Da
ist sie nun endlich, die so extrem lange vorangekündigte Verdi-CD von Jonas
Kaufmann. Im März 2013 aufgenommen, wird seitdem kräftigst die Werbetrommel
gerührt. Dabei spielt natürlich auch der Wechsel Kaufmanns von der Decca zu
Sony eine Rolle, da ist diese Verdi-CD gerade recht zum effektvollen
Umstieg. Die Decca hatte ja gerade ein Best of-Album mit Kaufmann-
Highlights aus ihrem Archiv herausgebracht, die wir bereits rezensiert
hatten Ab 02.09. durften endlich die Kritiker ans Werk gehen, kaufen kann
man Kaufmanns Verdi-CD dann ab 13.09.2013 .
Auch bei Jonas Kaufmann
stand/steht das Verdi-Jahr 2013 ganz im Zeichen des großen
Opern-Komponisten: drei Produktionen von Don Carlo (in London, München und
Salzburg), zwei Rollen-Debüts in Verdi-Opern (Il Trovatore und La forza del
destino, Juni u. Dez. in München) – und sein erstes Verdi-Album bei Sony.
Aufgenommen im März d. J. im Auditorium Niccolò Paganini in Parma, enthält
die neue CD dreizehn Highlights, und davon sind elf (zum Zeitpunkt der
Aufnahme) Premieren – eine Bandbreite, die nicht nur die Entwicklung in
Verdis Opernschaffen, sondern auch die stimmliche Flexibilität von Jonas
Kaufmann aufzeigt. Von der lyrischen Süße der Luisa Miller-Kantilene »Quando
le sere al placido« bis zum emotionalen Ausbruch Otellos (»Dio mi potevi«)
ist es ein weites Feld. - Für Jonas Kaufmann ist Giuseppe Verdi „ein Mann
des Volkes: Seine Musik ist so zugkräftig, dass sie auch außerhalb der Oper
die Menschen erreicht und bewegt. Verdi ist schlichtweg das musikalische
Synonym für Italien. Jeder kennt seine Melodien und kann sie sofort
nachsingen. Und dann gibt es den großen Dramatiker Verdi, den Mann, der
Dramen von Shakespeare und Schiller vertonte und der im Alter von 74 Jahren
ein Stück schrieb, das moderner und kühner klang als alles andere, was er
zuvor verfasst hatte, nämlich den Otello. Als ich die beiden Szenen für das
Verdi-Album aufgenommen habe, bin ich derart in den Sog dieser Musik
geraten, dass ich am liebsten die ganze Partie auf der Bühne gesungen hätte!
Aber ich werde mich in Geduld üben müssen, denn bis zu meinem ersten Otello
wird es noch ein paar Jahre dauern.“
Tracks: Rigoletto – “La donna è
mobile” (Duca) / Aida - “Se quel guerrier io fossi! – Celeste Aida”
(Radamès) / Un ballo in maschera - “Di’ tu se fedele” (Riccardo) – “Forse la
soglia attinse – Ma se m’è forza perderti” (Riccardo) / Il trovatore – “Ah!
sì, ben mio – Di quella pira” (Manrico) / Luisa Miller – “Oh! fede negar
potessi – Quando le sere al placido” (Rodolfo) / Simon Boccanegra – “O
inferno! Amelia qui! – Sento avvampar nell’anima – Cielo pietoso, rendila”
(Gabriele) / Don Carlo – “È lui! desso, l’Infante! – Dio, che nell’alma
infondere” (Don Carlo) + Franco Vassallo / La forza del destino – “La vita è
inferno all’infelice – O tu, che in seno agli angeli” (Alvaro) / I
masnadieri – “Destatevi, o pietre! – Giuri ognun questo canuto” (Carlo) /
Otello - “Dio! mi potevi scagliar” (Otello) – “Niun mi tema” (Otello) +
Franco Vassallo // Macbeth – “O figli, o figli miei!- Ah, la paterna mano”
(Macduff) = Bonustrack auf der Deluxe-Version.
