Online Merker, 05.09.2020
Renate Wagner
 
CD: SELIGE STUNDE (Jonas Kaufmann / Helmut Deutsch)
 
Damit Schlimmes auch sein Gutes habe, fanden sich der Tenor Jonas Kaufmann und der Pianist Helmut Deutsch, die auf eine nahezu dreißigjährige Zusammenarbeit (als Kaufmann noch Student war) zurück blicken können, in an sich lähmenden Corona-Zeiten zu einer Aufnahme von vordringlich deutschen Liedern (plus Chopin, Grieg, Dvorak, Tschaikowsky) zusammen. Mit 27 Werken von nicht weniger als 17 Komponisten ist das Angebot für eine CD üppig – und der Tenor kann für künftige Live-Auftritte auf ein großes Repertoire zurück greifen.

Mehr noch: auf ein überaus populäres. Tatsächlich kennt man von den gebotenen Liedern nur „Still wie die Nacht“ des vergessenen Carl Böhm (1844-1920) nicht, von Deutsch aus einem alten Liederalbum quasi „wieder entdeckt“, und auch „Selige Stunde“ von Alexander von Zemlinsky zählt (eine Spur sperrig anzuhören, fast das einzige Werk, das aus der totalen Kantabilität der anderen Lieder ausbricht) nicht zu den bekannten Stücken – aber der Titel ließ sich so gut und anheimelnd für die gesamte CD verwenden…

Was man hört, wirkt wie eine Auswahl der „Greatest Hits“ des romantischen Liedschaffens, wobei man dem Sänger und dem Pianisten gerne glaubt, dass es sich um Lieblingsstücke handelt – sie sind ja auch schön genug. Vor allem ist vieles davon über die Maßen populär – von „Ich liebe dich so wie du mich“ über „In mir klingt ein Lied“ und „Komm lieber Mai und mache“ bis zu „Leise zieht durch mein Gemüt“ und „Guten Abend, gut’ Nacht“ sind es Melodien und Texte, die man mitsingen könnte, weil man sie eher im Alltag verorten würde als im Konzertsaal.

Auch dort, wo das Volksliedhafte sich mit dem Kunstlied trifft, ist die Mischung bemerkenswert – und die Gefühlstiefe ist gewahrt, vom lebhaften Schweifen des Schubert’schen „Musensohns“ zu Beginn bis zur dann schon schweren Tragik eines Gustav Mahler („Ich bin der Welt abhanden gekommen“) am Ende. Vor allem aber ging es wohl darum, dem Interpreten ein möglichst großes Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten anzubieten, vom G’stanzelhaftem, wozu sich auch ein dramatischer Großmeister wie Brahms verstand, über Lieder, die einfach mit ultimativer „Zärtlichkeit“ gesungen werden müssen, bis zu kleinen dramatischen Ansätzen…

Vermutlich war dies die größte Herausforderung für Jonas Kaufmann, dessen Tenor zwischen Siegmund und Othello so geballte Operndramatik in sich trägt: Dass er sich hier dermaßen zurücknehmen muss, mezzavoce und auf Linie singen, mit langem Atem und höchster Verhaltenheit, dass nicht der große Ausdruck und Ausbruch, sondern die ganz feine Nuance gefragt ist (gelegentlich mit so schwierigen Übergängen, dass sie trotz hörbar profunder Technik nicht immer hundertprozentig zu erfüllen sind).

Und feig darf man natürlich auch nicht sein, da es ja gerade beim deutschen Lied Vorbilder gibt, die auf ihre Art Großes geleistet haben und von ihren Fans leidenschaftlich favorisiert werden (selbst wenn sie längst tot sind). Kaufmann kümmert sich nicht um Vorbilder, er geht jedes Werk für sich an, „getragen“ von Helmut Deutsch am Klavier, halb Helfer, halb Mitspieler.

Ob Schubert, ob Beethoven, ob Strauss, jeder fordert anderes vom Interpreten, wobei Strauss (mit „Habe Dank“ in der „Zueignung“ oder „Wie einst im Mai“ in „Allerseelen“) am ehesten noch phasenweise einen opernhaften Gestus erlaubt. Grundsätzlich ist Kaufmann imstande, von scheinbar Neckischem (wie in Mozarts „Veilchen“) bis zu Schumanns „Mondnacht“, wo es ihm gelingt, beim Hörer die Gänsehaut zu erzeugen, die diesem Meisterwerk innewohnt, bis zur totalen Melancholie eines Hugo Wolf („Verborgenheit“) die Anforderungen dieser kleinen Kunstwerke ganz individuell und vor allem überzeugend auszuschreiten.






















 
 
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