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Klassik, 25.06.2014
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Kritik von Benjamin Künzel |
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Zwiespältige Faszination |
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Diese
'Winterreise' ist für eingefleischte Kaufmann-Fans vermutlich ein Fest. Sie
gibt aber auch Anlass zu kritischen Stimmen. Das spricht wiederum für die
Qualität der Aufnahme – es ist sicherlich nicht das Schlechteste, zu
polarisieren.
Nach seiner Einspielung der 'Schönen Müllerin' war es
nur eine Frage der Zeit, bevor Jonas Kaufmann auch Schuberts 'Winterreise'
auf Tonträger vorlegen würde. Im Oktober 2013 waren also Kaufmann und der
Pianist Helmut Deutsch im Studio und bannten für das Label Sony nun auch den
anderen Liederzyklus auf Tonträger. Das Ergebnis ist für eingefleischte
Kaufmann-Fans vermutlich ein Fest, es gibt aber auch Anlass zu kritischen
Stimmen. Das spricht wiederum für die Qualität der Aufnahme – es ist
sicherlich nicht das Schlechteste, zu polarisieren.
Was man der
Neueinspielung nicht anlasten kann, ist Haltungslosigkeit oder
massentaugliche Weichspülerei. Jonas Kaufmann greift in die Vollen,
positioniert sich als klarer Opernsänger, der die Dramatik und die
ausgestellten Emotionen liebt. So haftet vielen Liedern in seiner
'Winterreise' eine ordentliche Portion Pathos an, die aber oft in
wirkungsvollem Kontrast zum besonnenen und teils eher introvertierten Spiel
von Helmut Deutsch steht. Im Begleitheft findet sich der Abdruck eines
Gesprächs, das beide Künstler mit Thomas Voigt führten. Dabei beziehen beide
Interpreten Stellung zu ihrer jeweiligen Sichtweise auf Schuberts Zyklus,
die nicht zwingend deckungsgleich sind. Doch lebt die Aufnahme des
aufeinander eingespielten Lied-Duos genau von diesen Unterschieden, von den
beiden starken Künstlerpersönlichkeiten, die sich ergänzen und gelegentlich
kontrastieren.
Trotz aller Unterschiede agieren aber Sänger und
Pianist in dieser 'Winterreise' oftmals wie aus einem Guss, als besäßen sie
denselben Herzschlag. Besonders eindrücklich gelingt dies in 'Auf dem
Fluss', wo die Farbgebung und die sinnfällige Behandlung der Vorhalte die
depressive Stimmung fast schon physisch erfahrbar machen. Überhaupt zeichnet
sich die Neueinspielung durch ihre ungeheure Genauigkeit in Dynamik und
Tempo aus. Auch die Akkuratesse, mit der beide Künstler die Notenwerte
genauestens berücksichtigen, ist löblich, sie führt aber auch auf Dauer zu
einer seziererischen Verbissenheit, die die Interpretation von jeder
unmittelbaren Wirkung entbindet. Vor allem Kaufmann errichtet in seinem
durchdachten Facettenreichtum ein komplexes Interpretationsgebäude, das ob
seiner Genauigkeit und Durchdringung fasziniert, aber für den Hörer
unberührbar und distanziert wirkt.
Dabei bezweckt der Sänger
offenkundig das Gegenteil. Mit Leidenschaft und theatralem Zugang versucht
er, der erzählenden Figur Leben einzuhauchen, den Zuhörer zu fesseln. Dazu
entlockt er seinem dunklen Tenor eine reiche Farbpalette, beherrscht das
Flüstern ebenso wie den dramatischen Forteausbruch und ist um eine klare
Artikulation bemüht. Dass ihm die textliche Basis wichtig ist, hört man vom
ersten Lied an. Umso unbefriedigender sind dann aber jene Momente, in denen
der Text dem musikalischen Ausdruck zum Opfer fällt, wie in 'Rast'. Der
Sänger bemüht sich in der Phrase 'Der Rücken fühlte keine Last' um das
geforderte Pianissimo, lässt die Worte aber im hauchigen Ton gnadenlos
untergehen. Auch im 'Lindenbaum' verlässt er sich zu sehr auf die
Popularität der Dichtung und verwechselt den schlichten, natürlichen Vortrag
mit unachtsam weicher Sprachbehandlung. Letztlich fielen diese
Schwachstellen nicht so ins Gewicht, wäre Jonas Kaufmann nicht an anderer
Stelle mit jener Akribie am Werke, die die Erwartungshaltung in die Höhe
schraubt.
Großartige Momente kunstbefreiter Wahrhaftigkeit liefert
das Interpreten-Duo beispielsweise in einem gespenstischen 'Irrlicht', in
'Die Krähe' oder in dem irritierend melancholischen 'Die Post'. In anderen
Liedern wirken die Emotionen, die Jonas Kaufmann produziert, sehr künstlich
und hohl. Das macht es schwierig, 'Gefror’ne Tränen', 'Erstarrung' oder 'Der
greise Kopf' ernst zu nehmen, weil das dauerhaft affektiert Verschattete,
das emotional Bebende in Kaufmanns Stimme bei zunehmender Spieldauer
ermüden. Doch in diesen Momenten kann man mühelos dem wundervoll
unprätentiösen Spiel von Helmut Deutsch lauschen, der einen wirklichen
Liedbegleiter ohne Allüren abgibt.
Bevor dieser Einspielung im
'Leiermann' dann aber ein wieder überzeugender Schlusspunkt gelingt, ist
diese 'Winterreise' eine Berg-und-Talfahrt: Mal provoziert sie Stirnrunzeln,
mal entwickelt sie spannungsgeladene Atmosphäre. Auf ungläubiges Staunen
folgt plötzlich wieder erregtes Kopfschütteln. Und am Ende muss man die CD
wieder von vorne hören, weil sie eben einen zwiespältigen Eindruck
hinterlässt und man neugierig bleibt, wie es einem beim wiederholten Hören
ergehen mag.
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