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Salzburger Nachrichten, 13. Juni 2020 |
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Ein Kuss führt zu dunklen Vorahnungen |
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Jonas Kaufmann hat Verdis „Otello" im
Studio eingesungen. Nach einigen „leichten"Platten brilliert der Startenor
wieder im ernsten Fach. |
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„Un
bacio... ancora un bacio!": Otello fordert noch einen Kuss von Desdemona.
Alles scheint dein Feldherrn leicht von der Hand zu gehen. Nach gewonnener
Seeschlacht ist er im Triumph heimgekehrt und wendet sich unter
sternenklarem Himmel der Geliebten zu: „Venere splende."
Jonas
Kaufmann traut der Idylle nicht. Er reichert das Liebesduett im ersten Akt
mit ersten dunklen Schattierungen an. Noch unter dem Eindruck der Rauferei
zwischen seinen Vertrauten Cassio und dem Oberintriganten Jago beginnt
Otello bereits an seinem Glück zu zweifeln - diese dunkle Vorahnung spiegelt
sich im stimmlichen Ausdruck. Der Verdi-Spezialist hat sich Zeit gelassen,
bis er sich der Herausforderung dieser Rolle gestellt hat. Nach seinem
szenischen Debüt in London 2017 formt er die Figur in einer neuen Studio
-Gesamteinspielung weiter. Die Fokussierung auf eine Rolle tut Kaufmann nach
etlichen unverbindlichen Themenplatten (Wien, Italien, Schlager, etc.)
hörbar gut.
In den goldenen Zeiten der Plattenindustrie waren Studio
-Gesamtaufnahmen einer Oper Standard. Heute sind diese kostspieligen
Tondokumente aus der Mode geraten. Im Fall des „Otello" hat sich der Gang
ins Studio jedoch gelohnt. Das zeigt sich bereits in der Sturmszene zu
Beginn, die Chor und Orchester der Accademia Nazionale di Santa Cecilia mit
großer Leidenschaft, aber auch enormer Transparenz gestalten. Endlich hört
man all die Details, die live oftmals ins szenischen Furor untergehen.
Chefdirigent Antonio Pappano erzeugt loderndes Feuer, arbeitet gewohnt aber
auch akri bisch am musikalischen Fluss und spezifischen Klang-Bildern.
Verdis Spätwerk erhält Modernität und Tiefe, wie sie auch ein Claudio Abbado
im Salzburger „Otello"1996 erzeugen konnte.
In die Fußstapfen des
damaligen Parade-Otellos Placido Domingo könnte Jonas Kaufmann treten. Er
lotet die emotionalen Pole von den ersten leisen Seelentrübungen bis zur
wütenden Beschwörung des Rachegotts virtuos aus. Kaufmanns Stimmfarben
mischen sich ideal mit dem geschmeidigen, eleganten Jago von Carlos Alvarez
und der lyrischen Desdemona von Federica Lombardi. 2021 könnte die ehemalige
„Young Singers" -Teilnehmerin als Elvira den „Don Giovanni" bei den
Salzburger Festspielen bereichern. Spätestens nach dem himmlisch sanft
leuchtenden „Ave Maria" der Desdemona will man mehr von dieser jungen
Sopranistin hören.
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