Salzburger Nachrichten, 11. September 2020
Florian Oberhummer
 
Jonas Kaufmann findet zu neuer Innigkeit
 
Was tun, wenn eine Pandemie die Opernwelt lahmlegt? Der Tenor besann sich auf die kleine Form und nahm ein Liederalbum auf.
 
Siegmund in einer Premierenserie der "Walküre" in Paris, "Meistersinger" und "Tote Stadt" bei den Münchner Opernfestspielen: Jonas Kaufmanns Terminkalender wäre im Frühling gut gefüllt gewesen. Die Coronapandemie zeigte auch dem Globetrotter der Opernszene die Grenzen auf.

Doch der umtriebige Tenor nutzte die Gunst der Stunde. "Nach dem Shutdown dachte ich: Das ist jetzt die Gelegenheit, Lieder aufzunehmen", erzählt Jonas Kaufmann im Booklet des neuen Albums "Selige Stunde". Als Partner für diese Unternehmung stand ihm sein langjähriger Klavierpartner Helmut Deutsch zur Verfügung. Der große Liedbegleiter hob dafür sogar einige Trouvaillen aus, etwa "Still wie die Nacht" von Carl Bohm. Dass bis wenige Stunden vor Aufnahmebeginn noch nicht klar war, ob der in Wien wohnhafte Helmut Deutsch die Grenze nach Deutschland passieren dürfte, gehört wohl zu den speziellen Entstehungsbedingungen dieses Albums - wie auch die Aufnahme in privatem Ambiente anstatt im großen Studio.

Apropos Gesundschrumpfen: Kann eine so große Wagner- und Verdistimme überhaupt zurückgefahren werden, dass sich jene zarten Farben entfalten können, die für die intimen Stimmungen der kleinen Form notwendig sind? Jonas Kaufmann gelingt das erstaunlich gut. Seine - erneute - Arbeit an der Rolle des Florestan für eine "Fidelio"-Serie am Covent Garden in London ist den beiden Beethoven-Liedern "Adelaide" und "Zärtliche Liebe" anzuhören, in Mendelssohns "Auf Flügeln des Gesangs" schöpft Kaufmann aus einem innigen, klaren Piano heraus erstmals die dynamische Bandbreite seiner Stimme aus. Wirklich zu Hause fühlt sich Jonas Kaufmann aber in den spätromantischen Klangwelten von Gustav Mahler, Hugo Wolf und Richard Strauss, dessen "Allerseelen" von strahlend heldischen Ausbrüchen erschüttert wird. Auch die frühexpressionistisch schillernden Färbungen von Alexander Zemlinskys "Selige Stunde" oder die erweiterte Harmonik von Edvard Griegs "Ich liebe dich" bringt Jonas Kaufmann - von Helmut Deutsch gewohnt geschmackssicher und feinsinnig grundiert - zur Entfaltung.

Etwas mehr von diesen Entdeckungen hätte einem Album nicht geschadet, das mit Mozarts "Veilchen", Schuberts "Forelle", Schumanns "Widmung" oder Brahms' "Wiegenlied" mitunter wie eine Spotify-taugliche Hitsammlung des Genres wirkt. Dennoch verleiht die neue Innigkeit, die auch Jonas Kaufmanns Stimme hörbar entspannt, diesem Liederalbum einen positiven Eindruck. Und große Oper beschert der Tenor seinen Fans ohnehin ab Ende September an der Wiener Staatsoper wieder - als Don Carlos.
























 
 
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