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Fono Forum, Oktober 2013 |
Bjørn Woll |
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Mit angezogener Handbremse
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Auch
Daniel Barenboim lässt es sich nicht nehmen, einen Beitrag zum
Verdi-Jahr zu leisten. Mit erlesenen Solisten-Ensemble - Anja
Harteros, Elina Garanca, Jonas Kaufmann und Rene Pape - sowie
dem Chor und Orchester der Scala legt er jetzt einen
Live-Mitschnitt der „Mensa da Requiem" von 2012 vor. Doch so
prächtig sich die Besetzung liest, so richtig packend ist
Barenboims neue Interpretation der Totenmesse nicht gelungen -
Papier ist eben geduldig.
Dieser Eindruck festigt sich
gleich im Dies irae: „Tag des Zornes, Tag der Klage wird die
Welt in Asche zünden" heißt es in der Textvorlage. Wahre Angst
vor der Apokalypse will indes nicht richtig aufkommen, dabei ist
doch alles tadellos musiziert. Woran liegt es also? Es gelingt
Barenboim bei aller orchestraler Pracht nicht, die entfesselten
Kräfte in den Dienst des Ausdrucks zu stellen. Die Schläge der
großen Trommel wirken statisch, die Streicherkaskaden fallen zu
harmlos aus dem Himmel. Es fehlt das druckvolle Musizieren, das
zwingende Vorantreiben.
In der Aufnahme mit dem Chicago
Symphony Orchestra aus dem Jahr 1993 ist Barenboim das sehr viel
überzeugender gelungen: Mit wütenden Trommelschlägen, einem
deutlich geschärften Orchesterklang und den aufschreienden
Choreinsätzen entfesselt er hier ein ungleich heftigeres
Pandämonium. Das erreicht er nicht zuletzt auch mit deutlich
flotteren Tempi und einer insgesamt dramatischeren Agogik, die
zu einem extremeren Spiel mit Tempo und Dynamik greift.
Dieser Unterschied wird auch im Sanctus evident: Kommt der Chor
in der neuen Aufnahme etwas „schwerfällig" daher, schlägt er in
der Einspielung aus Chicago eine deutlich schnellere Gangart
samt einem pointierten Rhythmus an. Wie weit die beiden Lesarten
auseinanderliegen, hört man besonders deutlich an den letzten
Takten des Sanctus. Im Vergleich zum hitzigen Chicago Symphony
Orchestra fehlt es den Mailändern an Drive und Thrill, oft
entsteht der Eindruck einer angezogenen Handbremse. Erwähnt sei
aber auch, dass Barenboim die Wiederholung des Diesirae-Teils im
abschließenden „Libera me" deutlich packender gelungen ist.
Für zwei Protagonisten aus dem Sänger-Quartett ist es
ebenfalls nicht die erste „Requiem"-Aufnahme. Anja Harteros und
René Pape gehörten schon zu der Besetzung von Antonio Pappano
von 2009 (EMI) - und beide sind auch die vokalen Zugpferde unter
Barenboim. Im „Requiem aeternam" klang Harteros in der früheren
Version zwar etwas zarter, fragiler und fließender, aber auch in
der aktuellen Live-Aufnahme ist die technische Perfektion der
Stimme schlicht atemberaubend. Wie sie das finale hohe B im
Nichts verklingen lässt, ist beeindruckend. Auch der Bass von
Rene Pape klingt in der alten Aufnahme noch ein wenig leichter
als heute, an seiner kultivierten Art zu singen hat sich jedoch
nichts geändert. Im Hostias überzeugt er mit einer sicheren
Höhe, auch wenn der Triller nicht ganz ausgeformt ist. Nur im
„Lux aeterna" leistet er sich einige unschöne Vokalverfärbungen
(„ dona ä----is").
Jonas Kaufmann erscheint, bei aller
Bewunderung für den Sänger, jedoch nicht als die ideale
Besetzung. Im „Ingemisco" macht ihm das Piano arg zu schaffen,
der Ton wird dann guttural und verliert an Klang. An Nicolai
Gedda (Giulini) oder Luciano Pavarotti (Solti) reicht er damit
nicht heran. Elina Garanca schließlich bleibt merkwürdig blass,
kann kaum auf sich aufmerksam machen und die Erinnerung an
Marilyn Horne oder Christa Ludwig ebenfalls nicht auslöschen.
Und genau das ist das Problem: Von Verdis Requiem existieren zu
viele gute und hervorragende Aufnahmen. Eine gut gemachte
All-Stars-Besetzung reicht da einfach nicht aus für einen Platz
unter den Besten.
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