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Der Tagesspiegel, 18.06.2020 |
FREDERIK HANSSEN |
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Wild bewegte Seelen, stürmische See |
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In der neue Aufnahme von Verdis "Otello"
unter der Leitung von Antonio Pappano ist Jonas Kaufmann im Zenit seines
Könnens zu erleben. |
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Wie
schön, eine frische Aufnahme des „Otello“ aus den Lautsprechern oder
Kopfhörern zu erleben. Denn eine Neuinszenierung von Giuseppe Verdis
vorletzter Oper wird es live auf der Bühne so schnell nicht geben. Allein
schon wegen der Eröffnungsszene.
Die ist ohne Massendrängelei nicht
zu machen: Am Strand von Zypern stehen die Inselbewohner dicht an dicht, es
tobt ein Gewitter über dem Meer, und auch sämtliche Köpfe wogen hin und her,
weil die Leute Ausschau halten nach dem Schiff ihres Helden, des
venezianischen Generals, der gerade die Flotte des Osmanischen Reiches
vernichtend geschlagen hat.
Eines der packendsten Chortableaus der
Musikgeschichte hat Verdi hier komponiert, unter der Leitung von Antonio
Pappano steigern sich die Sängerinnen und Sänger der Accademia Nazionale di
Santa Cecilia auf der neuen Einspielung in die Atmosphäre dieses
meteorologischen wie emotionalen Sturmes hinein, schwanken mitreißend
zwischen Hoffen und Bangen.
Wer Musik so packend verdichten kann,
braucht keine optische Komponente, um die Zuhörer zu fesseln, ihnen das
Gefühl zu geben, unmittelbar am Geschehen teilzuhaben. Das Kopfkino
übertrumpft jeden Videostream.
Antonio Pappano ist ein Meister der
Hochspannungsdramatik. Als langjähriger Chefdirigent am Londoner Covent
Garden Opera House weiß er, wie man Stimmungen erschafft – und hält. Er hat
weder Angst vor großem Pathos noch vor grellen Klangfarben, er liebt es,
wenn die Musik leidenschaftlich lodert. Vor allem aber ist er ein
großartiger Motivator, der seine Mitspielerinnen und Mitspieler dazu bringen
kann, über sich selbst hinauszuwachsen.
Diese Musik löst Kino im Kopf
aus Das römische Santa-Cecilia-Orchester, das er seit 2005 parallel zu
seinen Aufgaben in der britischen Hauptstadt leitet, ist eigentlich auf
sinfonisches Repertoire spezialisiert. Mit Pappano gelingt den Italienern
aber auch packendes Musiktheater, so wie jetzt beim „Otello“.
Der ein
maßgeschneidertes Projekt der Sony für ihren größten Klassikstar ist, für
Jonas Kaufmann. Im Juni 2017 hat der Tenor in dieser Partie debütiert,
natürlich in London mit Antonio Pappano im Orchestergraben, später folgte
eine weitere Produktion in München. Im vergangenen Sommer fand dann die
Aufnahme in Rom statt, und zwar als Studio-Produktion. Was mittlerweile
Seltenheitswert hat, sind solche Einspielungen doch deutlich teurer als
Live-Mitschnitte.
Jonas Kaufmanns Kopf dominiert ganz allein das
Cover der CD, neben ihm wirken keine weiteren Stars mit. Liparit Avetisyan
singt die andere Tenorrolle der Oper, den Cassio, mit schönem
Jünglingsschmelz, Federica Lombardi ist eine Desdemona, die sich ganz der
Opferrolle hingibt. Ihrem weichen, hellen Sopran nimmt man die
Seelenreinheit der Gattin Otellos sofort ab.
Kaufmann singt mit
"kontrollierter Ekstase" Kein dämonischer Bösewicht will Carlos Alvarez
als Jago sein, sondern ein intelligenter Intrigant, der Machiavellis
Politiklehre gelesen hat. Als Gegenspieler Otellos wird der dadurch noch
gefährlicher, rein vokal allerdings wirkt seine noble Darstellung wenig
effektvoll.
Ob im italienischen, deutschen oder französischen Fach,
an den Alleskönner Jonas Kaufmann reicht derzeit keiner seiner Konkurrenten
heran (lediglich das Halbseidene der Operette liegt ihm nicht so sehr). Im
Zenit seines Könnens wagt sich der Tenor nun an den Otello, diese
Mörderpartie im doppelten Wortsinn, die vom Interpreten ein Höchstmaß an
technischen und darstellerischen Qualitäten verlangt.
Und er kann
alle Facetten zeigen, von der virilen Grundfärbung, die gut im Baritonalen
verankert ist, über die geschmeidigen Kantilenen und das feine Piano in der
Liebesszene bis hin zu den heldischen Attacken der Rage. Kaufmann zeigt
Otello als Mann mit tief sitzenden Verletzungen aus früheren Tagen, in
dessen Aggressivität immer auch Angst und Unsicherheit mitschwingen.
Er ist hörbar fasziniert von dieser zerrissenen Persönlichkeit, aber er
lässt sich vom Furor des Titelhelden nicht fortreißen, sondern beherzigt für
seine Interpretation das, was Herbert von Karajan einst „kontrollierte
Ekstase“ genannt hat.
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