego Flórez können es besser.» Es ist diese elegische Färbung, die
Kaufmann insbesondere für das französische Repertoire geeignet macht. Das
Französische gilt als schwierig zu singen. Viele nasale Laute, die dem
Wohlklang nicht förderlich sind, der Gesangsstil in einer heiklen Balance
zwischen Deklamieren und Aussingen, eine Vielzahl der Partien liegt in einer
für die meisten Tenöre unangenehmen Lage, wo die Brust- in die Kopfstimme
übergeht. Die Ankündigung des Opernhauses, Jonas Kaufmann werde im April Don
José in einer Neuinszenierung von Bizets «Carmen » singen, weckt
Erwartungen.
Charakter zeigen
Denn Kaufmann ist nicht nur ein fabelhafter Sänger, sondern auch ein
intelligenter Schauspieler, der überhaupt am liebsten über seine
Bühnenfiguren spricht: «Ich muss immer einen besonderen Charakter finden, um
eine neue Facette in eine Rolle zu bringen. Einen Tick, an dem ich mich
aufhängen kann. Don José ist phantastisch, da kann man eine Entwicklung
zeigen. Im ersten Akt ist er der Schwiegermuttertraum par excellence. Aber
schon hier sät Bizet Zweifel, jene Momente, bei denen man denkt: Hoppla, da
stimmt doch etwas nicht! Und das steigert sich bis zum Wahnsinn.»
Wer so über Rollen nachdenkt, arbeitet auch gern mit fordernden Regisseuren
wie Christoph Marthaler, in dessen Pariser «Traviata» Kaufmann den Alfredo
gespielt hat. «In intelligenten Inszenierungen liegt überhaupt die einzig
mögliche Zukunft der Oper! Es geht dabei nicht ums Provozieren. Gerade beim
Anstössigen büsst die Phantasie ein. Zarte, minimalistische Sachen sind oft
besser.»
Dazu brauche es aber Sänger, welche Emotionen transportieren können. «Das
ist eine Bürde, man kann sich nicht ausruhen und einfach singen wie in
Produktionen à la Zeffirelli, wo die Leute einen eh nicht sehen in allem
Pomp.» Ausschlaggebend sei, dass man in jedem Augenblick einem
Rollencharakter Präsenz gebe. «Und das ist das Schöne an der Stimme: Mit
keinem Instrument lassen sich so die Seelenfarben spiegeln. Wenn man auf der
Tastatur der Stimmfarben spielen kann, spürt das Publikum sofort, in was für
einer Situation eine Figur sich gerade befindet.»
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Jonas Kaufmann solo auf CD: Romantic Arias, Prague Philharmonic Orchestra
(Decca). – Richard Strauss, Lieder. Helmut Deutsch, Klavier (HarmoniaMundi).
– Kaufmann am Opernhaus Zürich: «La Bohème» am 19./21./30. 12., «La
Traviata» im Mai und Juni 2008, «Carmen» ab 28. 6. 2008. |
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