Das als Einstieg
gewählte, naturgemäß freche “La donna è mobile” bringt einen kleinen Schock
mit sich. Das beginnt zunächst schwerfällig, mit abgedunkelter, geradezu
fremd klingender Stimme; erst bei der 2. Strophe kommt die notwendige
Lockerheit wieder, gekrönt von einer flockig lockeren Koloratur. Sieghaft
heldisch trumpft Kaufmanns Radames auf und doch gelingt ihm bei „Celeste
Aida” ein umwerfend zärtlich verhauchendes, ganz langes Diminuendo auf dem
Schluss-B. Das ist zwar pp und „morendo“ notiert, wird aber nur selten
derart exquisit realisiert. Die meisten Kollegen ziehen die strahlend
geschmetterte Sicherheitsvariante vor. Wie genau sich Jonas Kaufmann stets
an die dynamischen Notierungen des jeweiligen Komponisten hält, zeigt sich
auch bei Riccardos großer Arie “Forse la soglia attinse – Ma se m’è forza
perderti”, die er gemäß den Vorgaben Verdis zwischen ff und pp durchlebt. So
wird letztlich auch ein enormer Spannungsbogen bei der Trovatore-Stretta bis
zum ersten hohen C (original) aufgebaut, und wird noch einmal durch das
lange Schluss-C getoppt. Und im Rahmen all dieser überbordenden Männlichkeit
immer wieder die zarten Töne der Liebe oder Verzweiflung, wodurch die
Ausbrüche dann geradezu vulkanöse Wirkungen erzielen. Welche Gefühlswelten
Kaufmann etwa in Rodolfos Arie aus Luisa Miller eröffnet, oder auch in der
Masnadieri-Arie, das zwingt den Zuhörer einfach zum Mitleiden. Ein ganzes,
aufwühlendes Drama spielt sich in Adornos Arie “O inferno!“ ab, ebenso bei
Alvaros großer Szene “La vita è inferno all’infelice – O tu, che in seno
agli angeli”. Jonas Kaufmanns extraordinärer Don Carlo ist ja inzwischen
weltweit bekannt und geschätzt. Neben diesem Kaliber hinterlässt Franco
Vassallo als Duettpartner nur einen „braven“ Eindruck. – Schließlich der
Otello: Eine Vorschau und ein Versprechen für künftige Bühnenereignisse. Auf
der Bühne wird der erschütternde Monolog “Dio! mi potevi scagliar”, hier
beeindruckend gesungen, auch wirklich „er-lebt“ werden. Otellos Tod hingegen
beutelt einen schon hier beim schieren Anhören. Jonas Kaufmanns Heldentenor
klingt zwar absolut reif für den venezianischen Feldherrn, aber trotzdem
will er noch ein bissel warten, er eilt ja derzeit ohnehin von einem
Rollendebut zum nächsten. Derweil kann man sich Otellos Todesszene via CD ja
mehrmals genüsslich „reinziehen“ – denn diese erscheint mir in der Tat als
Höhepunkt dieser Arienauswahl.
Eine Freude für sich, dass der
italienische Maestro Pier Giorgio Morandi ein rechtes Gespür für einen
genuinen Verdi mitbringt, und Chor und Orchester fühlen sich bei Italiens
Komponistenkönig natürlich auch hörbar zu Hause. Abzüglich einiger kleiner
akustischer Merkwürdigkeiten (unterschiedliche Form des Sängers an den
jeweiligen Aufnahmetagen?) ist das eine recht beeindruckende
Verdi-Helden-Tour.
Info: Jonas Kaufmann erhielt 2011 in New York den
Opera News Award und wurde in Frankreich zum Chevalier de l’Ordre des Arts
et des Lettres ernannt. Fachzeitschriften wie Opernwelt, Diapason und
Musical America sowie die Jury des ECHO Klassik wählten Kaufmann zum »Sänger
des Jahres«. Als solcher wurde er auch im April bei den ersten International
Opera Awards in London ausgezeichnet, zugleich erhielt er dort den Readers’
Award.
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