Online Merker, 13.03.2024
Dr. Ingobert Waltenberger
 
CD RICHARD WAGNER PARSIFAL
 
 
Die leere Wiener Staatsoper und eine szenische Premiere? Die scharfen Corona-Restriktionen hatten Österreich noch fest im Griff, daher musste die Premiere von Richard Wagners „Parsifal“ vom 11.4. in der eigentümlichen, Gangster TV-Serienästhetik spiegelnden Regie von Kirill Semjonowitsch Serebrennikov, eine Woche später von Arte für ein breiteres Publikum übertragen werden.

Superstar des Events., von dem nun ein Audio-Zusammenschnitt vom 8. und 11.4. bei Sony veröffentlicht wurde, war das Orchester der Wiener Staatsoper, alias die Wiener Philharmoniker, deren einzige echte Studio-Produktion des Parsifal in den frühen 70-er Jahren unter Sir Georg Solti in den Wiener Sofiensälen für DECCA entstand.

Mehr als 50 Jahre später haben wir es mit einer Art vollkommen atypischer Filmstudiobedingungen zu tun, ohne Publikum (ein paar Journalisten bei der Premiere ausgenommen), nur mit die Bühne umgebenden Kameras als „Adabeis“. Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Philipp Jordan entfaltete eine instrumentale Pracht und Wucht, wie man sie selten in dieser Vollkommenheit vernimmt. Der spezifische helle Streicherklang, das Holz, Blech, Harfen und Pauken einen sich zu einem irisierenden Mischklang, der wirklich ins Mystische, ins Innere dieser geheimnisvollen Musik entführt.

Ohne die konkrete Bebilderung gewinnt das Kunstreligiöse der Partitur an Gewicht, bekommen die Dimensionen spirituelle Läuterung und Gebet einen anderen Stellenwert. Jordan dirigiert ungemein sängerfreundlich, was zu teils extremen dynamischen Kontrasten führt. Die Tempodramaturgie überzeugt. Sein Ansatz, bei einer Parsifal-Aufführung nicht bis ins Letzte kontrollierend eingreifen zu wollen, gebiert viele magisch schöne Momente, ist aber auch für einige Spannungslücken im ersten Akt ursächlich. Insgesamt bietet das Album sublimste orchestrale Wonnen und erlaubt ein atmosphärisch magisches Eintauchen in die komplexe Dramaturgie von Schuld und Erlösung.

Die Besetzung bietet höchst profilierte Leistungen von Parsifal, Kundry, Gurnemanz und Amfortas. Von Jonas Kaufmann ist dies bereits der zweite „Parsifal“ auf „Konserve“. Aus der MET ist ebenfalls bei Sony ein Filmmitschnitt aus dem Jahr 2013 (das war das Jahr, in dem Kaufmann auch in Wien sein Parsifal-Debüt gab), erhältlich. In dieser Produktion von Francois Girard befand sich Jonas Kaufmann auf dem Gipfel seiner stimmlichen Möglichkeiten, lyrisch blühend, auch darstellerisch gab er damals alles. 2021 klang Kaufmann als Parsifal wesentlich heldischer und baritonaler, ähnlich wie der späte Ramon Vinay. Glutvoll in der dramatischen Attacke und ungebremsten Emotion, geht den stählernen Höhen die einstige Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ab.

Ihm zur Seite debütierte die Mezzosopranistin Elīna Garanča als Kundry, kam, sah und siegte. Längst vorbei sind die Zeiten, wo ein überwiegend kühl reflektierter Wohllaut und eine perfekte Gesangstechnik große Bewunderung, aber (bei mir) selten glühende Faszination auslösten. In die Kundry wirft sich diese charismatische Sängerin mit dem platinfarbenen Timbre mit Verve und einer sinnlich attraktiven Mystery-Komponente. Ihre Kundry ist ein moderner Typ, der in der stetigen Wandlung der Figur im Jetzt fühlt und so für das Verständnis von Wagners schadenfroh schuldiger, zu Verführung versklavter „Höllenrose“ neue Facetten anbietet. (Nur) Wegen Garanča vermisse ich die Bildkomponente, denn, was sie in der TV-Übertragung (jederzeit bei Youtube nachprüfbar) darstellerisch an cooler Intensität und Glaubwürdigkeit erreichte, gibt es in der Welt der Oper nicht alle Tage zu erleben.

Rein stimmlich gebührt die Palme des Albums wahrscheinlich dem Gurnemanz des Georg Zeppenfeld. Dieser vergleichsweise hell timbrierte Bass vollbringt Wunder an Legato, klug gestalteter Phrasierung, charaktervoll abgemischten, kunstvoll aufgetragenen Stimmfarben, schlicht natürlichem Vortrag, an liedhaften Piani sowie plastisch vorbildlicher Textverständlichkeit. Kaum je habe ich einen Gurnemanz stimmschöner und rollenerfüllter wahrgenommen als auf dem neuen Album.

Der Amfortas war mit einem Sänger des italienischen und französischen dramatischen Baritonfachs besetzt. Ludovic Tézier gelingt ein vielschichtiges vokales Porträt des von Speer getroffenen Leidensmanns mit viril mediterranem Timbre bei erstaunlich guter Textverständlichkeit. Hie und da hätte ich mir in den langen Monologen eine ruhigere Stimmführung gewünscht.

Stefan Cernys Titurel ist über Lautsprecher ins Bühnengeschehen integriert, was akustische Einbußen nach sich zieht.

Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen sowie der stimmmächtige Chor der Wiener Staatsoper erfüllen ihre Aufgaben in einer dem vorteilhaften Gesamteindruck der Aufführung kongruenten Maß.






















 
 
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