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Abendzeitung, 19.06.2020 |
Michael Bastian Weiß |
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Jonas Kaufmann als "Otello" |
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Jonas Kaufmann als Otello in einer neuen
Studioaufnahme unter Antonio Pappano |
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Das
Titelbild mit dem gut gebräunten Jonas Kaufmann lässt vermuten, dass die
Plattenfirma diese Produktion primär über die Popularität des Münchner
Tenors verkaufen möchte. Ein weiterer interessanter Umstand wird dadurch
verdeckt: dass der „Otello“ nämlich hier seit langer Zeit wieder einmal in
einer im Tonstudio produzierten Aufnahme vorgelegt wird, nicht als
Live-Mitschnitt.
Dieses aufwändigere Vorgehen erleichtert eine genau
austarierte Balance zwischen den Sängern und dem Orchester: angesichts der
instrumentalen Kostbarkeiten gerade dieser vorletzten Oper von Giuseppe
Verdi kein unwesentlicher Vorzug. Aber auch für die Sänger ist es merklich
angenehm, ihre Parts unter Studiobedingungen einzusingen.
Nachdenken,
nicht protzen Kaufmann ist der wohl nachdenklichste „Otello“, den es je
gab, ein genaues Gegenbild etwa zum legendär hitzigen Mario del Monaco, der
die Rolle 1961 unter Herbert von Karajan aufnahm. Baritonale Abstufungen und
Mut zu leisen Tönen ersetzen bei Kaufmann tenorale Protzerei.
Zwar
ist in der Höhe eine gewisse Anspannung zu vernehmen, sie wirkt bisweilen
flehend gepresst. Doch vor Kritikerkollegen, die „stimmliche Grenzen“
bemäkeln, muss man Kaufmann in Schutz nehmen – wer hatte die bei dieser
Rolle nicht?
Sicherlich kommt die Aufnahme für den Fünfzigjährigen
nicht zu früh (sein Rollendebüt aus Covent Garden und ebenfalls unter
Pappano – erschien schon vor drei Jahren auf DVD). Wer Kaufmann kritisiert,
sollte fairerweise auch erwähnen, dass sein Tenor angenehm weich abgetönt
ist, dass man auch die tiefen Töne noch genießen kann, kurz: dass er
reflektierter, differenzierter singt als viele Andere.
In Carlos
Álvarez hat er einen starken Gegenspieler. Der Spanier mit dem höchst
phonogenen Bariton entspinnt als Jago seine Intrigen in verführerisch
elegantem Parlando, singt das Trinklied mit strahlendem Spitzenton und
erschreckt im nihilistischen „Credo“ mit seiner kalten Deklamation – kurz,
agiert pantherhaft, gefährlicher als etwa der mehr hinterfotzige Gabriel
Bacquier 1977 unter Georg Solti oder der robustere Justino Diaz 1985 unter
Lorin Maazel.
Die orchestrale Dimension Mit seinem Charisma zieht
Álvarez bei jedem Auftritt die Aufmerksamkeit mühelos auf sich, doch der
Wettstreit zwischen ihm und Kaufmann belebt das Ensemble. Nur Federica
Lombardi als Desdemona verblasst zwischen den beiden ein wenig. Anja
Harteros, die diese Rolle im Nationaltheater mit Kaufmann als Partner sang,
hätte individuelleres Profil ausbilden können.
Dieser „Otello“ sticht
aber auch deshalb heraus, weil das Orchestra dell’ Accademia Nazionale di
Santa Cecilia Rom unter Antonio Pappano unendlich mehr als Begleitkulisse
beisteuert. Sorgfältig einstudiert, können sich die Italiener symphonisch
üppig verbreiten, ohne dabei den Sängern gefährlich zu werden. Mancher Hörer
vermisst vielleicht eine gewisse Grelle, die Verdi auch gut anstehen kann,
jene spreißelnd aufgeraute Oberfläche, die etwa Herbert von Karajan 1961 mit
den Wiener Philharmonikern als aufregendes Stilmittel einsetzte.
Dafür spannt die Accademia, von der Aufnahmetechnik noch befeuert, ein
extremes dynamisches Spektrum auf: Gerade hat man die Anlage bei einer
schüchtern verebbenden Streicherpassage gerade ein wenig höher aufgedreht,
da zuckt man bei einer Tutti-Explosion zusammen und stürzt sogleich wieder
zum Lautstärkeregler.
Es ist jedoch diese orchestrale Dimension, die
diese Einspielung zu mehr macht als zu einem schnöden Sänger-Vehikel.
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